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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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läßt, welche die hier waltenden vulkanischen Kräfte bewirkt haben. Wir
schlugen unser Zelt mitten in der Stadt vor den Ruinen des einzigen noch
einigermaßen erhaltenen alten Tempels auf. Daß wir in einem Zelte wohnen
wollten, fiel hier nicht auf, da auch die Korinther jetzt nur in Zelten und
Breterbuden lebten, indem sich noch Tag für Tag die Stöße wiederholten,
welche die Stadt zertrümmert hatten. Ueberall sah man eingesunkene Dächer,
zersprungene Mauern, umgefallene Schornsteine, rissige Wände und unförm¬
liche wüste Schutthaufen, gegen welche die aufrecht stehen gebliebenen Haus¬
theile mit ihren Tapeten und Malereien einen traurigen Contrast bildeten.
Nur der Tempel stand unverletzt, wie er vor dem Erdbeben gestanden, und
wie um den Gegensatz gegen die betrübte Stimmung und Gestalt alles Uebri-
gen auffälliger zu machen, tanzten vor dem Zelte, welches jetzt die Haupt¬
wache von Korinth bildet, Soldaten nach einer Schalmei lustig die Romaika.
Ich glaube nicht, daß schon viele Reisende die Redensart: "auf einem Vulkan
tanzen" so munter verwirklichen sahen.

Das jetzige Korinth war schon vor dem Erdbeben ein ärmlicher schmuzi-
ger Ort. Der alte Hafen ist versumpft, die benachbarten Moräste machen die
Gegend zu einer der ungesundesten in ganz Griechenland. Der Handel hat
sich im Laufe der Zeit andern Städten zugewendet, die Ausfuhr aus dem
Pelopomres vorzüglich nach Patras. Die Einwohner leben fast nur vom
Ackerbau. Niemand denkt bei einem Gange durch den Bazar an das "reiche
Korinth" Homers, niemand beim Anblick der meist überaus häßlichen Häuser
daran, daß hier die korinthische Säule erfunden wurde und jener Luxus sich
ausbildete, nach dem man im spätern Alterthum alles Reiche und Prächtige
korinthisch nannte, niemand beim Eintritt in die kothstarrenden elenden Kaffee¬
häuser und Fremdenherbergen an das Sprichwort: "Roll cuivis Iromini ecm-
tingit, g.air<z Lvrintnum."

Unser Reiseplan verwies die Besteigung der Akropolis an. das Ende unse¬
rer Wanderung, und so benutzten wir die Zeit, während unser Abendessen
bereitet wurde, nur zu einer Besichtigung der Alterthümer in der Unterstadt.
Die sehenswerthesten sind der Tempel, das Amphitheater und die Quellen¬
grotte um nördlichen AbHange der Terrasse, auf welcher die Stadt erbaut ist.
Von dem Tempel stehen noch sieben Säulen, die Monolithen sind, und auf
denen einige Blöcke vom Architrav liegen. Das Material ist ein dunkelgrauer
Kalkstein, der Stil dorisch, und zwar schließt man aus der kurzen, stämmi¬
gen, fast plumpen Gestalt der Säulen, der weiten Ausladung des Kapitals
und dem hohen, stark vorspringenden Gebälk auf ein sehr hohes Alterthum.
Welcher Gottheit er geweiht war, ist unbekannt -- wenigstens den Gelehrten.
Spiro wußte es aber, wie er alles wußte, was er gefragt wurde, und die
Archäologen brauchen sich künftig nicht mehr die Köpfe zu zerbrechen. Es


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läßt, welche die hier waltenden vulkanischen Kräfte bewirkt haben. Wir
schlugen unser Zelt mitten in der Stadt vor den Ruinen des einzigen noch
einigermaßen erhaltenen alten Tempels auf. Daß wir in einem Zelte wohnen
wollten, fiel hier nicht auf, da auch die Korinther jetzt nur in Zelten und
Breterbuden lebten, indem sich noch Tag für Tag die Stöße wiederholten,
welche die Stadt zertrümmert hatten. Ueberall sah man eingesunkene Dächer,
zersprungene Mauern, umgefallene Schornsteine, rissige Wände und unförm¬
liche wüste Schutthaufen, gegen welche die aufrecht stehen gebliebenen Haus¬
theile mit ihren Tapeten und Malereien einen traurigen Contrast bildeten.
Nur der Tempel stand unverletzt, wie er vor dem Erdbeben gestanden, und
wie um den Gegensatz gegen die betrübte Stimmung und Gestalt alles Uebri-
gen auffälliger zu machen, tanzten vor dem Zelte, welches jetzt die Haupt¬
wache von Korinth bildet, Soldaten nach einer Schalmei lustig die Romaika.
Ich glaube nicht, daß schon viele Reisende die Redensart: „auf einem Vulkan
tanzen" so munter verwirklichen sahen.

