Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den Protestantismus im Morgenlande. Auf dem Rückweg nach unserm Zelt
begegnete uns eine Frau mit einem gelben Turban, die eine Wiege mit einem
kleinen Hellenen wie einen Köcher an einem Bande auf dem Rücken trug.
Beim Essen bekamen wir Besuch von dem Dimarchen, der uns alte Münzen
anbot, welche in den eine Stunde von hier gelegenen Ruinen von Tegea gefun¬
den worden. Der Abend war hier oben, 2800 Fuß über dem Meer, außer¬
ordentlich kalt, so daß es außer dem Zelte kaum auszuhalten war. Der Wein
des Khanwirths entsprach mit seiner Säure diesem hyperborüischen Klima,
und so war uns die erste Nacht in Arkadien nichts weniger als arkadisch zu
Muthe.

Den nächsten Morgen ritten wir, während unsere Maulthiere nach Tri-
politza vorausgingen, am Ostrande der Ebne nach dem Seitenthal, in welchem
die Ruinen von Mantinea liegen. Die Dörfer, an denen wir vorüber-
passirtcn, sahen ziemlich wohlhabend aus. Bei dem einen butterten Frauen
auf einer Wiese, während andere am Brunnen wuschen, wieder andere mit
einem Spinnrocken voll Baumwolle umhergingen. Bei einem Hirten, dessen
Hunde uns mit dem landesüblichen Grimm anfielen, tranken wir die erste
Schafmilch. Ein Stück weiter begegneten wir der ersten großen Rinderheerde
in Griechenland. Es war aber nicht eine Kuh darunter, und ich habe auch
im weitern Verlauf der Reise keine gesehen. Mantinea sollte in drei Stun¬
den zu erreichen sein, hatte der Schulmeister gesagt, der allein den alten
Namen des Ortes kannte. Wir waren aber bereits mehr als vierthalb Stun¬
den, und zwar ziemlich scharf geritten, und noch immer wollte sich die gesuchte
Stelle nicht zeigen. Endlich belehrte uns ein Mann, der in einem Wein,
garder arbeitete, daß wir zu weit rechts gekommen seien, und zeigte uns den
Weg, der an einem verlassenen Dorfe vorbei nach dem Kessel, auf dessen
Boden die Ruinen der "alten Stadt" (er nannte sie Paläopolis) sich be¬
finden, führte.

Mantinea hatte zehn Thore und hundertachtzehn Mauerthürme. Es
besaß ein Stadium, einen Tempel des Poseidon und einen Hippodrom.
Ringsum grünten Wälder von Eichen und Korkbäumen, Haine und Gärten.
Davon ist jetzt nichts mehr vorhanden. Wir sahen den von einem Bache
gespeisten, mit Binsen bewachsenen Graben, der die Stadt umgab, sahen die
Mauer mit den viereckigen Thürmen, welche sie in einem dem Oval sich
nähernden Kreise von etwa zwölfhundert Schritt im Durchmesser einschloß,
noch in der Höhe von zwei bis drei Quaderlagcn stehen, sahen im Innern
noch hier und da einige behauene Steine, einige kleine Säulenbruchstücke,
einen Rest des Theaters. Alles Uebrige ist verschwunden, und da, wo einst
vielleicht der Markt gewesen, hatten Hirten ihre Hürden ausgeschlagen. Das
Interesse des Reisenden knüpft sich indeß weniger an die Stadt, als an die


den Protestantismus im Morgenlande. Auf dem Rückweg nach unserm Zelt
begegnete uns eine Frau mit einem gelben Turban, die eine Wiege mit einem
kleinen Hellenen wie einen Köcher an einem Bande auf dem Rücken trug.
Beim Essen bekamen wir Besuch von dem Dimarchen, der uns alte Münzen
anbot, welche in den eine Stunde von hier gelegenen Ruinen von Tegea gefun¬
den worden. Der Abend war hier oben, 2800 Fuß über dem Meer, außer¬
ordentlich kalt, so daß es außer dem Zelte kaum auszuhalten war. Der Wein
des Khanwirths entsprach mit seiner Säure diesem hyperborüischen Klima,
und so war uns die erste Nacht in Arkadien nichts weniger als arkadisch zu
Muthe.

