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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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zur Entwicklung von Ideen zu benutzen. Stein kannte von mehren Sprachen
die Vocabeln, aber das, was Sprache ist, war ihm fremd. Er hatte eine
Masse von historischen Notizen in seinem Gedächtnisse, wie wenig Historiker
von Profession besitzen werden, aber was Karl der Große und Ludwig XIV.
und Friedrich der Große in der Geschichte waren, das war ihm gänzlich un¬
bekannt. So waren ihm namentlich alle Einzelnheiten von Colberts Leben
bekannt, aber daß dieser durch sein System der Hauptschöpfer eines Mittel¬
standes, also einer der Begründer unserer Cultur gewesen, ist Stein niemals
in den Sinn gekommen; dem' 3. jede philosophische und poetische Bildung
nicht allein abgeht, sondern den auch sein historischer Notizenkram zu einem
förmlichen Widerwillen, besonders gegen philosophische Entwicklung gebracht
hatte. --

Wenn Stein jemanden tief stellen wollte, so nannte er ihn einen Meta-
physikus. Seine Staatswissenschaft bestand in der Lebensgeschichte einzelner
hervorragender Staatsmänner und in Kenntniß der einzelnen administrativen
Maschinerien.

Als er 1807 in Memel ankam, war sein erster Gedanke, die Staats¬
behörden anders zu gestalten. Ueber Staatsgrundsätze und eigentliche Staats¬
einrichtungen ist Stein mit dem Könige niemals in Differenz gekommen, aber
gegen die Cabinetsregierung, wie sie damals bei uns war, trat er auf. Statt
im Jahre 1805--1806 das Cabinet als Ersatz der deutschen Conserenzminister
und des fehlenden Staatsraths anzusehen und zu verbessern, wollte er, daß
die Administrationsminister ihre Pläne und Vorschläge vor dem Könige selbst
recensirten. Die blutlosen Leute, Beyme und Lombarde waren ihm selbst zu¬
wider, so daß. er mehr gegen diese persönlich, als gegen die Cabinetsregie¬
rung kämpfte.

Man würde Stein in Verlegenheit gesetzt haben, wenn man die Beant¬
wortung der Frage von ihm verlangt hätte, was ein Staat sei? -- und zu
welchem Zwecke wir in einem Staate leben und leben sollen? -- Er wagte
zwar nicht, vermöge des Geistes, mit welchem der Himmel ihn ursprünglich
beschenkt hatte, gegen staatswissenschaftliche Aufstellungen zu protestiren. gab
diesen sogar, wenn er gedrängt wurde, um nicht geistlos zu erscheinen, seine
Firma, aber er selbst kam niemals zu einer wissenschaftlichen Construction in
Staatsangelegenheiten.

Finanziell und staatswirthschaftlich war Stein ganz ungebildet. Trat ein
Ereigniß ein, welches entweder Aufnahme und Entwicklung oder Gegenma߬
regeln forderte, dann suchte er aus seinem großen Notizenmagazin das her.
aus, was in ähnlichen Fällen in andern Staaten geschehen war. So wollte
er, weil im Jahre 1806 zur Kriegführung Geld bei uns fehlte, das Land
mit unrealisirbarcm Papiergeld überschwemmen, weil Frankreich und Oese-


zur Entwicklung von Ideen zu benutzen. Stein kannte von mehren Sprachen
die Vocabeln, aber das, was Sprache ist, war ihm fremd. Er hatte eine
Masse von historischen Notizen in seinem Gedächtnisse, wie wenig Historiker
von Profession besitzen werden, aber was Karl der Große und Ludwig XIV.
und Friedrich der Große in der Geschichte waren, das war ihm gänzlich un¬
bekannt. So waren ihm namentlich alle Einzelnheiten von Colberts Leben
bekannt, aber daß dieser durch sein System der Hauptschöpfer eines Mittel¬
standes, also einer der Begründer unserer Cultur gewesen, ist Stein niemals
in den Sinn gekommen; dem' 3. jede philosophische und poetische Bildung
nicht allein abgeht, sondern den auch sein historischer Notizenkram zu einem
förmlichen Widerwillen, besonders gegen philosophische Entwicklung gebracht
hatte. —

Wenn Stein jemanden tief stellen wollte, so nannte er ihn einen Meta-
physikus. Seine Staatswissenschaft bestand in der Lebensgeschichte einzelner
hervorragender Staatsmänner und in Kenntniß der einzelnen administrativen
Maschinerien.

