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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Am bestimmten Tage hält jeder, der sich eines Gespanns erfreut, einen
mit Thonerde oder Wassertonnen beladnen Karren in Bereitschaft. Wer weder
Pferd noch Esel besitzt, begnügt sich mit der Ladung eines Schubkarrens, und
gegen Mitternacht -- es ist die Zeit der hellen Sommernächte -- fahren alle
so still als möglich in die Nähe der Tenne, der sie ihre Gaben darbringen
wollen und suchen hinter Gebüsch und Hecken einen möglichst günstigen Platz
zur Einfahrt zu gewinnen. Zu weit dürfen sie sich übrigens dem Ziele nicht
nähern; denn wer von dem Roßbuben, der als Schildwacht am Thore steht,
erkannt würde, müßte sich bequemen, die letzte Stelle in der Wagcnreihe ein¬
zunehmen.

Inzwischen hat auch der Festgeber die nöthigen Vorbereitungen getroffen
und die heilige Ordnung -- die sich im Allgemeinen in der Bretagne keiner
besondern Verehrung erfreut -- ist dabei endlich einmal zur Geltung gekom¬
men. Der Düngerhaufen könnte sich beinah in einem Hose des Jura zeigen;
das Holz, das überall zu finden war. nur nicht in dem dazu bestimmten
Schuppen, ist jetzt darin zusammengeschichtet; kein Ackergeräth steht umher;
keine alte Tonne, kein Wagenrad, keine Kette liegt im Wege, kein invalider
Eimer, kein zerbrochnes Geschirr neben dem Brunnen; selbst der Schutthaufen,
der von Unkraut überwuchert mitten im Hofe lag und. wie die Sage geht,
von dem Brande herstammte, der vor ein paar Menschenaltern eine der
Scheuern zerstörte, selbst dieser würdige Schutthaufen.--der Lustgarten heran¬
wachsender Generationen von Enten, Schweinen und Menschenkindern -- ist
verschwuvden! Hätten die Einfahrenden nicht die tiefe Pfütze zu vermeiden,
die sich vor der Hausthür ausdehnt und auf der andern Seite die alte Ulme
am Brunnen zu schonen, so gäbe es diesmal nicht die geringste Geschicklichkeit
zu beweisen.

Endlich naht der entscheidende Augenblick; noch einmal werden Fuhrwerk
und Geschirr genau besichtigt, dann nimmt jeder seinen Platz auf dem Wagen
oder hinter dem Schubkarren ein. Jetzt tönt der erste Schlag der Mitter¬
nachtstunde durch die Stille, und in demselben Augenblicke bricht die ganze
Schar aus dem Versteck hervor. Die Erde dröhnt und die Lüfte wiederhallen;
es ist ein Rasseln, Stampfen, Peitschenknallen und Schreien, als ob die wilde
Jagd dccherbrauste. Selbst an Flüchen fehlt es nicht, wenn in der tollen
Eile zwei Wagen zusammensahren. hier ein Rad zerbricht oder dort ein Pferd
zu Boden stürzt. Dazu wird es in den Ställen der Nachbarschaft lebendig:
Kühe brüllen, Schafe blöken, Hühner gackern, und alle Hunde des Dorfes
vereinigen sich zu einem wüthenden Gebell.

Unbeirrt von diesem Höllenlärm stürmen Rosse- und Wagenlenker ans
Ziel. Der Wettkampf ist gar bald entschieden; das Beifallsgeschrei der Hos¬
bewohner begrüßt den Glücklichen, der zuerst mit seiner Ladung in die Tenne


Am bestimmten Tage hält jeder, der sich eines Gespanns erfreut, einen
mit Thonerde oder Wassertonnen beladnen Karren in Bereitschaft. Wer weder
Pferd noch Esel besitzt, begnügt sich mit der Ladung eines Schubkarrens, und
gegen Mitternacht — es ist die Zeit der hellen Sommernächte — fahren alle
so still als möglich in die Nähe der Tenne, der sie ihre Gaben darbringen
wollen und suchen hinter Gebüsch und Hecken einen möglichst günstigen Platz
zur Einfahrt zu gewinnen. Zu weit dürfen sie sich übrigens dem Ziele nicht
nähern; denn wer von dem Roßbuben, der als Schildwacht am Thore steht,
erkannt würde, müßte sich bequemen, die letzte Stelle in der Wagcnreihe ein¬
zunehmen.

Inzwischen hat auch der Festgeber die nöthigen Vorbereitungen getroffen
und die heilige Ordnung — die sich im Allgemeinen in der Bretagne keiner
besondern Verehrung erfreut — ist dabei endlich einmal zur Geltung gekom¬
men. Der Düngerhaufen könnte sich beinah in einem Hose des Jura zeigen;
das Holz, das überall zu finden war. nur nicht in dem dazu bestimmten
Schuppen, ist jetzt darin zusammengeschichtet; kein Ackergeräth steht umher;
keine alte Tonne, kein Wagenrad, keine Kette liegt im Wege, kein invalider
Eimer, kein zerbrochnes Geschirr neben dem Brunnen; selbst der Schutthaufen,
der von Unkraut überwuchert mitten im Hofe lag und. wie die Sage geht,
von dem Brande herstammte, der vor ein paar Menschenaltern eine der
Scheuern zerstörte, selbst dieser würdige Schutthaufen.—der Lustgarten heran¬
wachsender Generationen von Enten, Schweinen und Menschenkindern — ist
verschwuvden! Hätten die Einfahrenden nicht die tiefe Pfütze zu vermeiden,
die sich vor der Hausthür ausdehnt und auf der andern Seite die alte Ulme
am Brunnen zu schonen, so gäbe es diesmal nicht die geringste Geschicklichkeit
zu beweisen.

