Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Vergleich mit der Klinge ohne Griff. Wir wünschen die Klinge recht scharf
Sy. und spitz, aber auch den Griff fest und härtlich,




Feste und Volkslieder in der Bretagne.

Wenn es begründet ist, daß jedes Land seine Leute bildet, so gilt dies
von der Natur und den Bewohnern der Bretagne ganz besonders. Die Natur
dieser großen nordwestlichen Halbinsel Frankreichs ist düster und unfreundlich.
Obwol kein eigentliches Bergland, hat sie doch vieles von dem magern, rauhen
Charakter eines solchen. Zwischen nackten Gipfeln und Kämmen von
Granit sind Schluchten und Risse eingesprengt. In den Buchten tosen die
Wellen einer stürmischen See. Die Lust ist einen großen Theil des Jahres
voll Nebel. Heftige Winde brausen im Frühjahr und Herbst über die vielen
unangebauten, nur mit Haidekraut und Brombeerbüschen bewachsenen Striche
des Landes, das nur in den Bodensenkungen reichlich Getreide und Obst
hervorbringt.

Entsprechend dieser Natur ist der Bretagner ein ähnlicher Charakter wie
der Jude und der Jnselschotte. Neben einer schwermüthigen, zu düsterm Brüten
geneigten Seelenstimmung und ziemlicher Rohheit des Gebahrens geht eine
lebhafte Einbildungskraft und eine große Leidenschaftlichkeit her. Er ist ein
kühner Seefahrer, ein tüchtiger Soldat, stolz, freigestnnt, vor allem aber ein
Freund des Alten. Die Masse der Landleute lebt noch in tiefer Unwissenheit,
in Aberglauben und urväterlichen Sitten hin. Manche von diese Sitten aber
haben so viel Poetisches, daß sie wol der Mittheilung werth sind, und so
gehen wir im Nachstehenden ein Bild der interessantesten.

In den ackerbautreibenden Districten der Bretagne geben die Reparaturen
der Dreschtennen zu den fröhlichen Festen der I^cur-usvo Veranlassung. Die
Frage: von welchem Hofbesitzer man in diesem Jahr eine Einladung dazu
erwarten dürfe, wird monatelang erörtert; Kinder und Dienstboten werden
ausgefragt; die Bettler legen sich auf Kundschaft, und kaum läßt einer der
Hausväter beim Herannahen der Erntezeit die Andeutung fallen, "daß er sich
den und den an die Gefälligkeit seiner lieben Nachbarn und Freunde wenden
wolle" -- so fliegt die ersehnte Botschaft von Mund zu Mund, von Hof
zu Hof.


Grenzboten III. 1853. 5?

Vergleich mit der Klinge ohne Griff. Wir wünschen die Klinge recht scharf
Sy. und spitz, aber auch den Griff fest und härtlich,




Feste und Volkslieder in der Bretagne.

Wenn es begründet ist, daß jedes Land seine Leute bildet, so gilt dies
von der Natur und den Bewohnern der Bretagne ganz besonders. Die Natur
dieser großen nordwestlichen Halbinsel Frankreichs ist düster und unfreundlich.
Obwol kein eigentliches Bergland, hat sie doch vieles von dem magern, rauhen
Charakter eines solchen. Zwischen nackten Gipfeln und Kämmen von
Granit sind Schluchten und Risse eingesprengt. In den Buchten tosen die
Wellen einer stürmischen See. Die Lust ist einen großen Theil des Jahres
voll Nebel. Heftige Winde brausen im Frühjahr und Herbst über die vielen
unangebauten, nur mit Haidekraut und Brombeerbüschen bewachsenen Striche
des Landes, das nur in den Bodensenkungen reichlich Getreide und Obst
hervorbringt.

Entsprechend dieser Natur ist der Bretagner ein ähnlicher Charakter wie
der Jude und der Jnselschotte. Neben einer schwermüthigen, zu düsterm Brüten
geneigten Seelenstimmung und ziemlicher Rohheit des Gebahrens geht eine
lebhafte Einbildungskraft und eine große Leidenschaftlichkeit her. Er ist ein
kühner Seefahrer, ein tüchtiger Soldat, stolz, freigestnnt, vor allem aber ein
Freund des Alten. Die Masse der Landleute lebt noch in tiefer Unwissenheit,
in Aberglauben und urväterlichen Sitten hin. Manche von diese Sitten aber
haben so viel Poetisches, daß sie wol der Mittheilung werth sind, und so
gehen wir im Nachstehenden ein Bild der interessantesten.

In den ackerbautreibenden Districten der Bretagne geben die Reparaturen
der Dreschtennen zu den fröhlichen Festen der I^cur-usvo Veranlassung. Die
Frage: von welchem Hofbesitzer man in diesem Jahr eine Einladung dazu
erwarten dürfe, wird monatelang erörtert; Kinder und Dienstboten werden
ausgefragt; die Bettler legen sich auf Kundschaft, und kaum läßt einer der
Hausväter beim Herannahen der Erntezeit die Andeutung fallen, „daß er sich
den und den an die Gefälligkeit seiner lieben Nachbarn und Freunde wenden
wolle" — so fliegt die ersehnte Botschaft von Mund zu Mund, von Hof
zu Hof.


