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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Straßen den Verkehr des Nordens mit dem Süden hin und her Pulsiren ließ,
ist es jetzt'so einsam wie in der Wüste, so öd und still wie in der Urzeit, wo
Theseus den Fichtenbeuger überwand. Die einzigen Ruinen, welche noch
Schlüsse auf ihre einstige Form zulassen, sind die der gewaltigen, in einer
Länge von nahezu einer deutschen Meile quer über den Isthmus laufenden
Mauer, mit der die Peloponnesier sich gegen Einfälle vom Festlande zu schützen
suchten. Deutlich erkennt man zuerst, wenn man von Norden kommt, die
Neste einer kleineren, deutlich weiter südlich die Quaderlagen einer mit vor¬
springenden viereckigen Streitthürmen versehenen größern Mauer, die von außer¬
ordentlicher Dicke gewesen sein muß, und welche in der Mitte, wo die Straße
durchgeht, zugleich die Umfassungsmauer des Poseidonstempcls gebildet zu
haben scheint.

Von hier reitet man auf gutem chausseeartigem Wege hinab in die zwi¬
schen dem Golf von Korinth und dem Onciongebirge sich streckende, am Fuße
der Berge abschüssige, längs des Meeres völlig flache Strandebene, auf wel¬
cher Korinth liegt. Es war nach fünf Uhr, als wir hinunterzogen, und die
Beleuchtung der Berge und der See war außerordentlich schön. Vor uns lag
in goldenem Schimmer die bräunliche, in der Ferne bläulich verschwimmende
Ebne mit gelben Getreidefeldern und hellgrünen Weingärten, am User mit
einem breiten Sandfaume gesäumt. Daneben die Wasserfläche, in der Nähe
tiefblau, weiterhin lichter, zuletzt im Hintergrund von Sonnengold funkelnd,
am Isthmus in schöner Rundung abgeschweift, im Norden voll kantige Buch¬
ten, über denen zunächst der Landenge der violett schimmernde Bergwall der
Gerania, dann weiter nach Norden der blaue Kithäron, daneben im Westen
der Helikon mit seinem Kameelbuckel und noch weiter nordwestlich, von Wolken um¬
hüllt, aus deren Schatten schimmernde Schneestreifen hervorblickten, dermajestätische
Parnaß emporragte. Ueber der Hochfläche, aus welcher sich Korinth zeigte, er¬
hob sich, aus der Mauer des Oneivn hervortretend wie ein mächtiger runder
Streitthurm, auf der uns zugekehrten Seite beschattet, der stolze Berg, wel¬
cher die Ruinen von Akrokorinth trägt. Deutlich hob sich vom hellen Him¬
mel jede einzelne Zinne der gelblichen Mauer ab, die den Gipfel wie der Reis
einer Krone umgibt -- ein wahrhaft königlicher Anblick!

Nachdem wir im Dorfe Hexcunilion noch einmal die Pferde getränkt, die
Zerstörung, welche das letzte Erdbeben an Mauern und Dächern angerichtet,
in Augenschein genommen und einen in der Nähe in einem Gerstenfelde ge-
legenen römischen Bau (wahrscheinlich ein Grabgewölbe) besucht hatten, wo
vor kurzem ein Bauer allerlei Goldgeräth gefunden haben sollte, ritten wir
in scharfem Trabe in die Niederung eines kleinen Flusses hinab, dessen Ufer mit
Massen rothblühender Oleanderbüsche das Auge erfreuen, und dann hinauf
nach Korinth, das schon von fern die grauenvolle Verwüstung gewahren


Straßen den Verkehr des Nordens mit dem Süden hin und her Pulsiren ließ,
ist es jetzt'so einsam wie in der Wüste, so öd und still wie in der Urzeit, wo
Theseus den Fichtenbeuger überwand. Die einzigen Ruinen, welche noch
Schlüsse auf ihre einstige Form zulassen, sind die der gewaltigen, in einer
Länge von nahezu einer deutschen Meile quer über den Isthmus laufenden
Mauer, mit der die Peloponnesier sich gegen Einfälle vom Festlande zu schützen
suchten. Deutlich erkennt man zuerst, wenn man von Norden kommt, die
Neste einer kleineren, deutlich weiter südlich die Quaderlagen einer mit vor¬
springenden viereckigen Streitthürmen versehenen größern Mauer, die von außer¬
ordentlicher Dicke gewesen sein muß, und welche in der Mitte, wo die Straße
durchgeht, zugleich die Umfassungsmauer des Poseidonstempcls gebildet zu
haben scheint.

