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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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einer leeren Form des Wesens begnügt. Um es deutlicher zu sagen-, wenn
sie in ihrer vermeinten Einsichtsich auch nur zu dem ersten Grade aller lebendigen .
Erkenntniß, der Erkenntniß des Guten und Bösen erhoben hätten, so würden sie nicht
langer als eins und als gleich betrachten, was doch grundverschieden ist, und,
statt jener oberflächlichen Vielseitigkeit, erkennen, daß es nur zwei Religionen
gebe: die eine wahre, ewig unwandelbare, deren unvergängliche und heilige
Form zugleich durch ihr Wesen bestimmt ist; und die falsche, welche einmal
besiegt in immer andern Formen wieder erscheint; oder weil diese falsche Re¬
ligion eigentlich keine ist. nur eine ewig wahre, aber von bestimmtem Wesen,
und keineswegs wie jene wollen, verflossen und verschwemmt in die unbestimmte
Mehrheit aller jener Formen und Urformen." Nachdem Schlegel auf diese
Weise mit seinen gewohnten Cautelen seinen eignen Uebertritt vertheidigt,
setzt er seine Ansichten über den Zusammenhang der Philosophie mit dem
Christenthum auseinander, was für den frühern enthusiastischen Verehrer
Spinozas charakteristisch ist. "Die Philosophie des Spinoza, welche gegenwärtig
so viele Anhänger in Deutschland findet, ist mit dem Christenthum eigentlich
durchaus nicht vereinbar, denn der Begriff des lebendigen Gottes ist nicht der
jenes todten Gottwesens der unendlichen Substanz des Pantheismus und
Nur durch Inconsequenz ist mit dem System des Spinoza die Grundlehre
des Christenthums, die Lehre von der Dreieinigkeit zu verbinden." "Die
Aristotelische Philosophie mag in Rücksicht der Wissenschaftlichkeit viel Lob
verdienen, mit dem Christenthum ist sie eigentlich auch nicht sonderlich über¬
einstimmend, weil sie sich gar nicht bis zu der Region desselben erhebt."/ "Unter
allen Philosophien ist es die Platonische vorzüglich, welche,-wie man oft er¬
kannt hat, mit dem Christenthum am besten übereinstimmt, und wenn wir
sie von der einen Seite als den letzten herrlichen Wiederschein der ältesten
orientalischen Philosophie verehren, so kann man sie von der andern Seite
wie Recht als die schone Verkündigung und ahnende Morgenröthe der christ¬
lichen Philosophie betrachten, als ein verbindendes Mittelglied zweier Welten
der geistigen Bildung." -- Es hängt mit dieser Vorliebe für die Platonische
Philosophie zusammen, daß Schlegel im alten Testament einen esoterischen
Sinn findet, dessen Schlüssel nur die Offenbarung gibt. Der historische In¬
halt derselben ist ihm gleichgiltig. er läßt nur eine prophetische Symbolik
gelten, die auf die Erlösung hinweist. Kurz er treibt die Auslegung wieder
w das System der Kirchenväter. Das Christenthum ist nach seiner Ansicht
nicht eine neue Religion, sondern die uralte, von welcher sich Spuren in sämmt¬
lichen orientalischen Religionssystemen vorfinden sollen. Die Methode, mit
der er dies im Einzelnen ausführt, verräth den großen Einfluß der Symboliker
aus die historische Kritik.

Die Aufnahme der Schlegelschen Recension über Stolberg in ein pro-


einer leeren Form des Wesens begnügt. Um es deutlicher zu sagen-, wenn
sie in ihrer vermeinten Einsichtsich auch nur zu dem ersten Grade aller lebendigen .
Erkenntniß, der Erkenntniß des Guten und Bösen erhoben hätten, so würden sie nicht
langer als eins und als gleich betrachten, was doch grundverschieden ist, und,
statt jener oberflächlichen Vielseitigkeit, erkennen, daß es nur zwei Religionen
gebe: die eine wahre, ewig unwandelbare, deren unvergängliche und heilige
Form zugleich durch ihr Wesen bestimmt ist; und die falsche, welche einmal
besiegt in immer andern Formen wieder erscheint; oder weil diese falsche Re¬
ligion eigentlich keine ist. nur eine ewig wahre, aber von bestimmtem Wesen,
und keineswegs wie jene wollen, verflossen und verschwemmt in die unbestimmte
Mehrheit aller jener Formen und Urformen." Nachdem Schlegel auf diese
Weise mit seinen gewohnten Cautelen seinen eignen Uebertritt vertheidigt,
setzt er seine Ansichten über den Zusammenhang der Philosophie mit dem
Christenthum auseinander, was für den frühern enthusiastischen Verehrer
Spinozas charakteristisch ist. „Die Philosophie des Spinoza, welche gegenwärtig
so viele Anhänger in Deutschland findet, ist mit dem Christenthum eigentlich
durchaus nicht vereinbar, denn der Begriff des lebendigen Gottes ist nicht der
jenes todten Gottwesens der unendlichen Substanz des Pantheismus und
Nur durch Inconsequenz ist mit dem System des Spinoza die Grundlehre
des Christenthums, die Lehre von der Dreieinigkeit zu verbinden." „Die
Aristotelische Philosophie mag in Rücksicht der Wissenschaftlichkeit viel Lob
verdienen, mit dem Christenthum ist sie eigentlich auch nicht sonderlich über¬
einstimmend, weil sie sich gar nicht bis zu der Region desselben erhebt."/ „Unter
allen Philosophien ist es die Platonische vorzüglich, welche,-wie man oft er¬
kannt hat, mit dem Christenthum am besten übereinstimmt, und wenn wir
sie von der einen Seite als den letzten herrlichen Wiederschein der ältesten
orientalischen Philosophie verehren, so kann man sie von der andern Seite
wie Recht als die schone Verkündigung und ahnende Morgenröthe der christ¬
lichen Philosophie betrachten, als ein verbindendes Mittelglied zweier Welten
der geistigen Bildung." — Es hängt mit dieser Vorliebe für die Platonische
Philosophie zusammen, daß Schlegel im alten Testament einen esoterischen
Sinn findet, dessen Schlüssel nur die Offenbarung gibt. Der historische In¬
halt derselben ist ihm gleichgiltig. er läßt nur eine prophetische Symbolik
gelten, die auf die Erlösung hinweist. Kurz er treibt die Auslegung wieder
w das System der Kirchenväter. Das Christenthum ist nach seiner Ansicht
nicht eine neue Religion, sondern die uralte, von welcher sich Spuren in sämmt¬
lichen orientalischen Religionssystemen vorfinden sollen. Die Methode, mit
der er dies im Einzelnen ausführt, verräth den großen Einfluß der Symboliker
aus die historische Kritik.

Die Aufnahme der Schlegelschen Recension über Stolberg in ein pro-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/423>, abgerufen am 08.01.2025.