Das jetzige Korinth war schon vor dem Erdbeben ein ärmlicher schmuzi-
ger Ort. Der alte Hafen ist versumpft, die benachbarten Moräste machen die
Gegend zu einer der ungesundesten in ganz Griechenland. Der Handel hat
sich im Laufe der Zeit andern Städten zugewendet, die Ausfuhr aus dem
Pelopomres vorzüglich nach Patras. Die Einwohner leben fast nur vom
Ackerbau. Niemand denkt bei einem Gange durch den Bazar an das „reiche
Korinth" Homers, niemand beim Anblick der meist überaus häßlichen Häuser
daran, daß hier die korinthische Säule erfunden wurde und jener Luxus sich
ausbildete, nach dem man im spätern Alterthum alles Reiche und Prächtige
korinthisch nannte, niemand beim Eintritt in die kothstarrenden elenden Kaffee¬
häuser und Fremdenherbergen an das Sprichwort: „Roll cuivis Iromini ecm-
tingit, g.air<z Lvrintnum."

Unser Reiseplan verwies die Besteigung der Akropolis an. das Ende unse¬
rer Wanderung, und so benutzten wir die Zeit, während unser Abendessen
bereitet wurde, nur zu einer Besichtigung der Alterthümer in der Unterstadt.
Die sehenswerthesten sind der Tempel, das Amphitheater und die Quellen¬
grotte um nördlichen AbHange der Terrasse, auf welcher die Stadt erbaut ist.
Von dem Tempel stehen noch sieben Säulen, die Monolithen sind, und auf
denen einige Blöcke vom Architrav liegen. Das Material ist ein dunkelgrauer
Kalkstein, der Stil dorisch, und zwar schließt man aus der kurzen, stämmi¬
gen, fast plumpen Gestalt der Säulen, der weiten Ausladung des Kapitals
und dem hohen, stark vorspringenden Gebälk auf ein sehr hohes Alterthum.
Welcher Gottheit er geweiht war, ist unbekannt — wenigstens den Gelehrten.
Spiro wußte es aber, wie er alles wußte, was er gefragt wurde, und die
Archäologen brauchen sich künftig nicht mehr die Köpfe zu zerbrechen. Es


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[0443] läßt, welche die hier waltenden vulkanischen Kräfte bewirkt haben. Wir schlugen unser Zelt mitten in der Stadt vor den Ruinen des einzigen noch einigermaßen erhaltenen alten Tempels auf. Daß wir in einem Zelte wohnen wollten, fiel hier nicht auf, da auch die Korinther jetzt nur in Zelten und Breterbuden lebten, indem sich noch Tag für Tag die Stöße wiederholten, welche die Stadt zertrümmert hatten. Ueberall sah man eingesunkene Dächer, zersprungene Mauern, umgefallene Schornsteine, rissige Wände und unförm¬ liche wüste Schutthaufen, gegen welche die aufrecht stehen gebliebenen Haus¬ theile mit ihren Tapeten und Malereien einen traurigen Contrast bildeten. Nur der Tempel stand unverletzt, wie er vor dem Erdbeben gestanden, und wie um den Gegensatz gegen die betrübte Stimmung und Gestalt alles Uebri- gen auffälliger zu machen, tanzten vor dem Zelte, welches jetzt die Haupt¬ wache von Korinth bildet, Soldaten nach einer Schalmei lustig die Romaika. Ich glaube nicht, daß schon viele Reisende die Redensart: „auf einem Vulkan tanzen" so munter verwirklichen sahen. Das jetzige Korinth war schon vor dem Erdbeben ein ärmlicher schmuzi- ger Ort. Der alte Hafen ist versumpft, die benachbarten Moräste machen die Gegend zu einer der ungesundesten in ganz Griechenland. Der Handel hat sich im Laufe der Zeit andern Städten zugewendet, die Ausfuhr aus dem Pelopomres vorzüglich nach Patras. Die Einwohner leben fast nur vom Ackerbau. Niemand denkt bei einem Gange durch den Bazar an das „reiche Korinth" Homers, niemand beim Anblick der meist überaus häßlichen Häuser daran, daß hier die korinthische Säule erfunden wurde und jener Luxus sich ausbildete, nach dem man im spätern Alterthum alles Reiche und Prächtige korinthisch nannte, niemand beim Eintritt in die kothstarrenden elenden Kaffee¬ häuser und Fremdenherbergen an das Sprichwort: „Roll cuivis Iromini ecm- tingit, g.air<z Lvrintnum." Unser Reiseplan verwies die Besteigung der Akropolis an. das Ende unse¬ rer Wanderung, und so benutzten wir die Zeit, während unser Abendessen bereitet wurde, nur zu einer Besichtigung der Alterthümer in der Unterstadt. Die sehenswerthesten sind der Tempel, das Amphitheater und die Quellen¬ grotte um nördlichen AbHange der Terrasse, auf welcher die Stadt erbaut ist. Von dem Tempel stehen noch sieben Säulen, die Monolithen sind, und auf denen einige Blöcke vom Architrav liegen. Das Material ist ein dunkelgrauer Kalkstein, der Stil dorisch, und zwar schließt man aus der kurzen, stämmi¬ gen, fast plumpen Gestalt der Säulen, der weiten Ausladung des Kapitals und dem hohen, stark vorspringenden Gebälk auf ein sehr hohes Alterthum. Welcher Gottheit er geweiht war, ist unbekannt — wenigstens den Gelehrten. Spiro wußte es aber, wie er alles wußte, was er gefragt wurde, und die Archäologen brauchen sich künftig nicht mehr die Köpfe zu zerbrechen. Es 55*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/443>, abgerufen am 03.07.2024.