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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Macher gezogen; auf diese tiefere Untersuchung der Dogmatik lassen wir uns hier
aber nicht ein, sondern heben nur diejenigen Züge hervor, die in die allge¬
meine Physiognomie der Zeit gehören. Für die Periode von 1805--1814
sind dievonDaub undCreuzer herausgegebenen Studien und die Heidel¬
berger Jahrbücher ebenso charakteristisch als die Hören und Propyläen für
eine frühere Bildungspcriode. In ihnen concentrirt sich alles, was damals
als neuer Keim aufging, das altdeutsche Studium, die Naturphilosophie in
ihrer Verbindung mit der Symbolik und Mythologie, so wie mit den ersten An¬
fängen der vergleichenden Sprachwissenschaft, die historisch-juristische Kritik und
anderes: das alles findet in dem theologischen Synkretismus den Leitfaden.

Geb. 1705 zu Kassel, hatte Daub seit 1786 zu Marburg studirt und
daselbst gelehrt, bis er 1794 nach Heidelberg kam. Er gehörte damals noch
ganz zur Kantischen Schule und noch sein Lehrbuch der Katechetik be-,
trachtet die Religion rein vom moralischen Standpunkt: ihr Zweck sei aus¬
schließlich, die praktische Idee der sittlichen Ordnung zu erwecken. Diesem
Zweck könnten die heiligen Bücher der verschiedenen Religionen dienen, und
der Vorzug der christlichen beruhe hauptsächlich darin, daß Christus selbst
alle Religionsgebräuche für nußerwesentlich und überflüssig erkläre. Wie im
Princip an Kant und Fichte, so lehnt sich Daub in der Exegese an Paulus;
es kommt ihm nicht daraus an, welche Lehren wirklich biblisch und von
Christus ausgegangen, sondern welche als Mittel zum Zweck moralisch-religiöser
Bildung brauchbar sind; ist der Religionslehrer nur dessen gewiß, daß seine
Lehren moralisch sind, so darf er sie mit gutem Gewissen als Lehren Christi
darstellen, mit dessen Geiste alles wahrhaft Sittliche in Uebereinstimmung ist.
Das Uebrige möge man als pädagogische Vorübung ohne weitere Kritik blos
historisch vortragen.

Es war hauptsächlich das von Schelling und Hegel herausgegebene kri¬
tische Journal, welches andere religiöse Ueberzeugungen in ihm erweckte,
und die Bekanntschaft mit dem geistesverwandten Creuzer gab ihm Gelegen¬
heit, die neugewonnenen Ansichten öffentlich zu verkündigen. Zwei Aufsätze,
die den Begriff der Zeitschrift sehr deutlich aussprechen, eröffnen die Slud ieu
(1805): Das Studium des Alterthums als Vorbereitung zur Phi¬
losophie von Creuzer und Orthodoxie und Heterodoxie, ein Beitrag
Zur Lehre von den symbolischen Büchern von Daub. In dem letzteren Ar¬
tikel, dessen Princip sich durch die sämmtlichen folgenden Jahrgänge durch¬
zieht, wird der Begriff der Rechtgläubigkeit in einem ganz neuen Sinn auf¬
gefaßt. Die Religion ist subjectiv eine Eigenschaft des einzelnen Menschen
und ihm steht in ihrer Subjectivität ein unbestreitbares Recht über sie, wie
über jede andere seiner Eigenschaften zu, so daß er für sich entweder sie selbst
hegen, oder an ihrer Statt, so lange niemand außer ihm dadurch beeinträchtigt


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Macher gezogen; auf diese tiefere Untersuchung der Dogmatik lassen wir uns hier
aber nicht ein, sondern heben nur diejenigen Züge hervor, die in die allge¬
meine Physiognomie der Zeit gehören. Für die Periode von 1805—1814
sind dievonDaub undCreuzer herausgegebenen Studien und die Heidel¬
berger Jahrbücher ebenso charakteristisch als die Hören und Propyläen für
eine frühere Bildungspcriode. In ihnen concentrirt sich alles, was damals
als neuer Keim aufging, das altdeutsche Studium, die Naturphilosophie in
ihrer Verbindung mit der Symbolik und Mythologie, so wie mit den ersten An¬
fängen der vergleichenden Sprachwissenschaft, die historisch-juristische Kritik und
anderes: das alles findet in dem theologischen Synkretismus den Leitfaden.

Geb. 1705 zu Kassel, hatte Daub seit 1786 zu Marburg studirt und
daselbst gelehrt, bis er 1794 nach Heidelberg kam. Er gehörte damals noch
ganz zur Kantischen Schule und noch sein Lehrbuch der Katechetik be-,
trachtet die Religion rein vom moralischen Standpunkt: ihr Zweck sei aus¬
schließlich, die praktische Idee der sittlichen Ordnung zu erwecken. Diesem
Zweck könnten die heiligen Bücher der verschiedenen Religionen dienen, und
der Vorzug der christlichen beruhe hauptsächlich darin, daß Christus selbst
alle Religionsgebräuche für nußerwesentlich und überflüssig erkläre. Wie im
Princip an Kant und Fichte, so lehnt sich Daub in der Exegese an Paulus;
es kommt ihm nicht daraus an, welche Lehren wirklich biblisch und von
Christus ausgegangen, sondern welche als Mittel zum Zweck moralisch-religiöser
Bildung brauchbar sind; ist der Religionslehrer nur dessen gewiß, daß seine
Lehren moralisch sind, so darf er sie mit gutem Gewissen als Lehren Christi
darstellen, mit dessen Geiste alles wahrhaft Sittliche in Uebereinstimmung ist.
Das Uebrige möge man als pädagogische Vorübung ohne weitere Kritik blos
historisch vortragen.

