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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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ihr die alten Provinzialstände wieder ins Leben gerufen. In dieser Form
führen sie ein verkümmertes, ein unhaltbares Dasein; an und für sich aber
sind sie, um dem Verfassungsleben eine organische Grundlage zu geben, von
der größten Wichtigkeit, und eine neue Gestaltung der Provinziallandtage nach
den Principien der Verfassung muß die Reorganisation der Kreistage und die
neue Gemeindeordnung ergänzen. Endlich bedarf der Wahlmodus einer Re¬
form. Er hat den großen Nachtheil einer sinnlichen Unklarheit. Herr von
Thadden - Trig lass hat sich früher spöttisch über die Unzweckmäßigst ge¬
äußert, so und so viel Pfund Menschenfleisch und Menschenknochen zu einer
Wahleinheit zu constitmren, aber noch wunderlicher ist es, diese so und so
viel Pfund Menschenfleisch und Menschenknochen, indem man den von ihnen
erhobenen Steuersatz durch drei dividirt, in drei Classen zu zerlegen, aus die¬
sen Classen Wahlmänner und daraus endlich die Gewählten hervorgehn zu
lassen. Dieser Wahlmodus ist so complicirt, so wenig anschaulich, daß es
keinem der Betheiligten klar werden kann, was er eigentlich innerhalb dessel¬
ben sür eine Rolle spielt. Von einem wahren, jedem Wähler verständ¬
lichen Act kann nur bei directen Wahlen die Rede sein.

Ueber alle diese Punkte behalten wir uns vor, unsere Ueberzeugung aus¬
führlicher zu motiviren, da die Sache wol gegenwärtig die wichtigste ist, um
die es sich überhaupt in Deutschland handelt. Nur auf eins machen wir noch
aufmerksam, daß nicht blos die Gesetzgebung, sondern die Controle der Aus¬
übung der Gesetze dem Landtag anheimfällt. Es ist von der größten Wich¬
tigkeit, die Verwaltung fortwährend darauf aufmerksam zu macheu, so laut
und vernehmlich, daß sie es hören muß, daß die Freiheit des Bürgers nicht
blos aus gesetzlich lgarantirten Privilegien besteht, sondern daß sie so weit
reicht, als sie Gesetze nicht einengen. So ist z. B. so viel uns bekannt in
allen Ländern Grundsatz, daß jeder Staatsangehörige innerhalb des Staats
nach Belieben seinen Wohnplatz wählen kann, falls er nachweist, dort seinen
Lebensunterhalt zu finden und der Commune nicht zur Last zu fallen. In
Preußen hat sich aber die Praxis herausgestellt, daß man auch preußische
Unterthanen aus Orten, wo sie unbequem werden können, von Stnatswegen
ohne weiteres ausweist. Es ist dies nur einer von den vielen Fällen, die es
nöthig machen, durch eine neue gesetzliche Bestimmung außer Frage zu stellen,
was sich eigentlich ganz von selbst versteht. Die bisherige Opposition hat es
zwar nicht daran fehlen lassen, von Zeit zu Zeit aus solche Uebelstände hin-
- zuweisen, aber es hatte in der That etwas vernehmlicher geschehen tonnen,
und auch aus diesem Grunde wünschen wir, daß man bei den gegenwärtig
bevorstehenden, Wahlen mit Beseitigung aller historischen und speculativen
Parteiunterschiede hauptsächlich solche Männer wählt, die das Herz und den
Mund auf dem rechten Flecke haben. Der Landtag hat, um es noch einmal


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ihr die alten Provinzialstände wieder ins Leben gerufen. In dieser Form
führen sie ein verkümmertes, ein unhaltbares Dasein; an und für sich aber
sind sie, um dem Verfassungsleben eine organische Grundlage zu geben, von
der größten Wichtigkeit, und eine neue Gestaltung der Provinziallandtage nach
den Principien der Verfassung muß die Reorganisation der Kreistage und die
neue Gemeindeordnung ergänzen. Endlich bedarf der Wahlmodus einer Re¬
form. Er hat den großen Nachtheil einer sinnlichen Unklarheit. Herr von
Thadden - Trig lass hat sich früher spöttisch über die Unzweckmäßigst ge¬
äußert, so und so viel Pfund Menschenfleisch und Menschenknochen zu einer
Wahleinheit zu constitmren, aber noch wunderlicher ist es, diese so und so
viel Pfund Menschenfleisch und Menschenknochen, indem man den von ihnen
erhobenen Steuersatz durch drei dividirt, in drei Classen zu zerlegen, aus die¬
sen Classen Wahlmänner und daraus endlich die Gewählten hervorgehn zu
lassen. Dieser Wahlmodus ist so complicirt, so wenig anschaulich, daß es
keinem der Betheiligten klar werden kann, was er eigentlich innerhalb dessel¬
ben sür eine Rolle spielt. Von einem wahren, jedem Wähler verständ¬
lichen Act kann nur bei directen Wahlen die Rede sein.

