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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Einfluß ausübt. Dieser Einfluß ist freilich durch den Wahlmodus wie durch
die Handhabung desselben ungebührlich gesteigert, aber herausstellen wird er
sich jedesmal. Ein sehr schlimmer Umstand ist dabei, daß der größere Theil
der Ritterschaft, weil die Revolution ihre Interessen am unmittelbarsten be¬
drohte, sich der Leitung einer doctrinnren Partei in die Hände gegeben hat,
die seit drei Jahren factisch in der Verwaltung wie in dem Landtag dominirt.
Sie hatte früher über ihre Fähigkeit und ihren guten Willen, den Staat durch
neue organische Einrichtungen wieder herzustellen, sie hatte mit so viel Ver¬
achtung von dem Mechanismus der Büreaukratie gesprochen, daß man von
dieser Legislatur das Größte hoffte oder fürchtete; wenn man aber davon ab¬
sieht, daß einige Paragraphen der Verfassung gestrichen sind, so ist in diesen
drei Jahren nichts geschehn, und namentlich hat der geistige Führer der Partei,
Herr Wagener, sür die Durchführung seiner Lieblingsprojecte z'. B. die
"Immobilisi
erung des Capitals", nicht einmal einen Versuch gemacht. Es war
vollkommen in der Ordnung, daß während dieser Periode die Opposition sich
hauptsächlich in der Defensive hielt, daß sie die Verfassung gegen den Zer¬
störungstrieb der äußersten Rechten zu schützen suchte. Es scheint aber jetzt der
Zeitpunkt gekommen zu sein, zu einer aggressiven Stellung überzugehn.

Die Verfassung ist in der That einer Verbesserung nicht blos fähig, son¬
dern dringend bedürftig, und viele von den Beschwerden der äußersten Rechten
sind vollkommen begründet. Freilich hat sie bei den schlimmsten dieser Be¬
schwerden gegen die Opposition gekämpft, wie denn überhaupt ihre Werke
nicht selten anders sind als ihre Worte.

Vor drei Jahren hat die Regierung durch ihre Organe offen erklärt, daß
sie den Wahlkreis nicht als einen gesetzlich fixirten. betrachtet, sondern sich vor¬
behält, ihn nach Gründen politischer Zweckmäßigkeit so oder anders zu bestim¬
men. Um an einem Ort, wo viele Katholiken oder viele Polen oder viele Liberale
zusammen sind, den Einfluß dieser Parteien zu hintertreiben, bringt sie künst¬
lich einen Wahlkreis zusammen, der weder geographisch noch durch eine ad¬
ministrative oder sittliche Einheit bestimmt ist. Hier liegt -die Sache so klar,
baß man keine weiteren Worte darüber verlieren darf, es ist aber noch ein
zweiter Umstand hinzuzufügen. Wenn die Wählerschaft wirklich eine Einheit
bilden soll, so muß sie bereits administrativ geeinigt sein, mit andern Worten
die natürlichen Wahlkreise sind die landräthlichen Kreise, und es ist uns bis
jetzt auch noch nicht ein scheinbarer Grund bekannt geworden, warum man
zwei oder drei Kreise zusammenlegt, um zwei oder drei Deputirte wählen zu
lassen. Unmittelbar mit dieser Forderung hängt die> Regeneration der Kreis¬
tage nach den Principien der neuen Verfassung, und, was davon nicht zu
trennen ist, die endliche Durchführung der Gemeindeordnung zusammen. Fer¬
ner hat man neben der neuen Verfassung und im directesten Widerspruch mit


Einfluß ausübt. Dieser Einfluß ist freilich durch den Wahlmodus wie durch
die Handhabung desselben ungebührlich gesteigert, aber herausstellen wird er
sich jedesmal. Ein sehr schlimmer Umstand ist dabei, daß der größere Theil
der Ritterschaft, weil die Revolution ihre Interessen am unmittelbarsten be¬
drohte, sich der Leitung einer doctrinnren Partei in die Hände gegeben hat,
die seit drei Jahren factisch in der Verwaltung wie in dem Landtag dominirt.
Sie hatte früher über ihre Fähigkeit und ihren guten Willen, den Staat durch
neue organische Einrichtungen wieder herzustellen, sie hatte mit so viel Ver¬
achtung von dem Mechanismus der Büreaukratie gesprochen, daß man von
dieser Legislatur das Größte hoffte oder fürchtete; wenn man aber davon ab¬
sieht, daß einige Paragraphen der Verfassung gestrichen sind, so ist in diesen
drei Jahren nichts geschehn, und namentlich hat der geistige Führer der Partei,
Herr Wagener, sür die Durchführung seiner Lieblingsprojecte z'. B. die
„Immobilisi
erung des Capitals", nicht einmal einen Versuch gemacht. Es war
vollkommen in der Ordnung, daß während dieser Periode die Opposition sich
hauptsächlich in der Defensive hielt, daß sie die Verfassung gegen den Zer¬
störungstrieb der äußersten Rechten zu schützen suchte. Es scheint aber jetzt der
Zeitpunkt gekommen zu sein, zu einer aggressiven Stellung überzugehn.

Die Verfassung ist in der That einer Verbesserung nicht blos fähig, son¬
dern dringend bedürftig, und viele von den Beschwerden der äußersten Rechten
sind vollkommen begründet. Freilich hat sie bei den schlimmsten dieser Be¬
schwerden gegen die Opposition gekämpft, wie denn überhaupt ihre Werke
nicht selten anders sind als ihre Worte.

Vor drei Jahren hat die Regierung durch ihre Organe offen erklärt, daß
sie den Wahlkreis nicht als einen gesetzlich fixirten. betrachtet, sondern sich vor¬
behält, ihn nach Gründen politischer Zweckmäßigkeit so oder anders zu bestim¬
men. Um an einem Ort, wo viele Katholiken oder viele Polen oder viele Liberale
zusammen sind, den Einfluß dieser Parteien zu hintertreiben, bringt sie künst¬
lich einen Wahlkreis zusammen, der weder geographisch noch durch eine ad¬
ministrative oder sittliche Einheit bestimmt ist. Hier liegt -die Sache so klar,
baß man keine weiteren Worte darüber verlieren darf, es ist aber noch ein
zweiter Umstand hinzuzufügen. Wenn die Wählerschaft wirklich eine Einheit
bilden soll, so muß sie bereits administrativ geeinigt sein, mit andern Worten
die natürlichen Wahlkreise sind die landräthlichen Kreise, und es ist uns bis
jetzt auch noch nicht ein scheinbarer Grund bekannt geworden, warum man
zwei oder drei Kreise zusammenlegt, um zwei oder drei Deputirte wählen zu
lassen. Unmittelbar mit dieser Forderung hängt die> Regeneration der Kreis¬
tage nach den Principien der neuen Verfassung, und, was davon nicht zu
trennen ist, die endliche Durchführung der Gemeindeordnung zusammen. Fer¬
ner hat man neben der neuen Verfassung und im directesten Widerspruch mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/496>, abgerufen am 22.07.2024.