Endlich naht der entscheidende Augenblick; noch einmal werden Fuhrwerk
und Geschirr genau besichtigt, dann nimmt jeder seinen Platz auf dem Wagen
oder hinter dem Schubkarren ein. Jetzt tönt der erste Schlag der Mitter¬
nachtstunde durch die Stille, und in demselben Augenblicke bricht die ganze
Schar aus dem Versteck hervor. Die Erde dröhnt und die Lüfte wiederhallen;
es ist ein Rasseln, Stampfen, Peitschenknallen und Schreien, als ob die wilde
Jagd dccherbrauste. Selbst an Flüchen fehlt es nicht, wenn in der tollen
Eile zwei Wagen zusammensahren. hier ein Rad zerbricht oder dort ein Pferd
zu Boden stürzt. Dazu wird es in den Ställen der Nachbarschaft lebendig:
Kühe brüllen, Schafe blöken, Hühner gackern, und alle Hunde des Dorfes
vereinigen sich zu einem wüthenden Gebell.

Unbeirrt von diesem Höllenlärm stürmen Rosse- und Wagenlenker ans
Ziel. Der Wettkampf ist gar bald entschieden; das Beifallsgeschrei der Hos¬
bewohner begrüßt den Glücklichen, der zuerst mit seiner Ladung in die Tenne


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[0458] Am bestimmten Tage hält jeder, der sich eines Gespanns erfreut, einen mit Thonerde oder Wassertonnen beladnen Karren in Bereitschaft. Wer weder Pferd noch Esel besitzt, begnügt sich mit der Ladung eines Schubkarrens, und gegen Mitternacht — es ist die Zeit der hellen Sommernächte — fahren alle so still als möglich in die Nähe der Tenne, der sie ihre Gaben darbringen wollen und suchen hinter Gebüsch und Hecken einen möglichst günstigen Platz zur Einfahrt zu gewinnen. Zu weit dürfen sie sich übrigens dem Ziele nicht nähern; denn wer von dem Roßbuben, der als Schildwacht am Thore steht, erkannt würde, müßte sich bequemen, die letzte Stelle in der Wagcnreihe ein¬ zunehmen. Inzwischen hat auch der Festgeber die nöthigen Vorbereitungen getroffen und die heilige Ordnung — die sich im Allgemeinen in der Bretagne keiner besondern Verehrung erfreut — ist dabei endlich einmal zur Geltung gekom¬ men. Der Düngerhaufen könnte sich beinah in einem Hose des Jura zeigen; das Holz, das überall zu finden war. nur nicht in dem dazu bestimmten Schuppen, ist jetzt darin zusammengeschichtet; kein Ackergeräth steht umher; keine alte Tonne, kein Wagenrad, keine Kette liegt im Wege, kein invalider Eimer, kein zerbrochnes Geschirr neben dem Brunnen; selbst der Schutthaufen, der von Unkraut überwuchert mitten im Hofe lag und. wie die Sage geht, von dem Brande herstammte, der vor ein paar Menschenaltern eine der Scheuern zerstörte, selbst dieser würdige Schutthaufen.—der Lustgarten heran¬ wachsender Generationen von Enten, Schweinen und Menschenkindern — ist verschwuvden! Hätten die Einfahrenden nicht die tiefe Pfütze zu vermeiden, die sich vor der Hausthür ausdehnt und auf der andern Seite die alte Ulme am Brunnen zu schonen, so gäbe es diesmal nicht die geringste Geschicklichkeit zu beweisen. Endlich naht der entscheidende Augenblick; noch einmal werden Fuhrwerk und Geschirr genau besichtigt, dann nimmt jeder seinen Platz auf dem Wagen oder hinter dem Schubkarren ein. Jetzt tönt der erste Schlag der Mitter¬ nachtstunde durch die Stille, und in demselben Augenblicke bricht die ganze Schar aus dem Versteck hervor. Die Erde dröhnt und die Lüfte wiederhallen; es ist ein Rasseln, Stampfen, Peitschenknallen und Schreien, als ob die wilde Jagd dccherbrauste. Selbst an Flüchen fehlt es nicht, wenn in der tollen Eile zwei Wagen zusammensahren. hier ein Rad zerbricht oder dort ein Pferd zu Boden stürzt. Dazu wird es in den Ställen der Nachbarschaft lebendig: Kühe brüllen, Schafe blöken, Hühner gackern, und alle Hunde des Dorfes vereinigen sich zu einem wüthenden Gebell. Unbeirrt von diesem Höllenlärm stürmen Rosse- und Wagenlenker ans Ziel. Der Wettkampf ist gar bald entschieden; das Beifallsgeschrei der Hos¬ bewohner begrüßt den Glücklichen, der zuerst mit seiner Ladung in die Tenne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/458>, abgerufen am 22.07.2024.