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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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in sich verbleibend. Jener nahm von jenem Punkt aus seine nothwendige
Richtung ins Aeußerliche und bildete das übersinnliche Christenthum symbolisch
und im Realen ab, als sichtbare Kirche; dieser, der Idee getreu, kannte keine
andere Form, das Wesen des Christenthums zu offenbaren, als die Lehre,
und verblieb daher, doctrinell und ideell, im Uebersinnlichen selbst als un¬
sichtbare Kirche. -- Durch die Reformation wurde in zwei Hemisphären aus
immer geschieden, was bis dahin in- und miteinander bestanden hatte. An
der Rechtmäßigkeit einer gänzlichen Absonderung von der katholischen Kirche
kann niemand zweifeln, da diese den Protestantismus niemals als ihr ange¬
hörend betrachtet, bei jeder Gelegenheit verworfen und unterdrückt und ihn
eben damit gezwungen hatte, endlich ein eignes, von ihr abgesondertes und
selbstständiges Leben anzunehmen. Zuerst entbrannte zwischen beiden Gegen¬
sätzen ein wilder Kampf, aber diesem verdankt auch die katholische Kirche ihr
neues Leben. Jetzt kann keine Kirche mehr ernsthaft daran denken, die andere
zu sich herüberzuziehen; Proselyten finden sich nur unter eigenthümlich orga-
nisirten Naturen. Mögen alle, die keinen Beruf haben zu tieferer Erforschung
der Wahrheit, starr in den Gegensätzen stehen bleiben: es ist nothwendig,
es ist weise darauf gerechnet, und wollte Gott, es geschähe von beiden Seiten
so. Aber warum sollen auch wir uns unter den Haufen mischen, der nur
ein blindes Werkzeug ist in einer höhern Hand, da wir es können sehend
sein, so wir es wollen und Gott die Wissenschaft uns ausschließt. -- Im Ge¬
gensatz zu der gemeinen Annahme wird jede der beiden Kirchen um so voll¬
kommener sein, je mehr sie ihren eigenthümlichen innern Charakter in ihrer
äußern Darstellung erscheinen läßt. Möge der Katholicismus in seinem Cul¬
tus immer mehr Gleichförmiges, Großartiges und Erhebendes bringen, in
seine Verfassung immer mehr Festigkeit, Subordination und Harmonie, in sein
Kirchenrecht immer mehr Lauterkeit, Würde und gediegene Festigkeit gegen alle
unbescheidener Ansprüche. Dagegen verrathen die unter den Protestanten so
oft schon wiederholten Klagen über die Kahlheit und Nacktheit ihrer Cultus-
formen, über den gänzlichen Mangel an Pracht und Luxus des Gottesdienstes
eine verkehrte Ansicht des Protestantismus. Durch Poesie und Kunst hilft
man demjenigen nicht auf, was einmal verfallen ist, der gesunde Protestan¬
tismus verschmäht solche von außen an ihn angesetzte Stützen. Was dem We¬
sen des Katholicismus gemäß bei diesem die Handlung im Sinnlichen ist, soll
beim Protestantismus die Handlung im Geistigen d. h. die Lehre sein. --
Diese Doctrinen rundeten sich noch bestimmter ab, als die entgegengesetzte An¬
sicht mit ihnen in Berührung kam.

Von Stolbergs Geschichte der Religion Jesu erschienen die ersten bei¬
den Bände 1806 und 1807. Fr. Schlegel, der soeben seinen Uebertritt zur
katholischen Kirche öffentlich gemacht, bestimmte die Redaction der neugegrün-


in sich verbleibend. Jener nahm von jenem Punkt aus seine nothwendige
Richtung ins Aeußerliche und bildete das übersinnliche Christenthum symbolisch
und im Realen ab, als sichtbare Kirche; dieser, der Idee getreu, kannte keine
andere Form, das Wesen des Christenthums zu offenbaren, als die Lehre,
und verblieb daher, doctrinell und ideell, im Uebersinnlichen selbst als un¬
sichtbare Kirche. — Durch die Reformation wurde in zwei Hemisphären aus
immer geschieden, was bis dahin in- und miteinander bestanden hatte. An
der Rechtmäßigkeit einer gänzlichen Absonderung von der katholischen Kirche
kann niemand zweifeln, da diese den Protestantismus niemals als ihr ange¬
hörend betrachtet, bei jeder Gelegenheit verworfen und unterdrückt und ihn
eben damit gezwungen hatte, endlich ein eignes, von ihr abgesondertes und
selbstständiges Leben anzunehmen. Zuerst entbrannte zwischen beiden Gegen¬
sätzen ein wilder Kampf, aber diesem verdankt auch die katholische Kirche ihr
neues Leben. Jetzt kann keine Kirche mehr ernsthaft daran denken, die andere
zu sich herüberzuziehen; Proselyten finden sich nur unter eigenthümlich orga-
nisirten Naturen. Mögen alle, die keinen Beruf haben zu tieferer Erforschung
der Wahrheit, starr in den Gegensätzen stehen bleiben: es ist nothwendig,
es ist weise darauf gerechnet, und wollte Gott, es geschähe von beiden Seiten
so. Aber warum sollen auch wir uns unter den Haufen mischen, der nur
ein blindes Werkzeug ist in einer höhern Hand, da wir es können sehend
sein, so wir es wollen und Gott die Wissenschaft uns ausschließt. — Im Ge¬
gensatz zu der gemeinen Annahme wird jede der beiden Kirchen um so voll¬
kommener sein, je mehr sie ihren eigenthümlichen innern Charakter in ihrer
äußern Darstellung erscheinen läßt. Möge der Katholicismus in seinem Cul¬
tus immer mehr Gleichförmiges, Großartiges und Erhebendes bringen, in
seine Verfassung immer mehr Festigkeit, Subordination und Harmonie, in sein
Kirchenrecht immer mehr Lauterkeit, Würde und gediegene Festigkeit gegen alle
unbescheidener Ansprüche. Dagegen verrathen die unter den Protestanten so
oft schon wiederholten Klagen über die Kahlheit und Nacktheit ihrer Cultus-
formen, über den gänzlichen Mangel an Pracht und Luxus des Gottesdienstes
eine verkehrte Ansicht des Protestantismus. Durch Poesie und Kunst hilft
man demjenigen nicht auf, was einmal verfallen ist, der gesunde Protestan¬
tismus verschmäht solche von außen an ihn angesetzte Stützen. Was dem We¬
sen des Katholicismus gemäß bei diesem die Handlung im Sinnlichen ist, soll
beim Protestantismus die Handlung im Geistigen d. h. die Lehre sein. —
Diese Doctrinen rundeten sich noch bestimmter ab, als die entgegengesetzte An¬
sicht mit ihnen in Berührung kam.

Von Stolbergs Geschichte der Religion Jesu erschienen die ersten bei¬
den Bände 1806 und 1807. Fr. Schlegel, der soeben seinen Uebertritt zur
katholischen Kirche öffentlich gemacht, bestimmte die Redaction der neugegrün-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/421>, abgerufen am 23.07.2024.