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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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grün in das dunkle Himmelsblau hinaussahen, bis sie von der Musik dieses
einsamen Idylls, einem Concert aus dem Geläut der am Berghange weiden¬
den schwarzen Ziegenherde, dem Klappern des Mühlrads, dem Murmeln des
Bachs, dem leisen Rauschen der Zweige und dem Flöten der Nachtigallen des
Gartens eingesungen waren.

Der wilde düstere Grund, in den wir hart hinter der Mühle eintraten,
ist das Widerspiel dieses lieblichen Oertchens. Er führt durch den hohen Fels¬
wall des Tretonberges, welcher die Wasserscheide des korinthischen und argo-
lischen Golfs bildet. Während die Mühle wie ein Bild des Friedens daliegt,
knüpfen sich an die Schlucht blutige Erinnerungen aus alter und neuer Zeit,
und unter anderm erlitt hier im Unabhängigkeitskriege ein türkisches Heer auf
dem Rückzug von Argos nach Korinth eine Niederlage, die fast einer Vernich¬
tung gleichkam. Die Abhänge des Passes sind mit dunklem Strauchwerk be¬
wachsen. Der Bach, der an einzelnen Stellen kleine Sümpfe bildet und so
die ganze Sohle der Schlucht ausfüllt, daß kein Raum für den Weg bleibt,
ist mit myrthcnähnlichen Büschen und den an allen Gewässern des Landes
wiederkehrenden Oleandern oft förmlich laubenartig überwölbt. Hier und da
findet man Spuren alter Befestigungen zur Sperrung des Passes, und nicht
fern von dem Punkte, wo dieser sich in die Ebene von Argos öffnet, stehen
zwei halbverfallene Wachthäuser aus der Türkenzeit.

Es war ein überraschendes Bild, welches sich uns bot, als wir bei sin¬
kender Sonne aus dem schon halb in die Schatten, seiner Berge gehüllten
Thale hinaufritten und vor uns die weite, noch allenthalben mit vollem Tages¬
licht vergoldete argolische Ebene sich ausbreiten sahen. Noch eine Strecke,
und vor uns schimmerte über dem blauen Meere das weiße Nauplia und sein
röthliches Bergcastell. während zur Rechten der kahle Kegelberg, welcher die
bräunlichen zinnengesäumten Mauern der Burg °von Argos trägt, und zur
Linken die beiden mächtigen grauen Felshnupter in die Scene traten, zwischen
denen der Hügel mit dem Königsschloß Agcunemnons sich erhebt. Die fer¬
neren Gebirgszüge, die sich rechts um die Bucht ziehen und im Westen steil
und zackig bis hart an die See hingcschichtct sind, strahlten im schönsten Licht-
violett. In der Ebene wechselten gelbe Getreidefelder mit grünen Gärten und
einzelnen Dörfern. Die letztere scheint einen fruchtbaren Boden zu haben, ist
aber in der Nähe des Meeres, wo sich Sümpfe gebildet haben, von gefähr¬
lichen Fiebern heimgesucht, während die Striche unmittelbar unter den Ber¬
gen Mangel an Wasser leiden. Wo der Inachus fließt, weiß Gott und
der Zeichner unserer Karte. Wir vermochten nicht einmal sein Bett zu
entdecken. ,

Damit genug von der Landschaft. Wo von allen Seiten Erinnerungen
an die Heroen Homers auf die Seele eindringen, bleibt wenig Neigung, sich


grün in das dunkle Himmelsblau hinaussahen, bis sie von der Musik dieses
einsamen Idylls, einem Concert aus dem Geläut der am Berghange weiden¬
den schwarzen Ziegenherde, dem Klappern des Mühlrads, dem Murmeln des
Bachs, dem leisen Rauschen der Zweige und dem Flöten der Nachtigallen des
Gartens eingesungen waren.

Der wilde düstere Grund, in den wir hart hinter der Mühle eintraten,
ist das Widerspiel dieses lieblichen Oertchens. Er führt durch den hohen Fels¬
wall des Tretonberges, welcher die Wasserscheide des korinthischen und argo-
lischen Golfs bildet. Während die Mühle wie ein Bild des Friedens daliegt,
knüpfen sich an die Schlucht blutige Erinnerungen aus alter und neuer Zeit,
und unter anderm erlitt hier im Unabhängigkeitskriege ein türkisches Heer auf
dem Rückzug von Argos nach Korinth eine Niederlage, die fast einer Vernich¬
tung gleichkam. Die Abhänge des Passes sind mit dunklem Strauchwerk be¬
wachsen. Der Bach, der an einzelnen Stellen kleine Sümpfe bildet und so
die ganze Sohle der Schlucht ausfüllt, daß kein Raum für den Weg bleibt,
ist mit myrthcnähnlichen Büschen und den an allen Gewässern des Landes
wiederkehrenden Oleandern oft förmlich laubenartig überwölbt. Hier und da
findet man Spuren alter Befestigungen zur Sperrung des Passes, und nicht
fern von dem Punkte, wo dieser sich in die Ebene von Argos öffnet, stehen
zwei halbverfallene Wachthäuser aus der Türkenzeit.

Es war ein überraschendes Bild, welches sich uns bot, als wir bei sin¬
kender Sonne aus dem schon halb in die Schatten, seiner Berge gehüllten
Thale hinaufritten und vor uns die weite, noch allenthalben mit vollem Tages¬
licht vergoldete argolische Ebene sich ausbreiten sahen. Noch eine Strecke,
und vor uns schimmerte über dem blauen Meere das weiße Nauplia und sein
röthliches Bergcastell. während zur Rechten der kahle Kegelberg, welcher die
bräunlichen zinnengesäumten Mauern der Burg °von Argos trägt, und zur
Linken die beiden mächtigen grauen Felshnupter in die Scene traten, zwischen
denen der Hügel mit dem Königsschloß Agcunemnons sich erhebt. Die fer¬
neren Gebirgszüge, die sich rechts um die Bucht ziehen und im Westen steil
und zackig bis hart an die See hingcschichtct sind, strahlten im schönsten Licht-
violett. In der Ebene wechselten gelbe Getreidefelder mit grünen Gärten und
einzelnen Dörfern. Die letztere scheint einen fruchtbaren Boden zu haben, ist
aber in der Nähe des Meeres, wo sich Sümpfe gebildet haben, von gefähr¬
lichen Fiebern heimgesucht, während die Striche unmittelbar unter den Ber¬
gen Mangel an Wasser leiden. Wo der Inachus fließt, weiß Gott und
der Zeichner unserer Karte. Wir vermochten nicht einmal sein Bett zu
entdecken. ,

Damit genug von der Landschaft. Wo von allen Seiten Erinnerungen
an die Heroen Homers auf die Seele eindringen, bleibt wenig Neigung, sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/479>, abgerufen am 03.07.2024.