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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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hältniß zwischen Fürsten und Unterthanen-, nicht eine vernünftige Beschränkung
der fürstlichen Machtvollkommenheit, sondern eine unwürdige Abhängigkeit der
Fürsten vom guten Willen der Vasallen entstand daraus. Durch diese künst¬
liche Zwickmühle fühlten sich die Fürsten veranlaßt, den Landständen, aber
immer doch nur als Vertretern des ganzen Landes. Assecurationsrcverse auszu¬
stellen (1 572 und 1621), worin dieselben in das Fortbestehen einer vernünf¬
tigen Beschränkung ihrer fürstlichen Machtvollkommenheit einwilligten.

Leider übersah man bei diesen Verhandlungen, daß durch das Ausschei¬
den der Prälaten der ganze Feudalbau, obgleich die Leibeigenschaft noch be¬
stand, einen großen Riß bekommen hatte. War die Ritterschaft einerseits be¬
reit, die Last des Theils der Vertretung des Landes, welche bisher von den
Prälaten getragen war, mit auf ihre Schultern zu nehmen, so wurde auch
die Machtvollkommenheit dieses ursprünglichen zweiten Standes über alle
Gebühr vermehrt, "und man hätte wol voraussehen können, daß dieselbe jeden¬
falls eine Versuchung zu Überschätzungen, Unterschlagungen und Betretung
von Abwegen mit sich fuhr'en mußte. Man sah davon an höchster Stelle
nichts oder wollte nichts sehen, und so entwickelte sich die noch heute bestehende
maßlose Machtstellung der mecklenburgischen Ritterschaft, die in der Praxis
einer Oligarchie nahekommt, und wodurch das monarchische Princip mehr
gefährdet erscheint, als durch irgend eine noch so weit gehende constitutionelle
Verfassung.

Das Gelüste der Ritterschaft, die Klöster als ihr Privateigenthum anzu¬
sehen^ zeigte sich zuerst im Jahre 1561, wo sie den Fürsten die Bitte vor¬
trug, "daß die geistlichen Güter zur Erhaltung der alten adeligen Familien
conservirt bleiben, möchten", wobei hier aber schon bemerkt werden muß, daß
diese Bitte um eine so absonderliche Nutznießung nirgend und zwar bis auf
den heutigen Tag von den mecklenburgischen Fürsten gewährt, auch niemals
von den Gesammtständen approbirt ist; eine Gesetzeskraft des augenblicklichen
Nießbrauchs der Klöster hat mithin niemals bis zur Stunde eintreten können.
Wie wenig dieses Gelüste auf ein Recht basirt war, leuchtet deutlich aus dem
schon angeführten Assecurationsrevers von 1572 hervor, wo den Gesammt¬
ständen die Klöster zur Verwaltung übergeben werden und alle Einwohner
Mecklenburgs dazu beitragen müssen, die 460,000 Gulden.auszubringen.

Diese Summe ist so wenig von den adeligen Familien aufgebracht, als ihnen
die Klöster überwiesen sind. Dennoch nahm der Adel die Klöster als eine
gute Prise an sich, gab die Conventualinnenstellen seinen Töchtern, nicht blos
den gebrechlichen, sondern ganz gesunden, vermehrte diese Stellen und ließ
allmälig den Hauptzweck, die "Erziehung der weiblichen Jugend des Landes"
ganz unbeachtet. Schon 1619 bestanden keine Schulen mehr. Mit der Ver¬
mehrung der Klostereinkünfte, die nach dem dreißigjährigen Krieg eintrat, stieg


hältniß zwischen Fürsten und Unterthanen-, nicht eine vernünftige Beschränkung
der fürstlichen Machtvollkommenheit, sondern eine unwürdige Abhängigkeit der
Fürsten vom guten Willen der Vasallen entstand daraus. Durch diese künst¬
liche Zwickmühle fühlten sich die Fürsten veranlaßt, den Landständen, aber
immer doch nur als Vertretern des ganzen Landes. Assecurationsrcverse auszu¬
stellen (1 572 und 1621), worin dieselben in das Fortbestehen einer vernünf¬
tigen Beschränkung ihrer fürstlichen Machtvollkommenheit einwilligten.

Leider übersah man bei diesen Verhandlungen, daß durch das Ausschei¬
den der Prälaten der ganze Feudalbau, obgleich die Leibeigenschaft noch be¬
stand, einen großen Riß bekommen hatte. War die Ritterschaft einerseits be¬
reit, die Last des Theils der Vertretung des Landes, welche bisher von den
Prälaten getragen war, mit auf ihre Schultern zu nehmen, so wurde auch
die Machtvollkommenheit dieses ursprünglichen zweiten Standes über alle
Gebühr vermehrt, «und man hätte wol voraussehen können, daß dieselbe jeden¬
falls eine Versuchung zu Überschätzungen, Unterschlagungen und Betretung
von Abwegen mit sich fuhr'en mußte. Man sah davon an höchster Stelle
nichts oder wollte nichts sehen, und so entwickelte sich die noch heute bestehende
maßlose Machtstellung der mecklenburgischen Ritterschaft, die in der Praxis
einer Oligarchie nahekommt, und wodurch das monarchische Princip mehr
gefährdet erscheint, als durch irgend eine noch so weit gehende constitutionelle
Verfassung.

Das Gelüste der Ritterschaft, die Klöster als ihr Privateigenthum anzu¬
sehen^ zeigte sich zuerst im Jahre 1561, wo sie den Fürsten die Bitte vor¬
trug, „daß die geistlichen Güter zur Erhaltung der alten adeligen Familien
conservirt bleiben, möchten", wobei hier aber schon bemerkt werden muß, daß
diese Bitte um eine so absonderliche Nutznießung nirgend und zwar bis auf
den heutigen Tag von den mecklenburgischen Fürsten gewährt, auch niemals
von den Gesammtständen approbirt ist; eine Gesetzeskraft des augenblicklichen
Nießbrauchs der Klöster hat mithin niemals bis zur Stunde eintreten können.
Wie wenig dieses Gelüste auf ein Recht basirt war, leuchtet deutlich aus dem
schon angeführten Assecurationsrevers von 1572 hervor, wo den Gesammt¬
ständen die Klöster zur Verwaltung übergeben werden und alle Einwohner
Mecklenburgs dazu beitragen müssen, die 460,000 Gulden.auszubringen.

Diese Summe ist so wenig von den adeligen Familien aufgebracht, als ihnen
die Klöster überwiesen sind. Dennoch nahm der Adel die Klöster als eine
gute Prise an sich, gab die Conventualinnenstellen seinen Töchtern, nicht blos
den gebrechlichen, sondern ganz gesunden, vermehrte diese Stellen und ließ
allmälig den Hauptzweck, die „Erziehung der weiblichen Jugend des Landes"
ganz unbeachtet. Schon 1619 bestanden keine Schulen mehr. Mit der Ver¬
mehrung der Klostereinkünfte, die nach dem dreißigjährigen Krieg eintrat, stieg


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/501>, abgerufen am 22.07.2024.