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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Vielleicht besinnst du dich aber, Spiro, daß du mich 1847 in Athen mit falschem
Gelde anführen wolltest, und daß ich dir damals nicht eine Tracht Prügel
verabreichte, verdiente allerdings einigen Dank und da du ihn bei jener Ge¬
legenheit vergaßest, so will ich jetzt den falschen für den rechten behalten,"

Es war rein, um uns seine Dankbarkeit gegen Wohlthäter zu zeigen,
daß Schlaukopf Spiro diese Komödie aufführte. Vielleicht auch um uns
später erzählen zu können, wie intim er mit dem vornehmen Herrn gestanden.
Auch gegen uns that er familiär, wie gegen alte Bekannte, und seine Neu¬
gier ging so weit, daß er es übelnahm, wenn wir uns untereinander deutsch
unterhielten, statt in dem ihm verständlichen Englisch. Eine andere Untugend,
mit der uns der lange Gesell wie ein Kind vorkam, war seine Leidenschaft
Vogelnester auszunehmen, die ihn allenthalben, wo etwas zwitscherte, halten,
aus Bäume klettern und durch Gebüsch kriechen ließ. Endlich quälte er uns mit
seiner Geschwätzigkeit, die, wenn sie im Zuge war, durch nichts als durch ein
ausdrückliches Gebot, den Mund zu halten, gedämpft werden konnte. Im
Uebrigen war er gewandt, der Wege vollkommen kundig, wohlbekannt mit
der Art. wie seine Landsleute zu behandeln sind, und stets darauf bedacht,
durch fleißiges Sorgen-für den Comfort seiner Effendis seine Reputation als
Führer aufrecht zu erhalten.

Ich kehre jetzt auf den Isthmus zurück, dessen schmalsten Theil wir jen¬
seit Kalamaki erreichten. Kalcunaki ist ein Oertchen von zehn bis zwölf
Häusern, die durch das letzte Erdbeben sehr beschädigt, ja zum Theil in
Trümmerhaufen verwandelt worden sind. Die Entfernung von Meer zu Meer
beträgt hier nur anderthalb Stunden. Die höchsten Punkte des Dammes
oder der Brücke, als welche die Landenge von den benachbarten Bergen ge¬
sehen erscheint, werden 200 Fuß nicht übersteigen. Die Vegetation ist die¬
selbe wie auf den Abhängen der Gerania, nichts als niedres Gestrüpp und
Gebüsch, und bisweilen ein Stück Feld mit Gerste. Von den Fichten, an
denen einst der ruchlose Sims, ein dritter Bekannter unsrer Jugend, mit den
Wandrern Froschprellen spielte, ist so wenig ein Sproß mehr übrig wie von den
Pinienalleen am Poseidonstempel, von denen man den Siegern der isthmischen
Spiele Kränze wand. Der Tempel, rechts von der heutigen Straße gelegen,
ist jetzt ein Trümmerhaufen; weder eine Säule noch ein Mauerquader befindet
sich noch an der ursprünglichen Stelle. Ebenso wenig ist von dem Theater
übrig, welches westlich von hier lag. Das Stadium, südlich von hier und
links vom Wege, hatten die Bewohner von Kalamaki mit Gerste besäet, die
eben der Ernte entgegenreifte. Wo einst die Spiele den Luxus von Korinth
entfalteten, Jahrmarktsgetümmel herrschte, Alexander sich von den versammel¬
ten Hellenen zum Feldherrn gegen die Perser wählen ließ, zahlreiche Städt¬
chen und Dörfer standen und eine Straße so lebhast wie unsre großen Heer-


Grenzboten III. 1S53. 55

Vielleicht besinnst du dich aber, Spiro, daß du mich 1847 in Athen mit falschem
Gelde anführen wolltest, und daß ich dir damals nicht eine Tracht Prügel
verabreichte, verdiente allerdings einigen Dank und da du ihn bei jener Ge¬
legenheit vergaßest, so will ich jetzt den falschen für den rechten behalten,"

Es war rein, um uns seine Dankbarkeit gegen Wohlthäter zu zeigen,
daß Schlaukopf Spiro diese Komödie aufführte. Vielleicht auch um uns
später erzählen zu können, wie intim er mit dem vornehmen Herrn gestanden.
Auch gegen uns that er familiär, wie gegen alte Bekannte, und seine Neu¬
gier ging so weit, daß er es übelnahm, wenn wir uns untereinander deutsch
unterhielten, statt in dem ihm verständlichen Englisch. Eine andere Untugend,
mit der uns der lange Gesell wie ein Kind vorkam, war seine Leidenschaft
Vogelnester auszunehmen, die ihn allenthalben, wo etwas zwitscherte, halten,
aus Bäume klettern und durch Gebüsch kriechen ließ. Endlich quälte er uns mit
seiner Geschwätzigkeit, die, wenn sie im Zuge war, durch nichts als durch ein
ausdrückliches Gebot, den Mund zu halten, gedämpft werden konnte. Im
Uebrigen war er gewandt, der Wege vollkommen kundig, wohlbekannt mit
der Art. wie seine Landsleute zu behandeln sind, und stets darauf bedacht,
durch fleißiges Sorgen-für den Comfort seiner Effendis seine Reputation als
Führer aufrecht zu erhalten.

Ich kehre jetzt auf den Isthmus zurück, dessen schmalsten Theil wir jen¬
seit Kalamaki erreichten. Kalcunaki ist ein Oertchen von zehn bis zwölf
Häusern, die durch das letzte Erdbeben sehr beschädigt, ja zum Theil in
Trümmerhaufen verwandelt worden sind. Die Entfernung von Meer zu Meer
beträgt hier nur anderthalb Stunden. Die höchsten Punkte des Dammes
oder der Brücke, als welche die Landenge von den benachbarten Bergen ge¬
sehen erscheint, werden 200 Fuß nicht übersteigen. Die Vegetation ist die¬
selbe wie auf den Abhängen der Gerania, nichts als niedres Gestrüpp und
Gebüsch, und bisweilen ein Stück Feld mit Gerste. Von den Fichten, an
denen einst der ruchlose Sims, ein dritter Bekannter unsrer Jugend, mit den
Wandrern Froschprellen spielte, ist so wenig ein Sproß mehr übrig wie von den
Pinienalleen am Poseidonstempel, von denen man den Siegern der isthmischen
Spiele Kränze wand. Der Tempel, rechts von der heutigen Straße gelegen,
ist jetzt ein Trümmerhaufen; weder eine Säule noch ein Mauerquader befindet
sich noch an der ursprünglichen Stelle. Ebenso wenig ist von dem Theater
übrig, welches westlich von hier lag. Das Stadium, südlich von hier und
links vom Wege, hatten die Bewohner von Kalamaki mit Gerste besäet, die
eben der Ernte entgegenreifte. Wo einst die Spiele den Luxus von Korinth
entfalteten, Jahrmarktsgetümmel herrschte, Alexander sich von den versammel¬
ten Hellenen zum Feldherrn gegen die Perser wählen ließ, zahlreiche Städt¬
chen und Dörfer standen und eine Straße so lebhast wie unsre großen Heer-


Grenzboten III. 1S53. 55
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/441>, abgerufen am 23.07.2024.