Den nächsten Morgen ritten wir, während unsere Maulthiere nach Tri-
politza vorausgingen, am Ostrande der Ebne nach dem Seitenthal, in welchem
die Ruinen von Mantinea liegen. Die Dörfer, an denen wir vorüber-
passirtcn, sahen ziemlich wohlhabend aus. Bei dem einen butterten Frauen
auf einer Wiese, während andere am Brunnen wuschen, wieder andere mit
einem Spinnrocken voll Baumwolle umhergingen. Bei einem Hirten, dessen
Hunde uns mit dem landesüblichen Grimm anfielen, tranken wir die erste
Schafmilch. Ein Stück weiter begegneten wir der ersten großen Rinderheerde
in Griechenland. Es war aber nicht eine Kuh darunter, und ich habe auch
im weitern Verlauf der Reise keine gesehen. Mantinea sollte in drei Stun¬
den zu erreichen sein, hatte der Schulmeister gesagt, der allein den alten
Namen des Ortes kannte. Wir waren aber bereits mehr als vierthalb Stun¬
den, und zwar ziemlich scharf geritten, und noch immer wollte sich die gesuchte
Stelle nicht zeigen. Endlich belehrte uns ein Mann, der in einem Wein,
garder arbeitete, daß wir zu weit rechts gekommen seien, und zeigte uns den
Weg, der an einem verlassenen Dorfe vorbei nach dem Kessel, auf dessen
Boden die Ruinen der „alten Stadt" (er nannte sie Paläopolis) sich be¬
finden, führte.

