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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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cinandergerollt sind, ein Stück der Cella, zwei oder drei Quaderlagen hoch,
und ringsum im Grase ein wüstes Durcheinander von Steinwürfeln, Architrav-
stückcn und Kapitalen. Der Bau hatte ursprünglich 38 Säulen. 6 an jeder
Front, je 14 an den Langseiten. Das Material ist der Kalkstein der Brüche
auf der Ebne von Kleonä, die Ordnung der Säulen die dorische. Der Ein¬
druck der Ruinen ist kein günstiger. Ihre Erscheinung ist in architektonischer
Hinsicht das gerade Gegentheil der Physiognomie des Tempels in Korinth.
Waren dort die Säulen dick, sust wie ägyptische, so sind sie hier schlank wie
jonische, standen sie dort dicht nebeneinander, so sind sie hier durch weite
Zwischenräume getrennt, hatten sie dort ein zu hohes Gebälk, so ist es hier
scheinbar zu niedrig. So fühlt man sich versucht zu glauben, das Ganze
müsse im Vergleich mit den dorischen Tempeln Athens schwächlich, mager, so
zu sagen hochbeinig ausgesehen haben. Indeß ist dabei zu bedenken, daß
man nach diesen geringen Resten nicht über den Bau in seiner Unversehrtheit
urtheilen kann, daß die Alten die Verhältnisse ihrer Architekturwerke überall
der Gegend anpaßten, in die sie bauten, und daß Proportionen, welche sich
für einen Tempel schickten, der auf einer Höhe oder auf einem mit Häusern
umgebenen Markte seine Stelle hatte, sich nicht eigneten für einen andern,
der einsam in einem tiefen schmalen Thale stand. Und man darf um so we¬
niger vorschnell über diesen Bau absprechen, da derselbe der Zeit kurz nach
der marathonischen Schlacht seine Entstehung verdankt, in der die griechische
Kunst sich dem Gipfel der Vollendung näherte.

Nachdem wir aus der Quelle Adrasteia getrunken, aus der einst Polyni-
kes und die Sieben gegen Theben ihren Durst gelöscht, kehrten wir auf einem
andern, aber nicht minder beschwerlichen Wege über den Kamm des Phuka-
gebirgs nach dem Thalbecken von Kleonä. zurück. In einer Mühle, die in
einer Vertiefung südwestlich von Kurtessa liegt, und mit der eine Herberge ver¬
bunden ist, wurde gefrühstückt. Das Plätzchen war nach den kahlen Gegenden,
die wir den Morgen über durchzogen, und nach der schwülen Hitze, die wir
erduldet, mit seinen hohen Pappeln und seinem grünen Garten, seinen Kirsch-
und Feigenbäumen, seinen Rosenhecken und Oleanderbüschen ein wahrer Augen¬
trost, und ich empfehle es jedem, der die Reise so eintheilen kann, daß er hier
einige Stunden zu rasten im Stande ist. Ungemein anmuthig war es. die
Ueppigkeit der Neben zu bewundern, die mit ihren grünen Nankcnarmen hier
durch blühenden Hollunder heraufdrangen, dort die Rosenbüsche umschlangen,
mit deren Blumen der Wirth unsern Tisch schmückte, und schwer läßt sich das
paradiesische Behagen beschreiben, mit dem die müden Reiter sich nach dem
Mahle, des weinspendcnden Gottes voll, in die Schatten des großen Nu߬
baums und seiner Nachbarn, der alten schönen Platane und des riesenhaften
Feigenbaums neben dem Mühlbach streckten und so lange durch das Wipfel-


cinandergerollt sind, ein Stück der Cella, zwei oder drei Quaderlagen hoch,
und ringsum im Grase ein wüstes Durcheinander von Steinwürfeln, Architrav-
stückcn und Kapitalen. Der Bau hatte ursprünglich 38 Säulen. 6 an jeder
Front, je 14 an den Langseiten. Das Material ist der Kalkstein der Brüche
auf der Ebne von Kleonä, die Ordnung der Säulen die dorische. Der Ein¬
druck der Ruinen ist kein günstiger. Ihre Erscheinung ist in architektonischer
Hinsicht das gerade Gegentheil der Physiognomie des Tempels in Korinth.
Waren dort die Säulen dick, sust wie ägyptische, so sind sie hier schlank wie
jonische, standen sie dort dicht nebeneinander, so sind sie hier durch weite
Zwischenräume getrennt, hatten sie dort ein zu hohes Gebälk, so ist es hier
scheinbar zu niedrig. So fühlt man sich versucht zu glauben, das Ganze
müsse im Vergleich mit den dorischen Tempeln Athens schwächlich, mager, so
zu sagen hochbeinig ausgesehen haben. Indeß ist dabei zu bedenken, daß
man nach diesen geringen Resten nicht über den Bau in seiner Unversehrtheit
urtheilen kann, daß die Alten die Verhältnisse ihrer Architekturwerke überall
der Gegend anpaßten, in die sie bauten, und daß Proportionen, welche sich
für einen Tempel schickten, der auf einer Höhe oder auf einem mit Häusern
umgebenen Markte seine Stelle hatte, sich nicht eigneten für einen andern,
der einsam in einem tiefen schmalen Thale stand. Und man darf um so we¬
niger vorschnell über diesen Bau absprechen, da derselbe der Zeit kurz nach
der marathonischen Schlacht seine Entstehung verdankt, in der die griechische
Kunst sich dem Gipfel der Vollendung näherte.

Nachdem wir aus der Quelle Adrasteia getrunken, aus der einst Polyni-
kes und die Sieben gegen Theben ihren Durst gelöscht, kehrten wir auf einem
andern, aber nicht minder beschwerlichen Wege über den Kamm des Phuka-
gebirgs nach dem Thalbecken von Kleonä. zurück. In einer Mühle, die in
einer Vertiefung südwestlich von Kurtessa liegt, und mit der eine Herberge ver¬
bunden ist, wurde gefrühstückt. Das Plätzchen war nach den kahlen Gegenden,
die wir den Morgen über durchzogen, und nach der schwülen Hitze, die wir
erduldet, mit seinen hohen Pappeln und seinem grünen Garten, seinen Kirsch-
und Feigenbäumen, seinen Rosenhecken und Oleanderbüschen ein wahrer Augen¬
trost, und ich empfehle es jedem, der die Reise so eintheilen kann, daß er hier
einige Stunden zu rasten im Stande ist. Ungemein anmuthig war es. die
Ueppigkeit der Neben zu bewundern, die mit ihren grünen Nankcnarmen hier
durch blühenden Hollunder heraufdrangen, dort die Rosenbüsche umschlangen,
mit deren Blumen der Wirth unsern Tisch schmückte, und schwer läßt sich das
paradiesische Behagen beschreiben, mit dem die müden Reiter sich nach dem
Mahle, des weinspendcnden Gottes voll, in die Schatten des großen Nu߬
baums und seiner Nachbarn, der alten schönen Platane und des riesenhaften
Feigenbaums neben dem Mühlbach streckten und so lange durch das Wipfel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/478>, abgerufen am 03.07.2024.