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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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thümlicher Dialekt. bekannt durch die Abhandlung von Thiersch, sich gegen¬
wärtig immer mehr verlieren soll.

Unsere Zeit gestattete uns nicht, Ausflüge nach Süden zu machen, wo
an dem Hügel, den jetzt eine kleine Kirche krönt, Reste des alten Amyklä an¬
zutreffen sind. Wir brachen am nächsten Morgen, zunächst den Eurotas strom¬
aufwärts gehend, nach Leondari in Südarkadicn auf. Der Weg läuft, bald
bergan, bald bergab, bisweilen an der Kante von Abgründen hinführend,
bisweilen bis hart an den Rand des Flußbettes hinabsteigend, zwischen letz¬
terem und den mit Strauchwerk bewachsenen Hügeln hin, welche die unterste
Stufe des Taygctus bilden. Die Landschaft im Thale, das hier nur halb so
breit und weniger angeballt als bei Sparta rst, ist anmuthig. Die Ufer sind
von Oleandern umblüht. Daneben wachsen Hecken von wilden Rosen, Jv-
hannisbrotbänme mit hellgrünen glänzenden Blättern und Massen von Schoten¬
dolden, Platanen, um die sich Ephen und Neben ranken, Brombeeren, wilde
Birnbäume und mancherlei anderes Gebüsch, in dem wir den Ruf von Nach¬
tigallen hörten, während die Pausen von-dem Rauschen des Flusses über
kleine Wehre ausgefüllt wurden, an denen man Reußen gelegt hatte. Wo
die Hügelkette sich zu Thälern senkte, blickten" wir nach den weißen Gipfeln
und den schwarzblauen Schluchten des Hochgebirgs hinauf, das fortmährend
in anderer Bestürzung, immer aber großartig erfcheuiend, den prachtvollsten
Contrast zu der idyllischen Lieblichkeit des Thales bildet.

Bei unserm Frühstück, das wir bei einem einsamen Hanse am Ufer hiel¬
ten, stellte sich in einem Wahnsinnigen ein seltsamer Gast ein. Es war ein
kleiner alter Mann mit stachligen Bart, tiefliegenden stechenden Augen, son¬
nenverbranntem verwittertem Gesicht und schwieligen, aufgesprungenen Fu߬
sohlen, der auf Spiros Frage mit dünner Kinderstimme einsilbige Antworten
gab. Er war seit zehn Jahren schon von Teufeln besessen, die ihn nicht
ruhen und nie unter einem Dache schlafen ließen. Mit außerordentlicher Mus-
kelstärke begabt, war er diesen Morgen auf einem der Gipfel des Taygetus
gewesen und wollte in einer Stunde in dem anderthalb Meilen von hier ent¬
fernten Sparta sein. Wir gaben ihm eines von unsern Broden, aber obwol
er sicher hungrig genug war, behielt er es, so lange wir uns verweilten,
ohne zu essen in der Hand, betrachtete es, als ob er nicht wüßte, was damit
zu machen, zuckte mit den Achseln und betrachtete es von neuem.

Eine Strecke weiter hielten wir vor einem Khan, um uns zum Ritt über
das Gebirg mit einem Glase Wein zu stärken. Während uns der Wirth
einschenkte, kam die Frau heraus und fragte, indem sie mir ein siebförmigeö
Gesäß mit Seidenwürmern zeigte, welche gierig Maulbeerblätter verspeisten,
ob die Thiere gut wären. Die Coconernte war, wie Spiro erklärte, im ver¬
gangenen Jahre schlecht ausgefallen, und man hielt uns für Kenner. Ich


thümlicher Dialekt. bekannt durch die Abhandlung von Thiersch, sich gegen¬
wärtig immer mehr verlieren soll.

Unsere Zeit gestattete uns nicht, Ausflüge nach Süden zu machen, wo
an dem Hügel, den jetzt eine kleine Kirche krönt, Reste des alten Amyklä an¬
zutreffen sind. Wir brachen am nächsten Morgen, zunächst den Eurotas strom¬
aufwärts gehend, nach Leondari in Südarkadicn auf. Der Weg läuft, bald
bergan, bald bergab, bisweilen an der Kante von Abgründen hinführend,
bisweilen bis hart an den Rand des Flußbettes hinabsteigend, zwischen letz¬
terem und den mit Strauchwerk bewachsenen Hügeln hin, welche die unterste
Stufe des Taygctus bilden. Die Landschaft im Thale, das hier nur halb so
breit und weniger angeballt als bei Sparta rst, ist anmuthig. Die Ufer sind
von Oleandern umblüht. Daneben wachsen Hecken von wilden Rosen, Jv-
hannisbrotbänme mit hellgrünen glänzenden Blättern und Massen von Schoten¬
dolden, Platanen, um die sich Ephen und Neben ranken, Brombeeren, wilde
Birnbäume und mancherlei anderes Gebüsch, in dem wir den Ruf von Nach¬
tigallen hörten, während die Pausen von-dem Rauschen des Flusses über
kleine Wehre ausgefüllt wurden, an denen man Reußen gelegt hatte. Wo
die Hügelkette sich zu Thälern senkte, blickten» wir nach den weißen Gipfeln
und den schwarzblauen Schluchten des Hochgebirgs hinauf, das fortmährend
in anderer Bestürzung, immer aber großartig erfcheuiend, den prachtvollsten
Contrast zu der idyllischen Lieblichkeit des Thales bildet.