Mantinea hatte zehn Thore und hundertachtzehn Mauerthürme. Es
besaß ein Stadium, einen Tempel des Poseidon und einen Hippodrom.
Ringsum grünten Wälder von Eichen und Korkbäumen, Haine und Gärten.
Davon ist jetzt nichts mehr vorhanden. Wir sahen den von einem Bache
gespeisten, mit Binsen bewachsenen Graben, der die Stadt umgab, sahen die
Mauer mit den viereckigen Thürmen, welche sie in einem dem Oval sich
nähernden Kreise von etwa zwölfhundert Schritt im Durchmesser einschloß,
noch in der Höhe von zwei bis drei Quaderlagcn stehen, sahen im Innern
noch hier und da einige behauene Steine, einige kleine Säulenbruchstücke,
einen Rest des Theaters. Alles Uebrige ist verschwunden, und da, wo einst
vielleicht der Markt gewesen, hatten Hirten ihre Hürden ausgeschlagen. Das
Interesse des Reisenden knüpft sich indeß weniger an die Stadt, als an die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0486" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106297"/>
            <p xml:id="ID_1433" prev="#ID_1432"> den Protestantismus im Morgenlande. Auf dem Rückweg nach unserm Zelt<lb/>
begegnete uns eine Frau mit einem gelben Turban, die eine Wiege mit einem<lb/>
kleinen Hellenen wie einen Köcher an einem Bande auf dem Rücken trug.<lb/>
Beim Essen bekamen wir Besuch von dem Dimarchen, der uns alte Münzen<lb/>
anbot, welche in den eine Stunde von hier gelegenen Ruinen von Tegea gefun¬<lb/>
den worden. Der Abend war hier oben, 2800 Fuß über dem Meer, außer¬<lb/>
ordentlich kalt, so daß es außer dem Zelte kaum auszuhalten war. Der Wein<lb/>
des Khanwirths entsprach mit seiner Säure diesem hyperborüischen Klima,<lb/>
und so war uns die erste Nacht in Arkadien nichts weniger als arkadisch zu<lb/>
Muthe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1434"> Den nächsten Morgen ritten wir, während unsere Maulthiere nach Tri-<lb/>
politza vorausgingen, am Ostrande der Ebne nach dem Seitenthal, in welchem<lb/>
die Ruinen von Mantinea liegen. Die Dörfer, an denen wir vorüber-<lb/>
passirtcn, sahen ziemlich wohlhabend aus. Bei dem einen butterten Frauen<lb/>
auf einer Wiese, während andere am Brunnen wuschen, wieder andere mit<lb/>
einem Spinnrocken voll Baumwolle umhergingen. Bei einem Hirten, dessen<lb/>
Hunde uns mit dem landesüblichen Grimm anfielen, tranken wir die erste<lb/>
Schafmilch. Ein Stück weiter begegneten wir der ersten großen Rinderheerde<lb/>
in Griechenland. Es war aber nicht eine Kuh darunter, und ich habe auch<lb/>
im weitern Verlauf der Reise keine gesehen. Mantinea sollte in drei Stun¬<lb/>
den zu erreichen sein, hatte der Schulmeister gesagt, der allein den alten<lb/>
Namen des Ortes kannte. Wir waren aber bereits mehr als vierthalb Stun¬<lb/>
den, und zwar ziemlich scharf geritten, und noch immer wollte sich die gesuchte<lb/>
Stelle nicht zeigen. Endlich belehrte uns ein Mann, der in einem Wein,<lb/>
garder arbeitete, daß wir zu weit rechts gekommen seien, und zeigte uns den<lb/>
Weg, der an einem verlassenen Dorfe vorbei nach dem Kessel, auf dessen<lb/>
Boden die Ruinen der &#x201E;alten Stadt" (er nannte sie Paläopolis) sich be¬<lb/>
finden, führte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1435" next="#ID_1436"> Mantinea hatte zehn Thore und hundertachtzehn Mauerthürme. Es<lb/>
besaß ein Stadium, einen Tempel des Poseidon und einen Hippodrom.<lb/>
Ringsum grünten Wälder von Eichen und Korkbäumen, Haine und Gärten.<lb/>
Davon ist jetzt nichts mehr vorhanden. Wir sahen den von einem Bache<lb/>
gespeisten, mit Binsen bewachsenen Graben, der die Stadt umgab, sahen die<lb/>
Mauer mit den viereckigen Thürmen, welche sie in einem dem Oval sich<lb/>
nähernden Kreise von etwa zwölfhundert Schritt im Durchmesser einschloß,<lb/>
noch in der Höhe von zwei bis drei Quaderlagcn stehen, sahen im Innern<lb/>
noch hier und da einige behauene Steine, einige kleine Säulenbruchstücke,<lb/>
einen Rest des Theaters. Alles Uebrige ist verschwunden, und da, wo einst<lb/>
vielleicht der Markt gewesen, hatten Hirten ihre Hürden ausgeschlagen. Das<lb/>
Interesse des Reisenden knüpft sich indeß weniger an die Stadt, als an die</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0486] den Protestantismus im Morgenlande. Auf dem Rückweg nach unserm Zelt begegnete uns eine Frau mit einem gelben Turban, die eine Wiege mit einem kleinen Hellenen wie einen Köcher an einem Bande auf dem Rücken trug. Beim Essen bekamen wir Besuch von dem Dimarchen, der uns alte Münzen anbot, welche in den eine Stunde von hier gelegenen Ruinen von Tegea gefun¬ den worden. Der Abend war hier oben, 2800 Fuß über dem Meer, außer¬ ordentlich kalt, so daß es außer dem Zelte kaum auszuhalten war. Der Wein des Khanwirths entsprach mit seiner Säure diesem hyperborüischen Klima, und so war uns die erste Nacht in Arkadien nichts weniger als arkadisch zu Muthe. Den nächsten Morgen ritten wir, während unsere Maulthiere nach Tri- politza vorausgingen, am Ostrande der Ebne nach dem Seitenthal, in welchem die Ruinen von Mantinea liegen. Die Dörfer, an denen wir vorüber- passirtcn, sahen ziemlich wohlhabend aus. Bei dem einen butterten Frauen auf einer Wiese, während andere am Brunnen wuschen, wieder andere mit einem Spinnrocken voll Baumwolle umhergingen. Bei einem Hirten, dessen Hunde uns mit dem landesüblichen Grimm anfielen, tranken wir die erste Schafmilch. Ein Stück weiter begegneten wir der ersten großen Rinderheerde in Griechenland. Es war aber nicht eine Kuh darunter, und ich habe auch im weitern Verlauf der Reise keine gesehen. Mantinea sollte in drei Stun¬ den zu erreichen sein, hatte der Schulmeister gesagt, der allein den alten Namen des Ortes kannte. Wir waren aber bereits mehr als vierthalb Stun¬ den, und zwar ziemlich scharf geritten, und noch immer wollte sich die gesuchte Stelle nicht zeigen. Endlich belehrte uns ein Mann, der in einem Wein, garder arbeitete, daß wir zu weit rechts gekommen seien, und zeigte uns den Weg, der an einem verlassenen Dorfe vorbei nach dem Kessel, auf dessen Boden die Ruinen der „alten Stadt" (er nannte sie Paläopolis) sich be¬ finden, führte. Mantinea hatte zehn Thore und hundertachtzehn Mauerthürme. Es besaß ein Stadium, einen Tempel des Poseidon und einen Hippodrom. Ringsum grünten Wälder von Eichen und Korkbäumen, Haine und Gärten. Davon ist jetzt nichts mehr vorhanden. Wir sahen den von einem Bache gespeisten, mit Binsen bewachsenen Graben, der die Stadt umgab, sahen die Mauer mit den viereckigen Thürmen, welche sie in einem dem Oval sich nähernden Kreise von etwa zwölfhundert Schritt im Durchmesser einschloß, noch in der Höhe von zwei bis drei Quaderlagcn stehen, sahen im Innern noch hier und da einige behauene Steine, einige kleine Säulenbruchstücke, einen Rest des Theaters. Alles Uebrige ist verschwunden, und da, wo einst vielleicht der Markt gewesen, hatten Hirten ihre Hürden ausgeschlagen. Das Interesse des Reisenden knüpft sich indeß weniger an die Stadt, als an die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/486
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/486>, abgerufen am 22.07.2024.