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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Schön schreibt: "Stein war ein großer Mann, weil er unbedingt und
rücksichtslos der Idee des Vaterlandes, wenn auch mehr instinctartig. als mit
Bewußtsein, lebte. Aeußere Verhältnisse hatten es ihm möglich gemacht,
als großer Mann in die Erscheinung treten zu können. Ohne ihn hätte die
russische Armee im Januar 1813 niemals die polnische Grenze überschritten.
Selbst der russische Feldmarschall wollte über unsere Stadt Johannisburg
nicht mehr hinaus. Ohne Stein wäre später vom russischen Hauptquartier
Kalisch aus Deutschland in eine russische und in eine französische Präfectur
getheilt worden. Der Kaiser Alexander wollte in Kalisch keinen Frieden mit
Preußen schließen, sondern unbedingt befehlen, was Preußen thun sollte.
Nur Stein, mit Hilfe von Scharnhorst brachte es dahin, daß Rußland Preu¬
ßen als unabhängigen Staat anerkannte und ein Friede geschlossen wurde.
Stein ist es zu verdanken, daß nach zwei Verlornen Schlachten (Goerschen
und Bauten) der Kaiser Alexander dem Verlangen seiner Armee, nach Polen
zurückzugehen, bestimmt entgegentrat, und daß während des Waffenstillstandes
Schlesien von Preußen und von den Nüssen besetzt blieb. Wurde Schlesien
damals aufgegeben, dann war die preußische Macht vernichtet und Rußland
genöthigt, aus Kosten Deutschlands mit Napoleon Frieden zu schließen. Stein
war bei Alexander der Repräsentant der Idee des unabhängigen Staats und
übte die Macht der Idee, wo es darauf ankam, auch mit der höchsten Selbst¬
verleugnung aus. Hätte Oestreich während des Waffenstillstandes, wo Preu¬
ßen und Nußland um dessen Gunst buhlten, nicht alles darangesetzt, um Steins
Einfluß auf Alexander zu vernichten, hätte Metternich damals nicht allein
gebieten wollen, welches ihm am Ende des Waffenstillstandes mit Oestreichs
Zutritt zur Allianz auch gelang, dann hätte durch Steins Wirken der Krieg
einen bei weitem besseren Fortgang gehabt, als er gehabt hat.

Hiernach war Stein ein großer Mann und unberechenbar ist sein Ver¬
dienst um Deutschland und dadurch um die Cultur der Welt überhaupt.
Deutschland müßte ihm eine Ehrensäule setzen, größer als die des heiligen
Borromäus (die größte auf der Erde) und der Name Stein müßte in
ellenlangen goldenen Buchstaben auf dem Postamente stehen. Aber ein
Staatsmann war Stein nur insofern, als ein Mann mit blendendem Witz,
und mit, wenn auch nicht tiefem, so doch scharfem, lebhaftem Geiste ein
Staatsmann sein kann, welcher 1. in den Vorurtheilen eines Reichssreiherrn
aufgewachsen ist, und in welchem sich diese Vorurtheile so festgesetzt haben, day
die Ersahrungen des weitern Lebens diese nicht zu erschüttern und noch weniger
auszurotten, sondern nur in einzelnen Fällen zu übertünchen im Stande sind;
2. den Bildungsgang gehabt hat, welcher in Steins Jugendzeit bei der so¬
genannten vornehmen Welt stattfand, nämlich Einzelnheiten in Massen in sein
Gedächtniß zu bringen, ohne diese zu Begriffen zu erheben und diese wieder
"


Schön schreibt: „Stein war ein großer Mann, weil er unbedingt und
rücksichtslos der Idee des Vaterlandes, wenn auch mehr instinctartig. als mit
Bewußtsein, lebte. Aeußere Verhältnisse hatten es ihm möglich gemacht,
als großer Mann in die Erscheinung treten zu können. Ohne ihn hätte die
russische Armee im Januar 1813 niemals die polnische Grenze überschritten.
Selbst der russische Feldmarschall wollte über unsere Stadt Johannisburg
nicht mehr hinaus. Ohne Stein wäre später vom russischen Hauptquartier
Kalisch aus Deutschland in eine russische und in eine französische Präfectur
getheilt worden. Der Kaiser Alexander wollte in Kalisch keinen Frieden mit
Preußen schließen, sondern unbedingt befehlen, was Preußen thun sollte.
Nur Stein, mit Hilfe von Scharnhorst brachte es dahin, daß Rußland Preu¬
ßen als unabhängigen Staat anerkannte und ein Friede geschlossen wurde.
Stein ist es zu verdanken, daß nach zwei Verlornen Schlachten (Goerschen
und Bauten) der Kaiser Alexander dem Verlangen seiner Armee, nach Polen
zurückzugehen, bestimmt entgegentrat, und daß während des Waffenstillstandes
Schlesien von Preußen und von den Nüssen besetzt blieb. Wurde Schlesien
damals aufgegeben, dann war die preußische Macht vernichtet und Rußland
genöthigt, aus Kosten Deutschlands mit Napoleon Frieden zu schließen. Stein
war bei Alexander der Repräsentant der Idee des unabhängigen Staats und
übte die Macht der Idee, wo es darauf ankam, auch mit der höchsten Selbst¬
verleugnung aus. Hätte Oestreich während des Waffenstillstandes, wo Preu¬
ßen und Nußland um dessen Gunst buhlten, nicht alles darangesetzt, um Steins
Einfluß auf Alexander zu vernichten, hätte Metternich damals nicht allein
gebieten wollen, welches ihm am Ende des Waffenstillstandes mit Oestreichs
Zutritt zur Allianz auch gelang, dann hätte durch Steins Wirken der Krieg
einen bei weitem besseren Fortgang gehabt, als er gehabt hat.

