Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

her noch vierzig Einwohner gehabt. Da hatte sich eine Seuche eingestellt,
und jetzt wohnten in den vier Häusern nur dreizehn Personen.

Weiterhin wird der Weg außerordentlich rauh, und dichter Wald von
Stacheleichen bedeckt die Berge. Indem wir einen derselben, an dem die
Büume auffallend stark bemoost waren (sie hingen voll grünliche und graue
Flocken, fast wie die Cypressen der Mississippisümpfe, wo der "spanische Bart"
wächst) hinabkletterten, sahen wir in der 'dunkeln Schlucht drunten das Neda-
flüßchen sich dem in der Ferne zwischen kahlen Hohen schimmernden Meere
zuwinden. -Die Gegend gehört zu den wildesten und düstersten in Arkadien.
Allenthalben starren dunkle Berge empor, und nach den verschiedensten Rich¬
tungen gähnen Schluchten und Seitenthäler, alle bewaldet, jedes mit einem
rasch daherströmenden rauschenden Bache. Nur selten wird an einer der
schroffen Thnlwände ein Dorf sichtbar.

Nachdem wir die Neda und bald darauf einen der Nebenflüsse über¬
schritten, erreichten wir endlich auf gutem Wege das am Abhang einer der
Seitenschluchten erbaute kleine Dorf Tragoge. Ein Stück davon stürzt sich ein
Bach von einer fünfzig bis sechzig Fuß hohen, senkrecht abfallenden Felswand
unmittelbar neben der Straße herab. Auf der andern Seite des Thales liegt,
Kcitvletri (Uebelpflug), ein Oertchen, in dessen Umgebung der Pflug allerdings
schwere Arbeit haben mag. In Tragoge wurde Nachtherberge genommen und
zwar bei der Witwe eines Geistlichen, bei der wir recht gut aufgehoben
waren. Ein Stück über dem Dorfe steht bei einer Quelle eine Platane, welche
die größte ist, die ich in Griechenland gesehen habe. Abends stellte sich (ver¬
muthlich als Ehrenwächter der noch jungen Wirthin) der Papa von Kakoletri
ein. Mein Reisegefährte fand ihn geeignet für seine Mappe und bat, ihn
zeichnen zu dürfen. Er war sehr gern bereit dazu, nahm einen Brief in die
Hand, setzte eine große Brille auf die Nase und setzte sich mit einer Würde
hin, die einem.Erzbischof vortrefflich gestanden hätte. Das Bild sah darnach
auch ungemein gelehrt aus. Das Original aber war über Lesen und Schrei¬
ben nur wenig hinausgelangt. Es hielt Germania für eine Stadt in Bava-
ria, fragte wie alt der Tempel sei, den wir den folgenden Tag besuchen wollten.
und gab, als wir das nicht genau wußten, seine Meinung dahin ab, er wäre
zu Noahs Zeit erbaut.

Der Tempel von Phigalia, den wir am folgenden Morgen besuchten,
liegt etwa zwei Stunden von Tragoge aus dem Berge Kolylivn, 3800 Fuß
über dem Meer, folglich noch beträchtlich hoher als das Brockenhaus. Der
Weg führt durch bewaldete Schluchten aufwärts uach einem türkischen Brun¬
nen, in dessen Nachbarschaft ein Stückchen Ackerfeld ist. und dann vollends
aus die kleine Hochfläche, welche die Ruinen des alten Heiligthums trägt. Es
war dem Apollo, als dem heilenden Gotte geweiht, der die Phigalier vor


Grenzboten III. IW8. 65

her noch vierzig Einwohner gehabt. Da hatte sich eine Seuche eingestellt,
und jetzt wohnten in den vier Häusern nur dreizehn Personen.

Weiterhin wird der Weg außerordentlich rauh, und dichter Wald von
Stacheleichen bedeckt die Berge. Indem wir einen derselben, an dem die
Büume auffallend stark bemoost waren (sie hingen voll grünliche und graue
Flocken, fast wie die Cypressen der Mississippisümpfe, wo der „spanische Bart"
wächst) hinabkletterten, sahen wir in der 'dunkeln Schlucht drunten das Neda-
flüßchen sich dem in der Ferne zwischen kahlen Hohen schimmernden Meere
zuwinden. -Die Gegend gehört zu den wildesten und düstersten in Arkadien.
Allenthalben starren dunkle Berge empor, und nach den verschiedensten Rich¬
tungen gähnen Schluchten und Seitenthäler, alle bewaldet, jedes mit einem
rasch daherströmenden rauschenden Bache. Nur selten wird an einer der
schroffen Thnlwände ein Dorf sichtbar.

