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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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rien grauen Steinen, die aus einiger Entfernung den viereckigen Quaderhaufen
gleichen, welchen man an unsern Chausseen begegnet. Kein Baum bringt
Abwechslung in das graue Einerlei. Die Gassen sind eng und der Weg in
ihnen mit eingefallenem Gemäuer und Feldsteinen gefüllt, so daß ich, des
Reitens auf solchem Boden noch ungewohnt, dem Himmel dankte, als mein
Pferd mich glücklich zu dem kleinen Khan getragen, wo wir absteigen sollten.

Alterthümer von Bedeutung für Nichtarchäologen finden sich hier nicht.
Von der Akropolis, von deren Trümmern das Mittelalter einen Wartthurm,
die neue Zeit eine Kirche des Hagios Demetrios gebaut hat, sind nur noch
die Grundmauern vorhanden, welche theils von Polygonen, theils von regel¬
mäßig behauenen Quadern aufgeführt sind. Hier und dort trifft man an
einer Hauswart oder auf einem Schutthaufen Bruchstücke von Säulen oder
andern Arbeiten alter Steinmetzen. Auch von den langen Mauern, welche
Megara mit seinem Hafen verbanden, sind einige Spuren zu finden. Endlich
zeigt man in der Dimarchie einige kopflose Statuen, die indeß aus sehr spä¬
ter Zeit sind und nur für den Gelehrten Werth haben.

Es dunkelte, als wir von einem Ausflug durch die Stadt nach" dem
Stoppelfeld vor dem Khan zurückkamen, auf dem Spiro unser Zelt aufzu¬
schlagen gedachte. Eben wurden die letzten Pflöcke befestigt, die es halten
sollten, und als wir hinkamen, stand es bereit, uns aufzunehmen. Das un¬
gewohnte Schauspiel hatte eine gute Anzahl von Megarensern herbeigelockt,
und ein weiter Halbkreis von Fustanellen, bunten Jacken, weißen Hemdärmeln
und rothen Kappen umgab das leinene Haus, dessen Wände lustig im Winde
schwankten. Vorn stand die liebe Jugend, dahinter, ihre Neugier unter Dienst¬
willigkeit verbergend, eine Gruppe von Männern. Noch weiter zurück und auf
den Dächern der nächsten Häuser bewunderten Vertreterinnen der städtischen
Damenwelt, die Spindel, den griechischen Strickstrumpf, in der Hand, ein
Kind an der Brust oder einen Wasserkrug auf dem Rücken, die seltsamen
Franken, die nicht unter den Flöhen des Khans schlafen wollten. Neben dem
Zelte standen kopfhängend die Maulthiere, die mit dem Gepäck hierher vor¬
ausgesandt worden, und deren Treiber uns jetzt vorgestellt wurde. Rings¬
herum lagen in malerischer Unordnung Säcke und Kasten, die zusammen¬
gerollten Betten. Blechbüchsen, das Sattelzeug der Pferde, Waschbecken, Teller,
Becher, Laternen, Mäntel, Decken und Tischtücher, ein eiserner Feldstuhl und
die gute alte grüne Lade, die uns während der Reise als Speisekammer, Biblio¬
thek, Kleiderschrank und vor allem als Tisch diente. Zelt und Betten hatten
in der Krim gedient. Die Lade gehörte zu jenem Geschlecht unsteter Matro¬
senkisten, die nie wissen, in welchem Erdtheil ihre letzte Bestimmung liegt; sie
war, ehe Spiro sie beim Trödler in Konstantinopel gekauft, sicher schon in
Kalkutta und Newyork gewesen. Das Wahns- und Eßzeug war gleichfalls


Grenzboten III. 1358. 54

rien grauen Steinen, die aus einiger Entfernung den viereckigen Quaderhaufen
gleichen, welchen man an unsern Chausseen begegnet. Kein Baum bringt
Abwechslung in das graue Einerlei. Die Gassen sind eng und der Weg in
ihnen mit eingefallenem Gemäuer und Feldsteinen gefüllt, so daß ich, des
Reitens auf solchem Boden noch ungewohnt, dem Himmel dankte, als mein
Pferd mich glücklich zu dem kleinen Khan getragen, wo wir absteigen sollten.

Alterthümer von Bedeutung für Nichtarchäologen finden sich hier nicht.
Von der Akropolis, von deren Trümmern das Mittelalter einen Wartthurm,
die neue Zeit eine Kirche des Hagios Demetrios gebaut hat, sind nur noch
die Grundmauern vorhanden, welche theils von Polygonen, theils von regel¬
mäßig behauenen Quadern aufgeführt sind. Hier und dort trifft man an
einer Hauswart oder auf einem Schutthaufen Bruchstücke von Säulen oder
andern Arbeiten alter Steinmetzen. Auch von den langen Mauern, welche
Megara mit seinem Hafen verbanden, sind einige Spuren zu finden. Endlich
zeigt man in der Dimarchie einige kopflose Statuen, die indeß aus sehr spä¬
ter Zeit sind und nur für den Gelehrten Werth haben.

