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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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zugungen der Kronbauern, welche ausschließlich eine (geringe) Kopfsteuer
zahlen, die benachbarten Privatgemeinden gegen ihre Herrn in Mißstimmung.
Denn wir dürfen nicht vergessen, daß der uncultimrte russische Bauer
nicht einzusehn vermag, daß ein Grundherr, welcher auf den Ertrag von seinem
Besitzthum gestellt ist. solche Begünstigungen gar nicht eintreten lassen kann,
falls er sich nicht ruiniren will.

Nach einer mehrjährigen Pause in der Baucrnsrage bestieg Kaiser Nikolaus l.
den Thron. Die letzten'Regierungsjahre Alexanders waren von revolutionä¬
ren Bewegungen im Adel bezeichnet gewesen, welche allerdings aus den demo¬
kratischen Tendenzen mit nationaler Beimischung in der Zeit der sogenannten Frei¬
heitskämpfe entstanden, doch nach und nach in Bestrebungen einer rein aristokrati¬
schen Adelskaste umgeschlagen waren. Daß diese Bewegungen beim Regierungs¬
antritte des Kaisers Nikolaus als Miiitärrevolution eclatirten. widerwncht
diesem Charakter ihres Wesens nicht; die Leiter des Aufstandes waren, wie
jedermann weiß, der die moderne russische Geschichte kennt, ebenso gut über dre
Endziele düpirt. als die unglücklichen Soldaten, welche ,.Hurrah Constitution"
schrien, weil ihnen weißgemacht worden war, dies sei der Name der
Gemahlin des rechtmäßigen Zaren Konstantin. Als die Milttärrevolu-
tion unterdrückt war. wußte man im Winterpalaste sicherlich genau, daß
man ein Symptom vertrieben, aber das revolutionäre Uebel nicht gehoben,
ja seine Wurzel im nationalen Adel nicht einmal berührt habe. Diesen
Adel zu beschwichtigen und gewissermaßen zu lahmen, bis der neue Zar
sich in seiner Stellung befestigt haben werde, wurde das nationale Pa¬
nier mit Emphase entfaltet. Damit waren aber immer noch blos die mehr
vorgeblichen, als ernst gemeinten Klagen über Ausländerei der Regierung gegen¬
standlos gemacht, womit die aristokratische Bewegung sich in der Nation po¬
pulär zu machen gesucht hatte. Die angestrebte Umänderung der Staatsform
dagegen, welche die geheimen Gesellschaften mit dem Namen "Constitution" um¬
faßten, behielt ihre Sympathien im Adel. Denn sie war dahin gegangen, daß den
Bojaren und der Geistlichkeit wieder dieselbe machtvolle Stellung neben dem
Zaren verschafft werden solle, welche sich beide Körperschaften vorbehalten
hatten, als sie den ersten Romanow durch ihre Wahl aus ihrer Mitte auf
den Thron gehoben. Diese Sympathien erschienen um so gefährlicher, als
auch alle die zahllosen Sekten innerhalb der russischen Kirche in dein einen
Punkte zusammenstimmen, daß sie die Bereinigung der höchsten weltlichen und
geistlichen Macht im Zaren nicht anerkennen. Den Starrgläubigen (Starowertzen.
Rosrolniken) gilt sie als eine politische Verketzerung des wahren, echten, ortho¬
doxen Glaubens; den mehr rationalistischen Sekten (Duchoborzen. Karmassons :c.)
überhaupt als eine EntHeiligung der Religion.

Diese beiden, dem monarchischen Absolutismus in seiner specifisch zarischen


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zugungen der Kronbauern, welche ausschließlich eine (geringe) Kopfsteuer
zahlen, die benachbarten Privatgemeinden gegen ihre Herrn in Mißstimmung.
Denn wir dürfen nicht vergessen, daß der uncultimrte russische Bauer
nicht einzusehn vermag, daß ein Grundherr, welcher auf den Ertrag von seinem
Besitzthum gestellt ist. solche Begünstigungen gar nicht eintreten lassen kann,
falls er sich nicht ruiniren will.

Nach einer mehrjährigen Pause in der Baucrnsrage bestieg Kaiser Nikolaus l.
den Thron. Die letzten'Regierungsjahre Alexanders waren von revolutionä¬
ren Bewegungen im Adel bezeichnet gewesen, welche allerdings aus den demo¬
kratischen Tendenzen mit nationaler Beimischung in der Zeit der sogenannten Frei¬
heitskämpfe entstanden, doch nach und nach in Bestrebungen einer rein aristokrati¬
schen Adelskaste umgeschlagen waren. Daß diese Bewegungen beim Regierungs¬
antritte des Kaisers Nikolaus als Miiitärrevolution eclatirten. widerwncht
diesem Charakter ihres Wesens nicht; die Leiter des Aufstandes waren, wie
jedermann weiß, der die moderne russische Geschichte kennt, ebenso gut über dre
Endziele düpirt. als die unglücklichen Soldaten, welche ,.Hurrah Constitution"
schrien, weil ihnen weißgemacht worden war, dies sei der Name der
Gemahlin des rechtmäßigen Zaren Konstantin. Als die Milttärrevolu-
tion unterdrückt war. wußte man im Winterpalaste sicherlich genau, daß
man ein Symptom vertrieben, aber das revolutionäre Uebel nicht gehoben,
ja seine Wurzel im nationalen Adel nicht einmal berührt habe. Diesen
Adel zu beschwichtigen und gewissermaßen zu lahmen, bis der neue Zar
sich in seiner Stellung befestigt haben werde, wurde das nationale Pa¬
nier mit Emphase entfaltet. Damit waren aber immer noch blos die mehr
vorgeblichen, als ernst gemeinten Klagen über Ausländerei der Regierung gegen¬
standlos gemacht, womit die aristokratische Bewegung sich in der Nation po¬
pulär zu machen gesucht hatte. Die angestrebte Umänderung der Staatsform
dagegen, welche die geheimen Gesellschaften mit dem Namen „Constitution" um¬
faßten, behielt ihre Sympathien im Adel. Denn sie war dahin gegangen, daß den
Bojaren und der Geistlichkeit wieder dieselbe machtvolle Stellung neben dem
Zaren verschafft werden solle, welche sich beide Körperschaften vorbehalten
hatten, als sie den ersten Romanow durch ihre Wahl aus ihrer Mitte auf
den Thron gehoben. Diese Sympathien erschienen um so gefährlicher, als
auch alle die zahllosen Sekten innerhalb der russischen Kirche in dein einen
Punkte zusammenstimmen, daß sie die Bereinigung der höchsten weltlichen und
geistlichen Macht im Zaren nicht anerkennen. Den Starrgläubigen (Starowertzen.
Rosrolniken) gilt sie als eine politische Verketzerung des wahren, echten, ortho¬
doxen Glaubens; den mehr rationalistischen Sekten (Duchoborzen. Karmassons :c.)
überhaupt als eine EntHeiligung der Religion.

Diese beiden, dem monarchischen Absolutismus in seiner specifisch zarischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/59>, abgerufen am 22.07.2024.