Nachdem wir die Neda und bald darauf einen der Nebenflüsse über¬
schritten, erreichten wir endlich auf gutem Wege das am Abhang einer der
Seitenschluchten erbaute kleine Dorf Tragoge. Ein Stück davon stürzt sich ein
Bach von einer fünfzig bis sechzig Fuß hohen, senkrecht abfallenden Felswand
unmittelbar neben der Straße herab. Auf der andern Seite des Thales liegt,
Kcitvletri (Uebelpflug), ein Oertchen, in dessen Umgebung der Pflug allerdings
schwere Arbeit haben mag. In Tragoge wurde Nachtherberge genommen und
zwar bei der Witwe eines Geistlichen, bei der wir recht gut aufgehoben
waren. Ein Stück über dem Dorfe steht bei einer Quelle eine Platane, welche
die größte ist, die ich in Griechenland gesehen habe. Abends stellte sich (ver¬
muthlich als Ehrenwächter der noch jungen Wirthin) der Papa von Kakoletri
ein. Mein Reisegefährte fand ihn geeignet für seine Mappe und bat, ihn
zeichnen zu dürfen. Er war sehr gern bereit dazu, nahm einen Brief in die
Hand, setzte eine große Brille auf die Nase und setzte sich mit einer Würde
hin, die einem.Erzbischof vortrefflich gestanden hätte. Das Bild sah darnach
auch ungemein gelehrt aus. Das Original aber war über Lesen und Schrei¬
ben nur wenig hinausgelangt. Es hielt Germania für eine Stadt in Bava-
ria, fragte wie alt der Tempel sei, den wir den folgenden Tag besuchen wollten.
und gab, als wir das nicht genau wußten, seine Meinung dahin ab, er wäre
zu Noahs Zeit erbaut.

Der Tempel von Phigalia, den wir am folgenden Morgen besuchten,
liegt etwa zwei Stunden von Tragoge aus dem Berge Kolylivn, 3800 Fuß
über dem Meer, folglich noch beträchtlich hoher als das Brockenhaus. Der
Weg führt durch bewaldete Schluchten aufwärts uach einem türkischen Brun¬
nen, in dessen Nachbarschaft ein Stückchen Ackerfeld ist. und dann vollends
aus die kleine Hochfläche, welche die Ruinen des alten Heiligthums trägt. Es
war dem Apollo, als dem heilenden Gotte geweiht, der die Phigalier vor