Es dunkelte, als wir von einem Ausflug durch die Stadt nach» dem
Stoppelfeld vor dem Khan zurückkamen, auf dem Spiro unser Zelt aufzu¬
schlagen gedachte. Eben wurden die letzten Pflöcke befestigt, die es halten
sollten, und als wir hinkamen, stand es bereit, uns aufzunehmen. Das un¬
gewohnte Schauspiel hatte eine gute Anzahl von Megarensern herbeigelockt,
und ein weiter Halbkreis von Fustanellen, bunten Jacken, weißen Hemdärmeln
und rothen Kappen umgab das leinene Haus, dessen Wände lustig im Winde
schwankten. Vorn stand die liebe Jugend, dahinter, ihre Neugier unter Dienst¬
willigkeit verbergend, eine Gruppe von Männern. Noch weiter zurück und auf
den Dächern der nächsten Häuser bewunderten Vertreterinnen der städtischen
Damenwelt, die Spindel, den griechischen Strickstrumpf, in der Hand, ein
Kind an der Brust oder einen Wasserkrug auf dem Rücken, die seltsamen
Franken, die nicht unter den Flöhen des Khans schlafen wollten. Neben dem
Zelte standen kopfhängend die Maulthiere, die mit dem Gepäck hierher vor¬
ausgesandt worden, und deren Treiber uns jetzt vorgestellt wurde. Rings¬
herum lagen in malerischer Unordnung Säcke und Kasten, die zusammen¬
gerollten Betten. Blechbüchsen, das Sattelzeug der Pferde, Waschbecken, Teller,
Becher, Laternen, Mäntel, Decken und Tischtücher, ein eiserner Feldstuhl und
die gute alte grüne Lade, die uns während der Reise als Speisekammer, Biblio¬
thek, Kleiderschrank und vor allem als Tisch diente. Zelt und Betten hatten
in der Krim gedient. Die Lade gehörte zu jenem Geschlecht unsteter Matro¬
senkisten, die nie wissen, in welchem Erdtheil ihre letzte Bestimmung liegt; sie
war, ehe Spiro sie beim Trödler in Konstantinopel gekauft, sicher schon in
Kalkutta und Newyork gewesen. Das Wahns- und Eßzeug war gleichfalls


Grenzboten III. 1358. 54
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[0433] rien grauen Steinen, die aus einiger Entfernung den viereckigen Quaderhaufen gleichen, welchen man an unsern Chausseen begegnet. Kein Baum bringt Abwechslung in das graue Einerlei. Die Gassen sind eng und der Weg in ihnen mit eingefallenem Gemäuer und Feldsteinen gefüllt, so daß ich, des Reitens auf solchem Boden noch ungewohnt, dem Himmel dankte, als mein Pferd mich glücklich zu dem kleinen Khan getragen, wo wir absteigen sollten. Alterthümer von Bedeutung für Nichtarchäologen finden sich hier nicht. Von der Akropolis, von deren Trümmern das Mittelalter einen Wartthurm, die neue Zeit eine Kirche des Hagios Demetrios gebaut hat, sind nur noch die Grundmauern vorhanden, welche theils von Polygonen, theils von regel¬ mäßig behauenen Quadern aufgeführt sind. Hier und dort trifft man an einer Hauswart oder auf einem Schutthaufen Bruchstücke von Säulen oder andern Arbeiten alter Steinmetzen. Auch von den langen Mauern, welche Megara mit seinem Hafen verbanden, sind einige Spuren zu finden. Endlich zeigt man in der Dimarchie einige kopflose Statuen, die indeß aus sehr spä¬ ter Zeit sind und nur für den Gelehrten Werth haben. Es dunkelte, als wir von einem Ausflug durch die Stadt nach» dem Stoppelfeld vor dem Khan zurückkamen, auf dem Spiro unser Zelt aufzu¬ schlagen gedachte. Eben wurden die letzten Pflöcke befestigt, die es halten sollten, und als wir hinkamen, stand es bereit, uns aufzunehmen. Das un¬ gewohnte Schauspiel hatte eine gute Anzahl von Megarensern herbeigelockt, und ein weiter Halbkreis von Fustanellen, bunten Jacken, weißen Hemdärmeln und rothen Kappen umgab das leinene Haus, dessen Wände lustig im Winde schwankten. Vorn stand die liebe Jugend, dahinter, ihre Neugier unter Dienst¬ willigkeit verbergend, eine Gruppe von Männern. Noch weiter zurück und auf den Dächern der nächsten Häuser bewunderten Vertreterinnen der städtischen Damenwelt, die Spindel, den griechischen Strickstrumpf, in der Hand, ein Kind an der Brust oder einen Wasserkrug auf dem Rücken, die seltsamen Franken, die nicht unter den Flöhen des Khans schlafen wollten. Neben dem Zelte standen kopfhängend die Maulthiere, die mit dem Gepäck hierher vor¬ ausgesandt worden, und deren Treiber uns jetzt vorgestellt wurde. Rings¬ herum lagen in malerischer Unordnung Säcke und Kasten, die zusammen¬ gerollten Betten. Blechbüchsen, das Sattelzeug der Pferde, Waschbecken, Teller, Becher, Laternen, Mäntel, Decken und Tischtücher, ein eiserner Feldstuhl und die gute alte grüne Lade, die uns während der Reise als Speisekammer, Biblio¬ thek, Kleiderschrank und vor allem als Tisch diente. Zelt und Betten hatten in der Krim gedient. Die Lade gehörte zu jenem Geschlecht unsteter Matro¬ senkisten, die nie wissen, in welchem Erdtheil ihre letzte Bestimmung liegt; sie war, ehe Spiro sie beim Trödler in Konstantinopel gekauft, sicher schon in Kalkutta und Newyork gewesen. Das Wahns- und Eßzeug war gleichfalls Grenzboten III. 1358. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/433>, abgerufen am 23.07.2024.