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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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einer Seuche bewahrt hatte, die wahrend des peloponnesischen Krieges die
Nachbarschaft heimgesucht. Sein Erbauer war Minus, der mit Phidias das '
Parthenon erbaut hatte. Der Stil ist der dorische, das Material ein gelblich
grauer Kalkstein. Der Sculpturschmuck im Innern, ein Fries, der um die
Wand der Cella lief, und die Cassetten der Felderdecke waren aus pentelischem
Marmor. Während die Tempel Athens ihre Fronten nach Osten und Westen
kehren, sind hier die Langseiten nach diesen Himmelsgegenden gerichtet. Um
die Cella läuft ein Säulengang, der an den langen Seiten je 15, an den
Fronten je 6 Säulen hatte. Wahrend die Cella bis auf die untersten Quader¬
lagen zusammengestürzt ist, stehen von den 38 Säulen noch 35 sammt ihrem
Architrav aufrecht; indeß neigen sich mehre stark nach innen, was der Wir¬
kung der Ruinen einigen Eintrag thut. Die umhergestreuten Trommeln der
andern Säulen sind von feinen weißen und rothen Flechten-überzogen. Neben
dem Trümmersturz wachsen einige'Steineichen, in deren Schatten bei unsrer
Anwesenheit ein langhaariger sinsterblickender Bursch beschäftigt war, mit sei¬
ner Mangura (ein genau wie unsere Bischofstäbe geformter Stock) Ziegen und
Schafe umzuhängen, die meckernd und blökend zwischen den Ruinen weideten.
Sonst scheint selten ein Mensch aus diese Höhe zu kommen. Als ich mir, auf
einem der Blöcke der Cella sitzend, Notizen in mein Taschenbuch machte, sah
mir eine kleine hübsche Eidechse, die aus der nächsten Spalte hervorgehuscht
war, mit ihren hellen Aeuglein so furchtlos zu, als ob alle Welt solchen klei¬
nen hübschen Eidechsen gut sein müßte.

Der Tempel erscheint im Ganzen betrachtet zu schmal, oder wenn man
will zu lang. Im Uebrigen macht er weniger den Eindruck des Großartigen,
als den des Feinen und Anmuthiger, wozu der Gegensatz der ihn umgeben¬
den wilden und gigantischen Gebirgsnatur wesentlich beiträgt. Zu bewundern
ist. daß sich in solch einem winzigen arkadischen Bergstädtchen, wie Phigalia
unzweifelhaft war, der Geschmack fand, ein derartiges Kunstwerk zu schaffen,
und noch mehr zu bewundern in unsrer egoistischen Zeit ist, daß die kleine,
sicherlich nicht wohlhabende Gemeinde die erforderlichen Mittel dazu aufbrachte.

Die Aussicht von dem Tempelberge ist ungemein prächtig. Unmittelbar vor
sich hat der Beschauer das düstre tiefe Waldthal der Neda mit seinen Seiten-
schluchtcn. Rechts erscheint zu beiden Seiten eines hohen runden Berges in
der Tiefe das Meer. Links starren über niedrigere Höhen in der Ferne dunkel¬
blaue Bergwände mit Schneegipfeln empor. Im Süden schweift das Auge
über das Gefilde Messeniens bis zum Jthome und an dem deutlich erkenn¬
baren Kloster des Evas vorbei hinab zum messenischen Golf.

Zuerst auf furchtbar steilem und fast pfadlosem Wege, dann aber auf
einer' eben vollendeten recht guten Straße setzten wir die Weiterreise nach dem
Städtchen Andritzena fort. Dasselbe liegt in einem tiefen von einem Bach


einer Seuche bewahrt hatte, die wahrend des peloponnesischen Krieges die
Nachbarschaft heimgesucht. Sein Erbauer war Minus, der mit Phidias das '
Parthenon erbaut hatte. Der Stil ist der dorische, das Material ein gelblich
grauer Kalkstein. Der Sculpturschmuck im Innern, ein Fries, der um die
Wand der Cella lief, und die Cassetten der Felderdecke waren aus pentelischem
Marmor. Während die Tempel Athens ihre Fronten nach Osten und Westen
kehren, sind hier die Langseiten nach diesen Himmelsgegenden gerichtet. Um
die Cella läuft ein Säulengang, der an den langen Seiten je 15, an den
Fronten je 6 Säulen hatte. Wahrend die Cella bis auf die untersten Quader¬
lagen zusammengestürzt ist, stehen von den 38 Säulen noch 35 sammt ihrem
Architrav aufrecht; indeß neigen sich mehre stark nach innen, was der Wir¬
kung der Ruinen einigen Eintrag thut. Die umhergestreuten Trommeln der
andern Säulen sind von feinen weißen und rothen Flechten-überzogen. Neben
dem Trümmersturz wachsen einige'Steineichen, in deren Schatten bei unsrer
Anwesenheit ein langhaariger sinsterblickender Bursch beschäftigt war, mit sei¬
ner Mangura (ein genau wie unsere Bischofstäbe geformter Stock) Ziegen und
Schafe umzuhängen, die meckernd und blökend zwischen den Ruinen weideten.
Sonst scheint selten ein Mensch aus diese Höhe zu kommen. Als ich mir, auf
einem der Blöcke der Cella sitzend, Notizen in mein Taschenbuch machte, sah
mir eine kleine hübsche Eidechse, die aus der nächsten Spalte hervorgehuscht
war, mit ihren hellen Aeuglein so furchtlos zu, als ob alle Welt solchen klei¬
nen hübschen Eidechsen gut sein müßte.