Bei unserm Frühstück, das wir bei einem einsamen Hanse am Ufer hiel¬
ten, stellte sich in einem Wahnsinnigen ein seltsamer Gast ein. Es war ein
kleiner alter Mann mit stachligen Bart, tiefliegenden stechenden Augen, son¬
nenverbranntem verwittertem Gesicht und schwieligen, aufgesprungenen Fu߬
sohlen, der auf Spiros Frage mit dünner Kinderstimme einsilbige Antworten
gab. Er war seit zehn Jahren schon von Teufeln besessen, die ihn nicht
ruhen und nie unter einem Dache schlafen ließen. Mit außerordentlicher Mus-
kelstärke begabt, war er diesen Morgen auf einem der Gipfel des Taygetus
gewesen und wollte in einer Stunde in dem anderthalb Meilen von hier ent¬
fernten Sparta sein. Wir gaben ihm eines von unsern Broden, aber obwol
er sicher hungrig genug war, behielt er es, so lange wir uns verweilten,
ohne zu essen in der Hand, betrachtete es, als ob er nicht wüßte, was damit
zu machen, zuckte mit den Achseln und betrachtete es von neuem.

Eine Strecke weiter hielten wir vor einem Khan, um uns zum Ritt über
das Gebirg mit einem Glase Wein zu stärken. Während uns der Wirth
einschenkte, kam die Frau heraus und fragte, indem sie mir ein siebförmigeö
Gesäß mit Seidenwürmern zeigte, welche gierig Maulbeerblätter verspeisten,
ob die Thiere gut wären. Die Coconernte war, wie Spiro erklärte, im ver¬
gangenen Jahre schlecht ausgefallen, und man hielt uns für Kenner. Ich


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[0514] thümlicher Dialekt. bekannt durch die Abhandlung von Thiersch, sich gegen¬ wärtig immer mehr verlieren soll. Unsere Zeit gestattete uns nicht, Ausflüge nach Süden zu machen, wo an dem Hügel, den jetzt eine kleine Kirche krönt, Reste des alten Amyklä an¬ zutreffen sind. Wir brachen am nächsten Morgen, zunächst den Eurotas strom¬ aufwärts gehend, nach Leondari in Südarkadicn auf. Der Weg läuft, bald bergan, bald bergab, bisweilen an der Kante von Abgründen hinführend, bisweilen bis hart an den Rand des Flußbettes hinabsteigend, zwischen letz¬ terem und den mit Strauchwerk bewachsenen Hügeln hin, welche die unterste Stufe des Taygctus bilden. Die Landschaft im Thale, das hier nur halb so breit und weniger angeballt als bei Sparta rst, ist anmuthig. Die Ufer sind von Oleandern umblüht. Daneben wachsen Hecken von wilden Rosen, Jv- hannisbrotbänme mit hellgrünen glänzenden Blättern und Massen von Schoten¬ dolden, Platanen, um die sich Ephen und Neben ranken, Brombeeren, wilde Birnbäume und mancherlei anderes Gebüsch, in dem wir den Ruf von Nach¬ tigallen hörten, während die Pausen von-dem Rauschen des Flusses über kleine Wehre ausgefüllt wurden, an denen man Reußen gelegt hatte. Wo die Hügelkette sich zu Thälern senkte, blickten» wir nach den weißen Gipfeln und den schwarzblauen Schluchten des Hochgebirgs hinauf, das fortmährend in anderer Bestürzung, immer aber großartig erfcheuiend, den prachtvollsten Contrast zu der idyllischen Lieblichkeit des Thales bildet. Bei unserm Frühstück, das wir bei einem einsamen Hanse am Ufer hiel¬ ten, stellte sich in einem Wahnsinnigen ein seltsamer Gast ein. Es war ein kleiner alter Mann mit stachligen Bart, tiefliegenden stechenden Augen, son¬ nenverbranntem verwittertem Gesicht und schwieligen, aufgesprungenen Fu߬ sohlen, der auf Spiros Frage mit dünner Kinderstimme einsilbige Antworten gab. Er war seit zehn Jahren schon von Teufeln besessen, die ihn nicht ruhen und nie unter einem Dache schlafen ließen. Mit außerordentlicher Mus- kelstärke begabt, war er diesen Morgen auf einem der Gipfel des Taygetus gewesen und wollte in einer Stunde in dem anderthalb Meilen von hier ent¬ fernten Sparta sein. Wir gaben ihm eines von unsern Broden, aber obwol er sicher hungrig genug war, behielt er es, so lange wir uns verweilten, ohne zu essen in der Hand, betrachtete es, als ob er nicht wüßte, was damit zu machen, zuckte mit den Achseln und betrachtete es von neuem. Eine Strecke weiter hielten wir vor einem Khan, um uns zum Ritt über das Gebirg mit einem Glase Wein zu stärken. Während uns der Wirth einschenkte, kam die Frau heraus und fragte, indem sie mir ein siebförmigeö Gesäß mit Seidenwürmern zeigte, welche gierig Maulbeerblätter verspeisten, ob die Thiere gut wären. Die Coconernte war, wie Spiro erklärte, im ver¬ gangenen Jahre schlecht ausgefallen, und man hielt uns für Kenner. Ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/514>, abgerufen am 22.07.2024.