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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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im Mittelalter entstanden und war wiederholt der Schauplatz blutiger Ereig¬
nisse. Hier wurde der Paläologe Thomas. Bruder des letzten byzantinischen
Kaisers 1459 von den Türken geschlagen. Hier ließ Mohammed II. im Jahre
darauf nach Einnahme der Burg alles, was darin geathmet, auch die Thiere,
niederhauen. Endlich war der Paß auch im letzten Kriege von den Griechen
stark besetzt, und nur das Ungeschick ihres Führers Kolokotronis trug die
Schuld, daß Ibrahim Paschas Aegypter ,du ohne Blutvergießen zu gewinnen
vermochten. In der Ferne gegen Nordwesten hin sieht man von der Höhe
über Leondari die Stadt Kanten" mit ihrer alten Burg. In der Mitte der
Ebene lag die nach der Schlacht bei Leuktra gegründete Stadt Megalopolis.
Unser Reisehandbuch sagte uns. daß von ihr nur die Reste eines Theaters
und einer großen steinernen Brücke über den hier dem Alpheus zuströmenden
Bach Helissvs übrig sind, und da wir nicht archäologischer Studien halber
reisten, so ließen wir die Stelle unbesucht.

Da der Boden vom Regen feucht war, so mußten wir uns wohl oder
übel bequemen, im Khan zu schlafen, indem man uns die beiden Zimmer
des obern Stockwerks einräumte, während die untern Räume von einer Kara-
vane von Maulthiertreibern eingenommen waren. Unsere eine Stube enthielt
den Herd, die andere schien das Staatszimmer des Hauses zu sein, war aber
trotzdem einfach genug. Die drei Fenster waren blos mit hölzernen Laden
geschlossen und ohne den Luxus von Fensterscheiben. Die Wände waren weiß
getüncht und später von geschickter, wenn auch nicht grade künstlerischer Hand
mit den Trophäen von Wanzcnjagden geschmückt worden, deren Gesammtein-
druck sich dem von geäderten Marmor näherte. Aus der einen Seite befand
sich eine Nische mit einem bunten Heiligenbilde auf einem Papierbogen, vor
dem eine kleine Lampe brannte, und um das, nach verschiedenen unbeschreib¬
lichen Spuren zu urtheilen, jene Schlachten sich concentrirt zu haben und das
Blutvergießen am schrecklichsten gewesen zu sein schien. Auf dem Sims der
Nische standen Töpfchen und Flaschen. Daneben hatte der Vogel des Frie¬
dens, eine Schwalbe, ihr Nest gebaut, aus dem die gelbschnäbeligen Jungen
neugierig auf die Franken herabschauten, denen hier der Tisch gedeckt wurde. Die
Stubendecke war von rohen Bretern. Die Ritzen in den Wänden hatte man mit
Papier verstopft. Das Möblement bestand, wenn man die Säcke nicht an¬
rechnen wollte, die unter der Nische standen und die Stelle von Kommoden
und Sekretären vertraten, außer einem wackligen Tisch und zwei plumpen
Holzstühlen nur aus einem kleinen Spiegel, der so hoffnungslos vom grauen Staar
heimgesucht war, daß wir von vornherein darauf verzichteten, uns von ihm
sagen zu lassen, ob wir noch Ähnlichkeit mit civilisirten Menschen hätten.
Das Hauptprachtstück endlich war eine Reihe von Kupfern, mit denen der
Wirth die Wand, wo der Spiegel hing (wahrscheinlich die Ehrenseitc), beklebt


im Mittelalter entstanden und war wiederholt der Schauplatz blutiger Ereig¬
nisse. Hier wurde der Paläologe Thomas. Bruder des letzten byzantinischen
Kaisers 1459 von den Türken geschlagen. Hier ließ Mohammed II. im Jahre
darauf nach Einnahme der Burg alles, was darin geathmet, auch die Thiere,
niederhauen. Endlich war der Paß auch im letzten Kriege von den Griechen
stark besetzt, und nur das Ungeschick ihres Führers Kolokotronis trug die
Schuld, daß Ibrahim Paschas Aegypter ,du ohne Blutvergießen zu gewinnen
vermochten. In der Ferne gegen Nordwesten hin sieht man von der Höhe
über Leondari die Stadt Kanten« mit ihrer alten Burg. In der Mitte der
Ebene lag die nach der Schlacht bei Leuktra gegründete Stadt Megalopolis.
Unser Reisehandbuch sagte uns. daß von ihr nur die Reste eines Theaters
und einer großen steinernen Brücke über den hier dem Alpheus zuströmenden
Bach Helissvs übrig sind, und da wir nicht archäologischer Studien halber
reisten, so ließen wir die Stelle unbesucht.