Es war hauptsächlich das von Schelling und Hegel herausgegebene kri¬
tische Journal, welches andere religiöse Ueberzeugungen in ihm erweckte,
und die Bekanntschaft mit dem geistesverwandten Creuzer gab ihm Gelegen¬
heit, die neugewonnenen Ansichten öffentlich zu verkündigen. Zwei Aufsätze,
die den Begriff der Zeitschrift sehr deutlich aussprechen, eröffnen die Slud ieu
(1805): Das Studium des Alterthums als Vorbereitung zur Phi¬
losophie von Creuzer und Orthodoxie und Heterodoxie, ein Beitrag
Zur Lehre von den symbolischen Büchern von Daub. In dem letzteren Ar¬
tikel, dessen Princip sich durch die sämmtlichen folgenden Jahrgänge durch¬
zieht, wird der Begriff der Rechtgläubigkeit in einem ganz neuen Sinn auf¬
gefaßt. Die Religion ist subjectiv eine Eigenschaft des einzelnen Menschen
und ihm steht in ihrer Subjectivität ein unbestreitbares Recht über sie, wie
über jede andere seiner Eigenschaften zu, so daß er für sich entweder sie selbst
hegen, oder an ihrer Statt, so lange niemand außer ihm dadurch beeinträchtigt


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[0411] Macher gezogen; auf diese tiefere Untersuchung der Dogmatik lassen wir uns hier aber nicht ein, sondern heben nur diejenigen Züge hervor, die in die allge¬ meine Physiognomie der Zeit gehören. Für die Periode von 1805—1814 sind dievonDaub undCreuzer herausgegebenen Studien und die Heidel¬ berger Jahrbücher ebenso charakteristisch als die Hören und Propyläen für eine frühere Bildungspcriode. In ihnen concentrirt sich alles, was damals als neuer Keim aufging, das altdeutsche Studium, die Naturphilosophie in ihrer Verbindung mit der Symbolik und Mythologie, so wie mit den ersten An¬ fängen der vergleichenden Sprachwissenschaft, die historisch-juristische Kritik und anderes: das alles findet in dem theologischen Synkretismus den Leitfaden. Geb. 1705 zu Kassel, hatte Daub seit 1786 zu Marburg studirt und daselbst gelehrt, bis er 1794 nach Heidelberg kam. Er gehörte damals noch ganz zur Kantischen Schule und noch sein Lehrbuch der Katechetik be-, trachtet die Religion rein vom moralischen Standpunkt: ihr Zweck sei aus¬ schließlich, die praktische Idee der sittlichen Ordnung zu erwecken. Diesem Zweck könnten die heiligen Bücher der verschiedenen Religionen dienen, und der Vorzug der christlichen beruhe hauptsächlich darin, daß Christus selbst alle Religionsgebräuche für nußerwesentlich und überflüssig erkläre. Wie im Princip an Kant und Fichte, so lehnt sich Daub in der Exegese an Paulus; es kommt ihm nicht daraus an, welche Lehren wirklich biblisch und von Christus ausgegangen, sondern welche als Mittel zum Zweck moralisch-religiöser Bildung brauchbar sind; ist der Religionslehrer nur dessen gewiß, daß seine Lehren moralisch sind, so darf er sie mit gutem Gewissen als Lehren Christi darstellen, mit dessen Geiste alles wahrhaft Sittliche in Uebereinstimmung ist. Das Uebrige möge man als pädagogische Vorübung ohne weitere Kritik blos historisch vortragen. Es war hauptsächlich das von Schelling und Hegel herausgegebene kri¬ tische Journal, welches andere religiöse Ueberzeugungen in ihm erweckte, und die Bekanntschaft mit dem geistesverwandten Creuzer gab ihm Gelegen¬ heit, die neugewonnenen Ansichten öffentlich zu verkündigen. Zwei Aufsätze, die den Begriff der Zeitschrift sehr deutlich aussprechen, eröffnen die Slud ieu (1805): Das Studium des Alterthums als Vorbereitung zur Phi¬ losophie von Creuzer und Orthodoxie und Heterodoxie, ein Beitrag Zur Lehre von den symbolischen Büchern von Daub. In dem letzteren Ar¬ tikel, dessen Princip sich durch die sämmtlichen folgenden Jahrgänge durch¬ zieht, wird der Begriff der Rechtgläubigkeit in einem ganz neuen Sinn auf¬ gefaßt. Die Religion ist subjectiv eine Eigenschaft des einzelnen Menschen und ihm steht in ihrer Subjectivität ein unbestreitbares Recht über sie, wie über jede andere seiner Eigenschaften zu, so daß er für sich entweder sie selbst hegen, oder an ihrer Statt, so lange niemand außer ihm dadurch beeinträchtigt 51*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/411>, abgerufen am 03.07.2024.