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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Auf der andern Seite war durch die zahlreichen poetischen Formen, die
man entdeckt hatte, der Sinn für Bildlichkeit, das poetische Verständniß des
Großen und Erhabenen verstärkt worden. Geübt in der Schule der Griechen,
entdeckte das Auge im Christenthum Schönheiten, von denen die Theologie
früher keine Ahnung gehabt. Wenn man sich dort seinen Gott nach den
Bedürfnissen der Seele ausmalte, freute man sich hier des fertigen Bildes,
von der Gottheit und ihren himmlischen Umgebungen. Es ist natürlich, daß
die Phantasie am liebsten bei derjenigen Form der Religion verweilt, die über
eine Fülle sinnlicher Erscheinungen gebietet, und so zeigt sich in dieser religiösen
Richtung, die zuerst durch Herder vorbereitet, dann durch die romantische Schule,
namentlich durch Novalis ausgebildet war, eine merkliche Vorliebe zum
Katholicismus, eine Vorliebe, die freilich nur in den seltensten Fallen zum
Uebertritt führte, die aber doch eine ganz andere Auffassung der Kirche inner¬
halb der allgemeinen Bildung vermittelte. Damals übte diese Vorliebe manche
verwirrende Einwirkung aus, jetzt, da wir unbefangener sind, können wir ihr
nachrühmen, daß sie das historische Verständniß erweitert und eine Cultur¬
schicht eröffnet hat, für die man alles Verständniß verloren hatte.

Endlich wirkte der Fortschritt der deutschen Speculation auf die Theologie
zurück. Kant und Fichte hatten das menschliche Verständniß auf dasjenige
einschränken wollen, was sich in strengen Begriffen ausdrücken und aus das
praktische Leben anwenden ließ. Ihre Religion war ausschließlich die des
vernünftigen Nechtthuns. Desto kühner wagten sich ihre Nachfolger auf das
offne Meer der Speculation, und bald schien es, als ob der einzige würdige
Gegenstand des menschlichen Denkens das Absolute sei. Was die Kirchen¬
vater und Scholastiker über die heilige Dreieinigkeit, was Jakob Böhme über
die göttliche Qualität, was Spinoza über die Substanz gedacht, wurde wieder
hervorgesucht und zuweilen auf eine fehr wunderliche Weise durcheincmder-
geschüttct. Durch diese Speculation wurde die Dogmatik auf eine unerwar¬
tete Weise bereichert, und wenn es erst Hegel gelang, das neue System
mit einer gewissen Vollständigkeit auszuführen, so verdienen doch auch seine
Vorgänger Beachtung, schon weil sie frischer und gewissermaßen naiver ans
Werk gingen. Unter diesen Versuchen ist einer der interessantesten derjenige,
den die Heidelberger Theologen in der Periode von 1805 -- I8it>
unternahmen. Die Gründer derselben, Daub und Marheineke, haben sich
später der großen Hegelschen Bewegung angeschlossen, und ihre Einflüsse sind
von dem allerneusten Supranaturalismus, der aus der Theologie der Specu¬
lation in die Theologie der Thatsachen überging, wieder abgestreift worden,
allein ihre Ansichten der frühern Periode haben etwas Eigenthümliches, das
in der Culturgeschichte seinen Platz behaupten wird. David Strauß hat
in seinen Charakteristiken eine interessante Parallele zwischen Daub und Schleier-


Auf der andern Seite war durch die zahlreichen poetischen Formen, die
man entdeckt hatte, der Sinn für Bildlichkeit, das poetische Verständniß des
Großen und Erhabenen verstärkt worden. Geübt in der Schule der Griechen,
entdeckte das Auge im Christenthum Schönheiten, von denen die Theologie
früher keine Ahnung gehabt. Wenn man sich dort seinen Gott nach den
Bedürfnissen der Seele ausmalte, freute man sich hier des fertigen Bildes,
von der Gottheit und ihren himmlischen Umgebungen. Es ist natürlich, daß
die Phantasie am liebsten bei derjenigen Form der Religion verweilt, die über
eine Fülle sinnlicher Erscheinungen gebietet, und so zeigt sich in dieser religiösen
Richtung, die zuerst durch Herder vorbereitet, dann durch die romantische Schule,
namentlich durch Novalis ausgebildet war, eine merkliche Vorliebe zum
Katholicismus, eine Vorliebe, die freilich nur in den seltensten Fallen zum
Uebertritt führte, die aber doch eine ganz andere Auffassung der Kirche inner¬
halb der allgemeinen Bildung vermittelte. Damals übte diese Vorliebe manche
verwirrende Einwirkung aus, jetzt, da wir unbefangener sind, können wir ihr
nachrühmen, daß sie das historische Verständniß erweitert und eine Cultur¬
schicht eröffnet hat, für die man alles Verständniß verloren hatte.