Grenzboten III. 1853. 5?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0457" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106268"/>
          <p xml:id="ID_1258" prev="#ID_1257"> Vergleich mit der Klinge ohne Griff. Wir wünschen die Klinge recht scharf<lb/><note type="byline"> Sy.</note> und spitz, aber auch den Griff fest und härtlich, </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Feste und Volkslieder in der Bretagne.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1259"> Wenn es begründet ist, daß jedes Land seine Leute bildet, so gilt dies<lb/>
von der Natur und den Bewohnern der Bretagne ganz besonders. Die Natur<lb/>
dieser großen nordwestlichen Halbinsel Frankreichs ist düster und unfreundlich.<lb/>
Obwol kein eigentliches Bergland, hat sie doch vieles von dem magern, rauhen<lb/>
Charakter eines solchen. Zwischen nackten Gipfeln und Kämmen von<lb/>
Granit sind Schluchten und Risse eingesprengt. In den Buchten tosen die<lb/>
Wellen einer stürmischen See. Die Lust ist einen großen Theil des Jahres<lb/>
voll Nebel. Heftige Winde brausen im Frühjahr und Herbst über die vielen<lb/>
unangebauten, nur mit Haidekraut und Brombeerbüschen bewachsenen Striche<lb/>
des Landes, das nur in den Bodensenkungen reichlich Getreide und Obst<lb/>
hervorbringt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1260"> Entsprechend dieser Natur ist der Bretagner ein ähnlicher Charakter wie<lb/>
der Jude und der Jnselschotte. Neben einer schwermüthigen, zu düsterm Brüten<lb/>
geneigten Seelenstimmung und ziemlicher Rohheit des Gebahrens geht eine<lb/>
lebhafte Einbildungskraft und eine große Leidenschaftlichkeit her. Er ist ein<lb/>
kühner Seefahrer, ein tüchtiger Soldat, stolz, freigestnnt, vor allem aber ein<lb/>
Freund des Alten. Die Masse der Landleute lebt noch in tiefer Unwissenheit,<lb/>
in Aberglauben und urväterlichen Sitten hin. Manche von diese Sitten aber<lb/>
haben so viel Poetisches, daß sie wol der Mittheilung werth sind, und so<lb/>
gehen wir im Nachstehenden ein Bild der interessantesten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1261"> In den ackerbautreibenden Districten der Bretagne geben die Reparaturen<lb/>
der Dreschtennen zu den fröhlichen Festen der I^cur-usvo Veranlassung. Die<lb/>
Frage: von welchem Hofbesitzer man in diesem Jahr eine Einladung dazu<lb/>
erwarten dürfe, wird monatelang erörtert; Kinder und Dienstboten werden<lb/>
ausgefragt; die Bettler legen sich auf Kundschaft, und kaum läßt einer der<lb/>
Hausväter beim Herannahen der Erntezeit die Andeutung fallen, &#x201E;daß er sich<lb/>
den und den an die Gefälligkeit seiner lieben Nachbarn und Freunde wenden<lb/>
wolle" &#x2014; so fliegt die ersehnte Botschaft von Mund zu Mund, von Hof<lb/>
zu Hof.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1853. 5?</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0457] Vergleich mit der Klinge ohne Griff. Wir wünschen die Klinge recht scharf Sy. und spitz, aber auch den Griff fest und härtlich, Feste und Volkslieder in der Bretagne. Wenn es begründet ist, daß jedes Land seine Leute bildet, so gilt dies von der Natur und den Bewohnern der Bretagne ganz besonders. Die Natur dieser großen nordwestlichen Halbinsel Frankreichs ist düster und unfreundlich. Obwol kein eigentliches Bergland, hat sie doch vieles von dem magern, rauhen Charakter eines solchen. Zwischen nackten Gipfeln und Kämmen von Granit sind Schluchten und Risse eingesprengt. In den Buchten tosen die Wellen einer stürmischen See. Die Lust ist einen großen Theil des Jahres voll Nebel. Heftige Winde brausen im Frühjahr und Herbst über die vielen unangebauten, nur mit Haidekraut und Brombeerbüschen bewachsenen Striche des Landes, das nur in den Bodensenkungen reichlich Getreide und Obst hervorbringt. Entsprechend dieser Natur ist der Bretagner ein ähnlicher Charakter wie der Jude und der Jnselschotte. Neben einer schwermüthigen, zu düsterm Brüten geneigten Seelenstimmung und ziemlicher Rohheit des Gebahrens geht eine lebhafte Einbildungskraft und eine große Leidenschaftlichkeit her. Er ist ein kühner Seefahrer, ein tüchtiger Soldat, stolz, freigestnnt, vor allem aber ein Freund des Alten. Die Masse der Landleute lebt noch in tiefer Unwissenheit, in Aberglauben und urväterlichen Sitten hin. Manche von diese Sitten aber haben so viel Poetisches, daß sie wol der Mittheilung werth sind, und so gehen wir im Nachstehenden ein Bild der interessantesten. In den ackerbautreibenden Districten der Bretagne geben die Reparaturen der Dreschtennen zu den fröhlichen Festen der I^cur-usvo Veranlassung. Die Frage: von welchem Hofbesitzer man in diesem Jahr eine Einladung dazu erwarten dürfe, wird monatelang erörtert; Kinder und Dienstboten werden ausgefragt; die Bettler legen sich auf Kundschaft, und kaum läßt einer der Hausväter beim Herannahen der Erntezeit die Andeutung fallen, „daß er sich den und den an die Gefälligkeit seiner lieben Nachbarn und Freunde wenden wolle" — so fliegt die ersehnte Botschaft von Mund zu Mund, von Hof zu Hof. Grenzboten III. 1853. 5?

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/457
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/457>, abgerufen am 22.07.2024.