Der Tempel erscheint im Ganzen betrachtet zu schmal, oder wenn man
will zu lang. Im Uebrigen macht er weniger den Eindruck des Großartigen,
als den des Feinen und Anmuthiger, wozu der Gegensatz der ihn umgeben¬
den wilden und gigantischen Gebirgsnatur wesentlich beiträgt. Zu bewundern
ist. daß sich in solch einem winzigen arkadischen Bergstädtchen, wie Phigalia
unzweifelhaft war, der Geschmack fand, ein derartiges Kunstwerk zu schaffen,
und noch mehr zu bewundern in unsrer egoistischen Zeit ist, daß die kleine,
sicherlich nicht wohlhabende Gemeinde die erforderlichen Mittel dazu aufbrachte.

Die Aussicht von dem Tempelberge ist ungemein prächtig. Unmittelbar vor
sich hat der Beschauer das düstre tiefe Waldthal der Neda mit seinen Seiten-
schluchtcn. Rechts erscheint zu beiden Seiten eines hohen runden Berges in
der Tiefe das Meer. Links starren über niedrigere Höhen in der Ferne dunkel¬
blaue Bergwände mit Schneegipfeln empor. Im Süden schweift das Auge
über das Gefilde Messeniens bis zum Jthome und an dem deutlich erkenn¬
baren Kloster des Evas vorbei hinab zum messenischen Golf.

Zuerst auf furchtbar steilem und fast pfadlosem Wege, dann aber auf
einer' eben vollendeten recht guten Straße setzten wir die Weiterreise nach dem
Städtchen Andritzena fort. Dasselbe liegt in einem tiefen von einem Bach


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[0522] einer Seuche bewahrt hatte, die wahrend des peloponnesischen Krieges die Nachbarschaft heimgesucht. Sein Erbauer war Minus, der mit Phidias das ' Parthenon erbaut hatte. Der Stil ist der dorische, das Material ein gelblich grauer Kalkstein. Der Sculpturschmuck im Innern, ein Fries, der um die Wand der Cella lief, und die Cassetten der Felderdecke waren aus pentelischem Marmor. Während die Tempel Athens ihre Fronten nach Osten und Westen kehren, sind hier die Langseiten nach diesen Himmelsgegenden gerichtet. Um die Cella läuft ein Säulengang, der an den langen Seiten je 15, an den Fronten je 6 Säulen hatte. Wahrend die Cella bis auf die untersten Quader¬ lagen zusammengestürzt ist, stehen von den 38 Säulen noch 35 sammt ihrem Architrav aufrecht; indeß neigen sich mehre stark nach innen, was der Wir¬ kung der Ruinen einigen Eintrag thut. Die umhergestreuten Trommeln der andern Säulen sind von feinen weißen und rothen Flechten-überzogen. Neben dem Trümmersturz wachsen einige'Steineichen, in deren Schatten bei unsrer Anwesenheit ein langhaariger sinsterblickender Bursch beschäftigt war, mit sei¬ ner Mangura (ein genau wie unsere Bischofstäbe geformter Stock) Ziegen und Schafe umzuhängen, die meckernd und blökend zwischen den Ruinen weideten. Sonst scheint selten ein Mensch aus diese Höhe zu kommen. Als ich mir, auf einem der Blöcke der Cella sitzend, Notizen in mein Taschenbuch machte, sah mir eine kleine hübsche Eidechse, die aus der nächsten Spalte hervorgehuscht war, mit ihren hellen Aeuglein so furchtlos zu, als ob alle Welt solchen klei¬ nen hübschen Eidechsen gut sein müßte. Der Tempel erscheint im Ganzen betrachtet zu schmal, oder wenn man will zu lang. Im Uebrigen macht er weniger den Eindruck des Großartigen, als den des Feinen und Anmuthiger, wozu der Gegensatz der ihn umgeben¬ den wilden und gigantischen Gebirgsnatur wesentlich beiträgt. Zu bewundern ist. daß sich in solch einem winzigen arkadischen Bergstädtchen, wie Phigalia unzweifelhaft war, der Geschmack fand, ein derartiges Kunstwerk zu schaffen, und noch mehr zu bewundern in unsrer egoistischen Zeit ist, daß die kleine, sicherlich nicht wohlhabende Gemeinde die erforderlichen Mittel dazu aufbrachte. Die Aussicht von dem Tempelberge ist ungemein prächtig. Unmittelbar vor sich hat der Beschauer das düstre tiefe Waldthal der Neda mit seinen Seiten- schluchtcn. Rechts erscheint zu beiden Seiten eines hohen runden Berges in der Tiefe das Meer. Links starren über niedrigere Höhen in der Ferne dunkel¬ blaue Bergwände mit Schneegipfeln empor. Im Süden schweift das Auge über das Gefilde Messeniens bis zum Jthome und an dem deutlich erkenn¬ baren Kloster des Evas vorbei hinab zum messenischen Golf. Zuerst auf furchtbar steilem und fast pfadlosem Wege, dann aber auf einer' eben vollendeten recht guten Straße setzten wir die Weiterreise nach dem Städtchen Andritzena fort. Dasselbe liegt in einem tiefen von einem Bach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/522>, abgerufen am 29.06.2024.