Endlich wirkte der Fortschritt der deutschen Speculation auf die Theologie
zurück. Kant und Fichte hatten das menschliche Verständniß auf dasjenige
einschränken wollen, was sich in strengen Begriffen ausdrücken und aus das
praktische Leben anwenden ließ. Ihre Religion war ausschließlich die des
vernünftigen Nechtthuns. Desto kühner wagten sich ihre Nachfolger auf das
offne Meer der Speculation, und bald schien es, als ob der einzige würdige
Gegenstand des menschlichen Denkens das Absolute sei. Was die Kirchen¬
vater und Scholastiker über die heilige Dreieinigkeit, was Jakob Böhme über
die göttliche Qualität, was Spinoza über die Substanz gedacht, wurde wieder
hervorgesucht und zuweilen auf eine fehr wunderliche Weise durcheincmder-
geschüttct. Durch diese Speculation wurde die Dogmatik auf eine unerwar¬
tete Weise bereichert, und wenn es erst Hegel gelang, das neue System
mit einer gewissen Vollständigkeit auszuführen, so verdienen doch auch seine
Vorgänger Beachtung, schon weil sie frischer und gewissermaßen naiver ans
Werk gingen. Unter diesen Versuchen ist einer der interessantesten derjenige,
den die Heidelberger Theologen in der Periode von 1805 — I8it>
unternahmen. Die Gründer derselben, Daub und Marheineke, haben sich
später der großen Hegelschen Bewegung angeschlossen, und ihre Einflüsse sind
von dem allerneusten Supranaturalismus, der aus der Theologie der Specu¬
lation in die Theologie der Thatsachen überging, wieder abgestreift worden,
allein ihre Ansichten der frühern Periode haben etwas Eigenthümliches, das
in der Culturgeschichte seinen Platz behaupten wird. David Strauß hat
in seinen Charakteristiken eine interessante Parallele zwischen Daub und Schleier-


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[0410] Auf der andern Seite war durch die zahlreichen poetischen Formen, die man entdeckt hatte, der Sinn für Bildlichkeit, das poetische Verständniß des Großen und Erhabenen verstärkt worden. Geübt in der Schule der Griechen, entdeckte das Auge im Christenthum Schönheiten, von denen die Theologie früher keine Ahnung gehabt. Wenn man sich dort seinen Gott nach den Bedürfnissen der Seele ausmalte, freute man sich hier des fertigen Bildes, von der Gottheit und ihren himmlischen Umgebungen. Es ist natürlich, daß die Phantasie am liebsten bei derjenigen Form der Religion verweilt, die über eine Fülle sinnlicher Erscheinungen gebietet, und so zeigt sich in dieser religiösen Richtung, die zuerst durch Herder vorbereitet, dann durch die romantische Schule, namentlich durch Novalis ausgebildet war, eine merkliche Vorliebe zum Katholicismus, eine Vorliebe, die freilich nur in den seltensten Fallen zum Uebertritt führte, die aber doch eine ganz andere Auffassung der Kirche inner¬ halb der allgemeinen Bildung vermittelte. Damals übte diese Vorliebe manche verwirrende Einwirkung aus, jetzt, da wir unbefangener sind, können wir ihr nachrühmen, daß sie das historische Verständniß erweitert und eine Cultur¬ schicht eröffnet hat, für die man alles Verständniß verloren hatte. Endlich wirkte der Fortschritt der deutschen Speculation auf die Theologie zurück. Kant und Fichte hatten das menschliche Verständniß auf dasjenige einschränken wollen, was sich in strengen Begriffen ausdrücken und aus das praktische Leben anwenden ließ. Ihre Religion war ausschließlich die des vernünftigen Nechtthuns. Desto kühner wagten sich ihre Nachfolger auf das offne Meer der Speculation, und bald schien es, als ob der einzige würdige Gegenstand des menschlichen Denkens das Absolute sei. Was die Kirchen¬ vater und Scholastiker über die heilige Dreieinigkeit, was Jakob Böhme über die göttliche Qualität, was Spinoza über die Substanz gedacht, wurde wieder hervorgesucht und zuweilen auf eine fehr wunderliche Weise durcheincmder- geschüttct. Durch diese Speculation wurde die Dogmatik auf eine unerwar¬ tete Weise bereichert, und wenn es erst Hegel gelang, das neue System mit einer gewissen Vollständigkeit auszuführen, so verdienen doch auch seine Vorgänger Beachtung, schon weil sie frischer und gewissermaßen naiver ans Werk gingen. Unter diesen Versuchen ist einer der interessantesten derjenige, den die Heidelberger Theologen in der Periode von 1805 — I8it> unternahmen. Die Gründer derselben, Daub und Marheineke, haben sich später der großen Hegelschen Bewegung angeschlossen, und ihre Einflüsse sind von dem allerneusten Supranaturalismus, der aus der Theologie der Specu¬ lation in die Theologie der Thatsachen überging, wieder abgestreift worden, allein ihre Ansichten der frühern Periode haben etwas Eigenthümliches, das in der Culturgeschichte seinen Platz behaupten wird. David Strauß hat in seinen Charakteristiken eine interessante Parallele zwischen Daub und Schleier-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/410>, abgerufen am 03.07.2024.