Als er 1807 in Memel ankam, war sein erster Gedanke, die Staats¬
behörden anders zu gestalten. Ueber Staatsgrundsätze und eigentliche Staats¬
einrichtungen ist Stein mit dem Könige niemals in Differenz gekommen, aber
gegen die Cabinetsregierung, wie sie damals bei uns war, trat er auf. Statt
im Jahre 1805—1806 das Cabinet als Ersatz der deutschen Conserenzminister
und des fehlenden Staatsraths anzusehen und zu verbessern, wollte er, daß
die Administrationsminister ihre Pläne und Vorschläge vor dem Könige selbst
recensirten. Die blutlosen Leute, Beyme und Lombarde waren ihm selbst zu¬
wider, so daß. er mehr gegen diese persönlich, als gegen die Cabinetsregie¬
rung kämpfte.

Man würde Stein in Verlegenheit gesetzt haben, wenn man die Beant¬
wortung der Frage von ihm verlangt hätte, was ein Staat sei? — und zu
welchem Zwecke wir in einem Staate leben und leben sollen? — Er wagte
zwar nicht, vermöge des Geistes, mit welchem der Himmel ihn ursprünglich
beschenkt hatte, gegen staatswissenschaftliche Aufstellungen zu protestiren. gab
diesen sogar, wenn er gedrängt wurde, um nicht geistlos zu erscheinen, seine
Firma, aber er selbst kam niemals zu einer wissenschaftlichen Construction in
Staatsangelegenheiten.

Finanziell und staatswirthschaftlich war Stein ganz ungebildet. Trat ein
Ereigniß ein, welches entweder Aufnahme und Entwicklung oder Gegenma߬
regeln forderte, dann suchte er aus seinem großen Notizenmagazin das her.
aus, was in ähnlichen Fällen in andern Staaten geschehen war. So wollte
er, weil im Jahre 1806 zur Kriegführung Geld bei uns fehlte, das Land
mit unrealisirbarcm Papiergeld überschwemmen, weil Frankreich und Oese-


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[0427] zur Entwicklung von Ideen zu benutzen. Stein kannte von mehren Sprachen die Vocabeln, aber das, was Sprache ist, war ihm fremd. Er hatte eine Masse von historischen Notizen in seinem Gedächtnisse, wie wenig Historiker von Profession besitzen werden, aber was Karl der Große und Ludwig XIV. und Friedrich der Große in der Geschichte waren, das war ihm gänzlich un¬ bekannt. So waren ihm namentlich alle Einzelnheiten von Colberts Leben bekannt, aber daß dieser durch sein System der Hauptschöpfer eines Mittel¬ standes, also einer der Begründer unserer Cultur gewesen, ist Stein niemals in den Sinn gekommen; dem' 3. jede philosophische und poetische Bildung nicht allein abgeht, sondern den auch sein historischer Notizenkram zu einem förmlichen Widerwillen, besonders gegen philosophische Entwicklung gebracht hatte. — Wenn Stein jemanden tief stellen wollte, so nannte er ihn einen Meta- physikus. Seine Staatswissenschaft bestand in der Lebensgeschichte einzelner hervorragender Staatsmänner und in Kenntniß der einzelnen administrativen Maschinerien. Als er 1807 in Memel ankam, war sein erster Gedanke, die Staats¬ behörden anders zu gestalten. Ueber Staatsgrundsätze und eigentliche Staats¬ einrichtungen ist Stein mit dem Könige niemals in Differenz gekommen, aber gegen die Cabinetsregierung, wie sie damals bei uns war, trat er auf. Statt im Jahre 1805—1806 das Cabinet als Ersatz der deutschen Conserenzminister und des fehlenden Staatsraths anzusehen und zu verbessern, wollte er, daß die Administrationsminister ihre Pläne und Vorschläge vor dem Könige selbst recensirten. Die blutlosen Leute, Beyme und Lombarde waren ihm selbst zu¬ wider, so daß. er mehr gegen diese persönlich, als gegen die Cabinetsregie¬ rung kämpfte. Man würde Stein in Verlegenheit gesetzt haben, wenn man die Beant¬ wortung der Frage von ihm verlangt hätte, was ein Staat sei? — und zu welchem Zwecke wir in einem Staate leben und leben sollen? — Er wagte zwar nicht, vermöge des Geistes, mit welchem der Himmel ihn ursprünglich beschenkt hatte, gegen staatswissenschaftliche Aufstellungen zu protestiren. gab diesen sogar, wenn er gedrängt wurde, um nicht geistlos zu erscheinen, seine Firma, aber er selbst kam niemals zu einer wissenschaftlichen Construction in Staatsangelegenheiten. Finanziell und staatswirthschaftlich war Stein ganz ungebildet. Trat ein Ereigniß ein, welches entweder Aufnahme und Entwicklung oder Gegenma߬ regeln forderte, dann suchte er aus seinem großen Notizenmagazin das her. aus, was in ähnlichen Fällen in andern Staaten geschehen war. So wollte er, weil im Jahre 1806 zur Kriegführung Geld bei uns fehlte, das Land mit unrealisirbarcm Papiergeld überschwemmen, weil Frankreich und Oese-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/427>, abgerufen am 08.01.2025.