Ueber alle diese Punkte behalten wir uns vor, unsere Ueberzeugung aus¬
führlicher zu motiviren, da die Sache wol gegenwärtig die wichtigste ist, um
die es sich überhaupt in Deutschland handelt. Nur auf eins machen wir noch
aufmerksam, daß nicht blos die Gesetzgebung, sondern die Controle der Aus¬
übung der Gesetze dem Landtag anheimfällt. Es ist von der größten Wich¬
tigkeit, die Verwaltung fortwährend darauf aufmerksam zu macheu, so laut
und vernehmlich, daß sie es hören muß, daß die Freiheit des Bürgers nicht
blos aus gesetzlich lgarantirten Privilegien besteht, sondern daß sie so weit
reicht, als sie Gesetze nicht einengen. So ist z. B. so viel uns bekannt in
allen Ländern Grundsatz, daß jeder Staatsangehörige innerhalb des Staats
nach Belieben seinen Wohnplatz wählen kann, falls er nachweist, dort seinen
Lebensunterhalt zu finden und der Commune nicht zur Last zu fallen. In
Preußen hat sich aber die Praxis herausgestellt, daß man auch preußische
Unterthanen aus Orten, wo sie unbequem werden können, von Stnatswegen
ohne weiteres ausweist. Es ist dies nur einer von den vielen Fällen, die es
nöthig machen, durch eine neue gesetzliche Bestimmung außer Frage zu stellen,
was sich eigentlich ganz von selbst versteht. Die bisherige Opposition hat es
zwar nicht daran fehlen lassen, von Zeit zu Zeit aus solche Uebelstände hin-
- zuweisen, aber es hatte in der That etwas vernehmlicher geschehen tonnen,
und auch aus diesem Grunde wünschen wir, daß man bei den gegenwärtig
bevorstehenden, Wahlen mit Beseitigung aller historischen und speculativen
Parteiunterschiede hauptsächlich solche Männer wählt, die das Herz und den
Mund auf dem rechten Flecke haben. Der Landtag hat, um es noch einmal


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[0497] ihr die alten Provinzialstände wieder ins Leben gerufen. In dieser Form führen sie ein verkümmertes, ein unhaltbares Dasein; an und für sich aber sind sie, um dem Verfassungsleben eine organische Grundlage zu geben, von der größten Wichtigkeit, und eine neue Gestaltung der Provinziallandtage nach den Principien der Verfassung muß die Reorganisation der Kreistage und die neue Gemeindeordnung ergänzen. Endlich bedarf der Wahlmodus einer Re¬ form. Er hat den großen Nachtheil einer sinnlichen Unklarheit. Herr von Thadden - Trig lass hat sich früher spöttisch über die Unzweckmäßigst ge¬ äußert, so und so viel Pfund Menschenfleisch und Menschenknochen zu einer Wahleinheit zu constitmren, aber noch wunderlicher ist es, diese so und so viel Pfund Menschenfleisch und Menschenknochen, indem man den von ihnen erhobenen Steuersatz durch drei dividirt, in drei Classen zu zerlegen, aus die¬ sen Classen Wahlmänner und daraus endlich die Gewählten hervorgehn zu lassen. Dieser Wahlmodus ist so complicirt, so wenig anschaulich, daß es keinem der Betheiligten klar werden kann, was er eigentlich innerhalb dessel¬ ben sür eine Rolle spielt. Von einem wahren, jedem Wähler verständ¬ lichen Act kann nur bei directen Wahlen die Rede sein. Ueber alle diese Punkte behalten wir uns vor, unsere Ueberzeugung aus¬ führlicher zu motiviren, da die Sache wol gegenwärtig die wichtigste ist, um die es sich überhaupt in Deutschland handelt. Nur auf eins machen wir noch aufmerksam, daß nicht blos die Gesetzgebung, sondern die Controle der Aus¬ übung der Gesetze dem Landtag anheimfällt. Es ist von der größten Wich¬ tigkeit, die Verwaltung fortwährend darauf aufmerksam zu macheu, so laut und vernehmlich, daß sie es hören muß, daß die Freiheit des Bürgers nicht blos aus gesetzlich lgarantirten Privilegien besteht, sondern daß sie so weit reicht, als sie Gesetze nicht einengen. So ist z. B. so viel uns bekannt in allen Ländern Grundsatz, daß jeder Staatsangehörige innerhalb des Staats nach Belieben seinen Wohnplatz wählen kann, falls er nachweist, dort seinen Lebensunterhalt zu finden und der Commune nicht zur Last zu fallen. In Preußen hat sich aber die Praxis herausgestellt, daß man auch preußische Unterthanen aus Orten, wo sie unbequem werden können, von Stnatswegen ohne weiteres ausweist. Es ist dies nur einer von den vielen Fällen, die es nöthig machen, durch eine neue gesetzliche Bestimmung außer Frage zu stellen, was sich eigentlich ganz von selbst versteht. Die bisherige Opposition hat es zwar nicht daran fehlen lassen, von Zeit zu Zeit aus solche Uebelstände hin- - zuweisen, aber es hatte in der That etwas vernehmlicher geschehen tonnen, und auch aus diesem Grunde wünschen wir, daß man bei den gegenwärtig bevorstehenden, Wahlen mit Beseitigung aller historischen und speculativen Parteiunterschiede hauptsächlich solche Männer wählt, die das Herz und den Mund auf dem rechten Flecke haben. Der Landtag hat, um es noch einmal Grenzboten 1858. l>2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/497>, abgerufen am 22.07.2024.