Grenzboten III. IW8. 65
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0521" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106332"/>
            <p xml:id="ID_1539" prev="#ID_1538"> her noch vierzig Einwohner gehabt. Da hatte sich eine Seuche eingestellt,<lb/>
und jetzt wohnten in den vier Häusern nur dreizehn Personen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1540"> Weiterhin wird der Weg außerordentlich rauh, und dichter Wald von<lb/>
Stacheleichen bedeckt die Berge. Indem wir einen derselben, an dem die<lb/>
Büume auffallend stark bemoost waren (sie hingen voll grünliche und graue<lb/>
Flocken, fast wie die Cypressen der Mississippisümpfe, wo der &#x201E;spanische Bart"<lb/>
wächst) hinabkletterten, sahen wir in der 'dunkeln Schlucht drunten das Neda-<lb/>
flüßchen sich dem in der Ferne zwischen kahlen Hohen schimmernden Meere<lb/>
zuwinden. -Die Gegend gehört zu den wildesten und düstersten in Arkadien.<lb/>
Allenthalben starren dunkle Berge empor, und nach den verschiedensten Rich¬<lb/>
tungen gähnen Schluchten und Seitenthäler, alle bewaldet, jedes mit einem<lb/>
rasch daherströmenden rauschenden Bache. Nur selten wird an einer der<lb/>
schroffen Thnlwände ein Dorf sichtbar.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1541"> Nachdem wir die Neda und bald darauf einen der Nebenflüsse über¬<lb/>
schritten, erreichten wir endlich auf gutem Wege das am Abhang einer der<lb/>
Seitenschluchten erbaute kleine Dorf Tragoge. Ein Stück davon stürzt sich ein<lb/>
Bach von einer fünfzig bis sechzig Fuß hohen, senkrecht abfallenden Felswand<lb/>
unmittelbar neben der Straße herab. Auf der andern Seite des Thales liegt,<lb/>
Kcitvletri (Uebelpflug), ein Oertchen, in dessen Umgebung der Pflug allerdings<lb/>
schwere Arbeit haben mag. In Tragoge wurde Nachtherberge genommen und<lb/>
zwar bei der Witwe eines Geistlichen, bei der wir recht gut aufgehoben<lb/>
waren. Ein Stück über dem Dorfe steht bei einer Quelle eine Platane, welche<lb/>
die größte ist, die ich in Griechenland gesehen habe. Abends stellte sich (ver¬<lb/>
muthlich als Ehrenwächter der noch jungen Wirthin) der Papa von Kakoletri<lb/>
ein. Mein Reisegefährte fand ihn geeignet für seine Mappe und bat, ihn<lb/>
zeichnen zu dürfen. Er war sehr gern bereit dazu, nahm einen Brief in die<lb/>
Hand, setzte eine große Brille auf die Nase und setzte sich mit einer Würde<lb/>
hin, die einem.Erzbischof vortrefflich gestanden hätte. Das Bild sah darnach<lb/>
auch ungemein gelehrt aus. Das Original aber war über Lesen und Schrei¬<lb/>
ben nur wenig hinausgelangt. Es hielt Germania für eine Stadt in Bava-<lb/>
ria, fragte wie alt der Tempel sei, den wir den folgenden Tag besuchen wollten.<lb/>
und gab, als wir das nicht genau wußten, seine Meinung dahin ab, er wäre<lb/>
zu Noahs Zeit erbaut.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1542" next="#ID_1543"> Der Tempel von Phigalia, den wir am folgenden Morgen besuchten,<lb/>
liegt etwa zwei Stunden von Tragoge aus dem Berge Kolylivn, 3800 Fuß<lb/>
über dem Meer, folglich noch beträchtlich hoher als das Brockenhaus. Der<lb/>
Weg führt durch bewaldete Schluchten aufwärts uach einem türkischen Brun¬<lb/>
nen, in dessen Nachbarschaft ein Stückchen Ackerfeld ist. und dann vollends<lb/>
aus die kleine Hochfläche, welche die Ruinen des alten Heiligthums trägt. Es<lb/>
war dem Apollo, als dem heilenden Gotte geweiht, der die Phigalier vor</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. IW8. 65</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0521] her noch vierzig Einwohner gehabt. Da hatte sich eine Seuche eingestellt, und jetzt wohnten in den vier Häusern nur dreizehn Personen. Weiterhin wird der Weg außerordentlich rauh, und dichter Wald von Stacheleichen bedeckt die Berge. Indem wir einen derselben, an dem die Büume auffallend stark bemoost waren (sie hingen voll grünliche und graue Flocken, fast wie die Cypressen der Mississippisümpfe, wo der „spanische Bart" wächst) hinabkletterten, sahen wir in der 'dunkeln Schlucht drunten das Neda- flüßchen sich dem in der Ferne zwischen kahlen Hohen schimmernden Meere zuwinden. -Die Gegend gehört zu den wildesten und düstersten in Arkadien. Allenthalben starren dunkle Berge empor, und nach den verschiedensten Rich¬ tungen gähnen Schluchten und Seitenthäler, alle bewaldet, jedes mit einem rasch daherströmenden rauschenden Bache. Nur selten wird an einer der schroffen Thnlwände ein Dorf sichtbar. Nachdem wir die Neda und bald darauf einen der Nebenflüsse über¬ schritten, erreichten wir endlich auf gutem Wege das am Abhang einer der Seitenschluchten erbaute kleine Dorf Tragoge. Ein Stück davon stürzt sich ein Bach von einer fünfzig bis sechzig Fuß hohen, senkrecht abfallenden Felswand unmittelbar neben der Straße herab. Auf der andern Seite des Thales liegt, Kcitvletri (Uebelpflug), ein Oertchen, in dessen Umgebung der Pflug allerdings schwere Arbeit haben mag. In Tragoge wurde Nachtherberge genommen und zwar bei der Witwe eines Geistlichen, bei der wir recht gut aufgehoben waren. Ein Stück über dem Dorfe steht bei einer Quelle eine Platane, welche die größte ist, die ich in Griechenland gesehen habe. Abends stellte sich (ver¬ muthlich als Ehrenwächter der noch jungen Wirthin) der Papa von Kakoletri ein. Mein Reisegefährte fand ihn geeignet für seine Mappe und bat, ihn zeichnen zu dürfen. Er war sehr gern bereit dazu, nahm einen Brief in die Hand, setzte eine große Brille auf die Nase und setzte sich mit einer Würde hin, die einem.Erzbischof vortrefflich gestanden hätte. Das Bild sah darnach auch ungemein gelehrt aus. Das Original aber war über Lesen und Schrei¬ ben nur wenig hinausgelangt. Es hielt Germania für eine Stadt in Bava- ria, fragte wie alt der Tempel sei, den wir den folgenden Tag besuchen wollten. und gab, als wir das nicht genau wußten, seine Meinung dahin ab, er wäre zu Noahs Zeit erbaut. Der Tempel von Phigalia, den wir am folgenden Morgen besuchten, liegt etwa zwei Stunden von Tragoge aus dem Berge Kolylivn, 3800 Fuß über dem Meer, folglich noch beträchtlich hoher als das Brockenhaus. Der Weg führt durch bewaldete Schluchten aufwärts uach einem türkischen Brun¬ nen, in dessen Nachbarschaft ein Stückchen Ackerfeld ist. und dann vollends aus die kleine Hochfläche, welche die Ruinen des alten Heiligthums trägt. Es war dem Apollo, als dem heilenden Gotte geweiht, der die Phigalier vor Grenzboten III. IW8. 65

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/521
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/521>, abgerufen am 01.07.2024.