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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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gleich: so wie die Einheit in ihren Gegensätzen sich ausbreitet, so strebt die
Trennung zugleich ewig zurück in die Einheit, aus der sie erwachsen ist, gleich
wie der magnetische Gegensatz zweier sich entgegengesetzter Pole sich auflöst in
eine höhere Einheit." "Gleich wie die ewige Religion des Christenthums vor
ihrem Anfang in der Zeit eine zeitlose Existenz geführt und in ihrer Erschei¬
nung fortführt, also auch die Erscheinung derselben in einer katholischen und
protestantischen Kirche. Die zeitlose Existenz des Christenthums ist die ihrer
Ideen, die jeder eigenthümlichen Erscheinungsart beider in der Geschichte zu
Grunde liegt ... So lange der eine Gegensatz besteht, ist der andere noth-
' wendig mit gesetzt . . . Die nothwendige Erscheinung des Christenthums tritt
weder im einseitigen Bestehen des Katholicismus noch in dem einseitigen Be¬
stehen des Protestantismus hervor, sondern in dem gleichmäßigen Bestehen
und im Gegensatz beider. Die Trennung des Katholicismus und Protestan¬
tismus ist so tief und nothwendig in allem Leben und in allen religiösen
Verhältnissen ausgedrückt, daß die Wahrheit der Religion dadurch am besten
zu begreifen ist. Wie der Verstand, die besonnene Erkenntniß, die Ruhe,
Tiefe und Anstrengung des Denkens sich zur lebendigen Regsamkeit der Phan¬
tasie und schwärmerischen Empfindsamkeit verhalten, so der Protestantismus
und Katholicismus zueinander. Der strenge Gegensatz poetischer und specu-
lativer, phantastischer und kritischer Naturen herrscht durch das ganze Reich
geistiger Organisation. Dem Protestantismus ist der Ernst der Wissenschaft
verliehen, dem Katholicismus die heitere Kunst. Der Protestantismus hat
in ganz Europa Bildung, Wissenschaft und Gelehrsamkeit gefördert; dagegen
ist der Katholicismus kraft seiner Idee mehr auf das äußere und bewegliche
Leben angewiesen, auf daß er im Reich der Schönheit herrsche. Sein Cultus
besteht noch jetzt als ein Reich schöner Formen, in welchem er seiner unge¬
kränkten Existenz ebenso sicher sein kann, als der Protestantismus in seiner
Wissenschaft. Jene verstündige und besonnene Tendenz des Protestantismus
bringt auch in der Religion immer mehr Licht und Klarheit hervor, dagegen
ist alles mystisch im Katholicismus, in jener zweifelhaften Dunkelheit, in der
sich jede Vereinigung des Uebersinnlichen und Sinnlichen darstellt. Es läßt
sich begreisen, warum die Weiber durch ihre Natur bestimmt sich mehr zum
weicheren Katholicismus, die Männer mehr zum determinirten Protestantis¬
mus neigen; warum dort eine Mutter Gottes und hier der Sohn Gottes
Gegenstand höchster Verehrung ist. -- So wie das ewige Wesen des Christen¬
thums durchdrang zur Erscheinung, sich darstellend in der Form einer sicht¬
baren Kirche, trat es zugleich in zwei Gegensätzen hervor, von denen der eine
den andern nothwendig constituirte. Der eine erhob die Form des Christen¬
thums zu seinem Wesen und breitete sich schwelgend in der Cultusfülle aus;
der andere nahm sich das Wesen zu seiner Form, einfach und zurückgezogen


gleich: so wie die Einheit in ihren Gegensätzen sich ausbreitet, so strebt die
Trennung zugleich ewig zurück in die Einheit, aus der sie erwachsen ist, gleich
wie der magnetische Gegensatz zweier sich entgegengesetzter Pole sich auflöst in
eine höhere Einheit." „Gleich wie die ewige Religion des Christenthums vor
ihrem Anfang in der Zeit eine zeitlose Existenz geführt und in ihrer Erschei¬
nung fortführt, also auch die Erscheinung derselben in einer katholischen und
protestantischen Kirche. Die zeitlose Existenz des Christenthums ist die ihrer
Ideen, die jeder eigenthümlichen Erscheinungsart beider in der Geschichte zu
Grunde liegt ... So lange der eine Gegensatz besteht, ist der andere noth-
' wendig mit gesetzt . . . Die nothwendige Erscheinung des Christenthums tritt
weder im einseitigen Bestehen des Katholicismus noch in dem einseitigen Be¬
stehen des Protestantismus hervor, sondern in dem gleichmäßigen Bestehen
und im Gegensatz beider. Die Trennung des Katholicismus und Protestan¬
tismus ist so tief und nothwendig in allem Leben und in allen religiösen
Verhältnissen ausgedrückt, daß die Wahrheit der Religion dadurch am besten
zu begreifen ist. Wie der Verstand, die besonnene Erkenntniß, die Ruhe,
Tiefe und Anstrengung des Denkens sich zur lebendigen Regsamkeit der Phan¬
tasie und schwärmerischen Empfindsamkeit verhalten, so der Protestantismus
und Katholicismus zueinander. Der strenge Gegensatz poetischer und specu-
lativer, phantastischer und kritischer Naturen herrscht durch das ganze Reich
geistiger Organisation. Dem Protestantismus ist der Ernst der Wissenschaft
verliehen, dem Katholicismus die heitere Kunst. Der Protestantismus hat
in ganz Europa Bildung, Wissenschaft und Gelehrsamkeit gefördert; dagegen
ist der Katholicismus kraft seiner Idee mehr auf das äußere und bewegliche
Leben angewiesen, auf daß er im Reich der Schönheit herrsche. Sein Cultus
besteht noch jetzt als ein Reich schöner Formen, in welchem er seiner unge¬
kränkten Existenz ebenso sicher sein kann, als der Protestantismus in seiner
Wissenschaft. Jene verstündige und besonnene Tendenz des Protestantismus
bringt auch in der Religion immer mehr Licht und Klarheit hervor, dagegen
ist alles mystisch im Katholicismus, in jener zweifelhaften Dunkelheit, in der
sich jede Vereinigung des Uebersinnlichen und Sinnlichen darstellt. Es läßt
sich begreisen, warum die Weiber durch ihre Natur bestimmt sich mehr zum
weicheren Katholicismus, die Männer mehr zum determinirten Protestantis¬
mus neigen; warum dort eine Mutter Gottes und hier der Sohn Gottes
Gegenstand höchster Verehrung ist. — So wie das ewige Wesen des Christen¬
thums durchdrang zur Erscheinung, sich darstellend in der Form einer sicht¬
baren Kirche, trat es zugleich in zwei Gegensätzen hervor, von denen der eine
den andern nothwendig constituirte. Der eine erhob die Form des Christen¬
thums zu seinem Wesen und breitete sich schwelgend in der Cultusfülle aus;
der andere nahm sich das Wesen zu seiner Form, einfach und zurückgezogen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/420>, abgerufen am 23.07.2024.