Hiernach war Stein ein großer Mann und unberechenbar ist sein Ver¬
dienst um Deutschland und dadurch um die Cultur der Welt überhaupt.
Deutschland müßte ihm eine Ehrensäule setzen, größer als die des heiligen
Borromäus (die größte auf der Erde) und der Name Stein müßte in
ellenlangen goldenen Buchstaben auf dem Postamente stehen. Aber ein
Staatsmann war Stein nur insofern, als ein Mann mit blendendem Witz,
und mit, wenn auch nicht tiefem, so doch scharfem, lebhaftem Geiste ein
Staatsmann sein kann, welcher 1. in den Vorurtheilen eines Reichssreiherrn
aufgewachsen ist, und in welchem sich diese Vorurtheile so festgesetzt haben, day
die Ersahrungen des weitern Lebens diese nicht zu erschüttern und noch weniger
auszurotten, sondern nur in einzelnen Fällen zu übertünchen im Stande sind;
2. den Bildungsgang gehabt hat, welcher in Steins Jugendzeit bei der so¬
genannten vornehmen Welt stattfand, nämlich Einzelnheiten in Massen in sein
Gedächtniß zu bringen, ohne diese zu Begriffen zu erheben und diese wieder
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[0426] Schön schreibt: „Stein war ein großer Mann, weil er unbedingt und rücksichtslos der Idee des Vaterlandes, wenn auch mehr instinctartig. als mit Bewußtsein, lebte. Aeußere Verhältnisse hatten es ihm möglich gemacht, als großer Mann in die Erscheinung treten zu können. Ohne ihn hätte die russische Armee im Januar 1813 niemals die polnische Grenze überschritten. Selbst der russische Feldmarschall wollte über unsere Stadt Johannisburg nicht mehr hinaus. Ohne Stein wäre später vom russischen Hauptquartier Kalisch aus Deutschland in eine russische und in eine französische Präfectur getheilt worden. Der Kaiser Alexander wollte in Kalisch keinen Frieden mit Preußen schließen, sondern unbedingt befehlen, was Preußen thun sollte. Nur Stein, mit Hilfe von Scharnhorst brachte es dahin, daß Rußland Preu¬ ßen als unabhängigen Staat anerkannte und ein Friede geschlossen wurde. Stein ist es zu verdanken, daß nach zwei Verlornen Schlachten (Goerschen und Bauten) der Kaiser Alexander dem Verlangen seiner Armee, nach Polen zurückzugehen, bestimmt entgegentrat, und daß während des Waffenstillstandes Schlesien von Preußen und von den Nüssen besetzt blieb. Wurde Schlesien damals aufgegeben, dann war die preußische Macht vernichtet und Rußland genöthigt, aus Kosten Deutschlands mit Napoleon Frieden zu schließen. Stein war bei Alexander der Repräsentant der Idee des unabhängigen Staats und übte die Macht der Idee, wo es darauf ankam, auch mit der höchsten Selbst¬ verleugnung aus. Hätte Oestreich während des Waffenstillstandes, wo Preu¬ ßen und Nußland um dessen Gunst buhlten, nicht alles darangesetzt, um Steins Einfluß auf Alexander zu vernichten, hätte Metternich damals nicht allein gebieten wollen, welches ihm am Ende des Waffenstillstandes mit Oestreichs Zutritt zur Allianz auch gelang, dann hätte durch Steins Wirken der Krieg einen bei weitem besseren Fortgang gehabt, als er gehabt hat. Hiernach war Stein ein großer Mann und unberechenbar ist sein Ver¬ dienst um Deutschland und dadurch um die Cultur der Welt überhaupt. Deutschland müßte ihm eine Ehrensäule setzen, größer als die des heiligen Borromäus (die größte auf der Erde) und der Name Stein müßte in ellenlangen goldenen Buchstaben auf dem Postamente stehen. Aber ein Staatsmann war Stein nur insofern, als ein Mann mit blendendem Witz, und mit, wenn auch nicht tiefem, so doch scharfem, lebhaftem Geiste ein Staatsmann sein kann, welcher 1. in den Vorurtheilen eines Reichssreiherrn aufgewachsen ist, und in welchem sich diese Vorurtheile so festgesetzt haben, day die Ersahrungen des weitern Lebens diese nicht zu erschüttern und noch weniger auszurotten, sondern nur in einzelnen Fällen zu übertünchen im Stande sind; 2. den Bildungsgang gehabt hat, welcher in Steins Jugendzeit bei der so¬ genannten vornehmen Welt stattfand, nämlich Einzelnheiten in Massen in sein Gedächtniß zu bringen, ohne diese zu Begriffen zu erheben und diese wieder "

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/426>, abgerufen am 03.07.2024.