Da der Boden vom Regen feucht war, so mußten wir uns wohl oder
übel bequemen, im Khan zu schlafen, indem man uns die beiden Zimmer
des obern Stockwerks einräumte, während die untern Räume von einer Kara-
vane von Maulthiertreibern eingenommen waren. Unsere eine Stube enthielt
den Herd, die andere schien das Staatszimmer des Hauses zu sein, war aber
trotzdem einfach genug. Die drei Fenster waren blos mit hölzernen Laden
geschlossen und ohne den Luxus von Fensterscheiben. Die Wände waren weiß
getüncht und später von geschickter, wenn auch nicht grade künstlerischer Hand
mit den Trophäen von Wanzcnjagden geschmückt worden, deren Gesammtein-
druck sich dem von geäderten Marmor näherte. Aus der einen Seite befand
sich eine Nische mit einem bunten Heiligenbilde auf einem Papierbogen, vor
dem eine kleine Lampe brannte, und um das, nach verschiedenen unbeschreib¬
lichen Spuren zu urtheilen, jene Schlachten sich concentrirt zu haben und das
Blutvergießen am schrecklichsten gewesen zu sein schien. Auf dem Sims der
Nische standen Töpfchen und Flaschen. Daneben hatte der Vogel des Frie¬
dens, eine Schwalbe, ihr Nest gebaut, aus dem die gelbschnäbeligen Jungen
neugierig auf die Franken herabschauten, denen hier der Tisch gedeckt wurde. Die
Stubendecke war von rohen Bretern. Die Ritzen in den Wänden hatte man mit
Papier verstopft. Das Möblement bestand, wenn man die Säcke nicht an¬
rechnen wollte, die unter der Nische standen und die Stelle von Kommoden
und Sekretären vertraten, außer einem wackligen Tisch und zwei plumpen
Holzstühlen nur aus einem kleinen Spiegel, der so hoffnungslos vom grauen Staar
heimgesucht war, daß wir von vornherein darauf verzichteten, uns von ihm
sagen zu lassen, ob wir noch Ähnlichkeit mit civilisirten Menschen hätten.
Das Hauptprachtstück endlich war eine Reihe von Kupfern, mit denen der
Wirth die Wand, wo der Spiegel hing (wahrscheinlich die Ehrenseitc), beklebt


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[0516] im Mittelalter entstanden und war wiederholt der Schauplatz blutiger Ereig¬ nisse. Hier wurde der Paläologe Thomas. Bruder des letzten byzantinischen Kaisers 1459 von den Türken geschlagen. Hier ließ Mohammed II. im Jahre darauf nach Einnahme der Burg alles, was darin geathmet, auch die Thiere, niederhauen. Endlich war der Paß auch im letzten Kriege von den Griechen stark besetzt, und nur das Ungeschick ihres Führers Kolokotronis trug die Schuld, daß Ibrahim Paschas Aegypter ,du ohne Blutvergießen zu gewinnen vermochten. In der Ferne gegen Nordwesten hin sieht man von der Höhe über Leondari die Stadt Kanten« mit ihrer alten Burg. In der Mitte der Ebene lag die nach der Schlacht bei Leuktra gegründete Stadt Megalopolis. Unser Reisehandbuch sagte uns. daß von ihr nur die Reste eines Theaters und einer großen steinernen Brücke über den hier dem Alpheus zuströmenden Bach Helissvs übrig sind, und da wir nicht archäologischer Studien halber reisten, so ließen wir die Stelle unbesucht. Da der Boden vom Regen feucht war, so mußten wir uns wohl oder übel bequemen, im Khan zu schlafen, indem man uns die beiden Zimmer des obern Stockwerks einräumte, während die untern Räume von einer Kara- vane von Maulthiertreibern eingenommen waren. Unsere eine Stube enthielt den Herd, die andere schien das Staatszimmer des Hauses zu sein, war aber trotzdem einfach genug. Die drei Fenster waren blos mit hölzernen Laden geschlossen und ohne den Luxus von Fensterscheiben. Die Wände waren weiß getüncht und später von geschickter, wenn auch nicht grade künstlerischer Hand mit den Trophäen von Wanzcnjagden geschmückt worden, deren Gesammtein- druck sich dem von geäderten Marmor näherte. Aus der einen Seite befand sich eine Nische mit einem bunten Heiligenbilde auf einem Papierbogen, vor dem eine kleine Lampe brannte, und um das, nach verschiedenen unbeschreib¬ lichen Spuren zu urtheilen, jene Schlachten sich concentrirt zu haben und das Blutvergießen am schrecklichsten gewesen zu sein schien. Auf dem Sims der Nische standen Töpfchen und Flaschen. Daneben hatte der Vogel des Frie¬ dens, eine Schwalbe, ihr Nest gebaut, aus dem die gelbschnäbeligen Jungen neugierig auf die Franken herabschauten, denen hier der Tisch gedeckt wurde. Die Stubendecke war von rohen Bretern. Die Ritzen in den Wänden hatte man mit Papier verstopft. Das Möblement bestand, wenn man die Säcke nicht an¬ rechnen wollte, die unter der Nische standen und die Stelle von Kommoden und Sekretären vertraten, außer einem wackligen Tisch und zwei plumpen Holzstühlen nur aus einem kleinen Spiegel, der so hoffnungslos vom grauen Staar heimgesucht war, daß wir von vornherein darauf verzichteten, uns von ihm sagen zu lassen, ob wir noch Ähnlichkeit mit civilisirten Menschen hätten. Das Hauptprachtstück endlich war eine Reihe von Kupfern, mit denen der Wirth die Wand, wo der Spiegel hing (wahrscheinlich die Ehrenseitc), beklebt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/516>, abgerufen am 22.07.2024.