Von hier reitet man auf gutem chausseeartigem Wege hinab in die zwi¬
schen dem Golf von Korinth und dem Onciongebirge sich streckende, am Fuße
der Berge abschüssige, längs des Meeres völlig flache Strandebene, auf wel¬
cher Korinth liegt. Es war nach fünf Uhr, als wir hinunterzogen, und die
Beleuchtung der Berge und der See war außerordentlich schön. Vor uns lag
in goldenem Schimmer die bräunliche, in der Ferne bläulich verschwimmende
Ebne mit gelben Getreidefeldern und hellgrünen Weingärten, am User mit
einem breiten Sandfaume gesäumt. Daneben die Wasserfläche, in der Nähe
tiefblau, weiterhin lichter, zuletzt im Hintergrund von Sonnengold funkelnd,
am Isthmus in schöner Rundung abgeschweift, im Norden voll kantige Buch¬
ten, über denen zunächst der Landenge der violett schimmernde Bergwall der
Gerania, dann weiter nach Norden der blaue Kithäron, daneben im Westen
der Helikon mit seinem Kameelbuckel und noch weiter nordwestlich, von Wolken um¬
hüllt, aus deren Schatten schimmernde Schneestreifen hervorblickten, dermajestätische
Parnaß emporragte. Ueber der Hochfläche, aus welcher sich Korinth zeigte, er¬
hob sich, aus der Mauer des Oneivn hervortretend wie ein mächtiger runder
Streitthurm, auf der uns zugekehrten Seite beschattet, der stolze Berg, wel¬
cher die Ruinen von Akrokorinth trägt. Deutlich hob sich vom hellen Him¬
mel jede einzelne Zinne der gelblichen Mauer ab, die den Gipfel wie der Reis
einer Krone umgibt — ein wahrhaft königlicher Anblick!

Nachdem wir im Dorfe Hexcunilion noch einmal die Pferde getränkt, die
Zerstörung, welche das letzte Erdbeben an Mauern und Dächern angerichtet,
in Augenschein genommen und einen in der Nähe in einem Gerstenfelde ge-
legenen römischen Bau (wahrscheinlich ein Grabgewölbe) besucht hatten, wo
vor kurzem ein Bauer allerlei Goldgeräth gefunden haben sollte, ritten wir
in scharfem Trabe in die Niederung eines kleinen Flusses hinab, dessen Ufer mit
Massen rothblühender Oleanderbüsche das Auge erfreuen, und dann hinauf
nach Korinth, das schon von fern die grauenvolle Verwüstung gewahren


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[0442] Straßen den Verkehr des Nordens mit dem Süden hin und her Pulsiren ließ, ist es jetzt'so einsam wie in der Wüste, so öd und still wie in der Urzeit, wo Theseus den Fichtenbeuger überwand. Die einzigen Ruinen, welche noch Schlüsse auf ihre einstige Form zulassen, sind die der gewaltigen, in einer Länge von nahezu einer deutschen Meile quer über den Isthmus laufenden Mauer, mit der die Peloponnesier sich gegen Einfälle vom Festlande zu schützen suchten. Deutlich erkennt man zuerst, wenn man von Norden kommt, die Neste einer kleineren, deutlich weiter südlich die Quaderlagen einer mit vor¬ springenden viereckigen Streitthürmen versehenen größern Mauer, die von außer¬ ordentlicher Dicke gewesen sein muß, und welche in der Mitte, wo die Straße durchgeht, zugleich die Umfassungsmauer des Poseidonstempcls gebildet zu haben scheint. Von hier reitet man auf gutem chausseeartigem Wege hinab in die zwi¬ schen dem Golf von Korinth und dem Onciongebirge sich streckende, am Fuße der Berge abschüssige, längs des Meeres völlig flache Strandebene, auf wel¬ cher Korinth liegt. Es war nach fünf Uhr, als wir hinunterzogen, und die Beleuchtung der Berge und der See war außerordentlich schön. Vor uns lag in goldenem Schimmer die bräunliche, in der Ferne bläulich verschwimmende Ebne mit gelben Getreidefeldern und hellgrünen Weingärten, am User mit einem breiten Sandfaume gesäumt. Daneben die Wasserfläche, in der Nähe tiefblau, weiterhin lichter, zuletzt im Hintergrund von Sonnengold funkelnd, am Isthmus in schöner Rundung abgeschweift, im Norden voll kantige Buch¬ ten, über denen zunächst der Landenge der violett schimmernde Bergwall der Gerania, dann weiter nach Norden der blaue Kithäron, daneben im Westen der Helikon mit seinem Kameelbuckel und noch weiter nordwestlich, von Wolken um¬ hüllt, aus deren Schatten schimmernde Schneestreifen hervorblickten, dermajestätische Parnaß emporragte. Ueber der Hochfläche, aus welcher sich Korinth zeigte, er¬ hob sich, aus der Mauer des Oneivn hervortretend wie ein mächtiger runder Streitthurm, auf der uns zugekehrten Seite beschattet, der stolze Berg, wel¬ cher die Ruinen von Akrokorinth trägt. Deutlich hob sich vom hellen Him¬ mel jede einzelne Zinne der gelblichen Mauer ab, die den Gipfel wie der Reis einer Krone umgibt — ein wahrhaft königlicher Anblick! Nachdem wir im Dorfe Hexcunilion noch einmal die Pferde getränkt, die Zerstörung, welche das letzte Erdbeben an Mauern und Dächern angerichtet, in Augenschein genommen und einen in der Nähe in einem Gerstenfelde ge- legenen römischen Bau (wahrscheinlich ein Grabgewölbe) besucht hatten, wo vor kurzem ein Bauer allerlei Goldgeräth gefunden haben sollte, ritten wir in scharfem Trabe in die Niederung eines kleinen Flusses hinab, dessen Ufer mit Massen rothblühender Oleanderbüsche das Auge erfreuen, und dann hinauf nach Korinth, das schon von fern die grauenvolle Verwüstung gewahren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/442>, abgerufen am 03.07.2024.