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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Persönlichkeiten zu suchen, welche bisher mit der Verwaltung betraut waren.
Wir behaupten, daß, wenn eine verhältnißmäßig geringe Staatsschuld, nie¬
drige Steuern und reiche, bis jetzt noch ganz une'röffnet gebliebene Hilfsquellen
aller Art auf einen guten Vermögensstand schließen lassen, die Pforte zu den
finanziell am besten gestellten Regierungen der Welt gehört, und daß ihre
Staatsmänner, wenn sie das erforderliche Verständniß und den nöthigen guten
Willen hätten, binnen wenigen Jahren ihr Budget ins Gleichgewicht zu
bringen im Stande sein würden. Es mangelt somit nicht an den natürlichen,
sondern nur an den moralischen Kräften zur Wiedergeburt in dieser Richtung.
Die Türken kennen mit wenigen Ausnahmen die Theorie der modernen Volks¬
wirthschaft nicht, und noch viel weniger besitzen sie Erfahrung in ihrer Praxis.
Sparsamkeit und Pünktlichkeit sind ihnen in der Verwaltung des Staats-
vermögcns ebenso unbekannte Tugenden wie in ihrem Privathaushalt. Sie
gleichen hierin jenen polnischen Edelleuten, die es für unschicklich halten, sich
selbst mit der Verwaltung ihrer Güter zu beschäftigen, und so zu Grunde
gehen, ohne daß sie grade immer einen Aufwand machen, der ihre Mittel
überstiege, wenn sie dieselben mit Vernunft zu nützen wüßten.

Die türkischen Finanzminister sind bis auf die beiden letzten, welche bis
zu einem gewissen Grade die neue Zeit repräsentiren, fast stets aus einer Classe
von Beamten hervorgegangen, die sich über eine gewisse, durchaus unge¬
nügende Geschäftsroutine nicht erhoben hat. Sie hatten keine klare Vorstel¬
lung von einem verständig geregelten Staatshaushalt, und noch viel weniger
war ihre Stellung sicher und ihr Charakter fest und energisch genug, um das
von ihnen etwa als heilsam Erkannte durchsetzen zu können. Von mächtigeren
Einflüssen abhängig, waren sie genöthigt, den Ansprüchen ihrer Beschützer
überall nachzugeben und ihr Amt weniger zum Frommen des Gemeinwesens
als im Interesse einzelner Personen zu verwalten. Abgesehen von der ma߬
losen Verschwendung des nahezu unzurechnungsfähigen Sultans, sahen sie sich
gezwungen, in ihrer Verlegenheit zu dem Rath der großen griechischen Ban¬
kiers in Konstantinopel ihre Zuflucht zu nehmen, welche bei Ertheilung dieses
Raths natürlich zuerst an sich dachten. Je nach dem Spiel einer nie rasten¬
den Intrigue protegirt diese hohe Finanzwelt bald diesen, bald jenen Staats-
schatzmcister oder wird von ihm protegirt, und so lange der Gönner oder
Günstling am Nuder ist, an dem er niemals lange bleibt, bieten seine kauf¬
männischen Rathgeber alles auf, um die Staatskassen auszubeuten, wobei es
ihnen nicht selten gelingt, in wenigen Monaten Millionen zu gewinnen.

Diese Kaufmannschaft aber wirkt auch noch in anderer Weise auf den
Ruin der türkischen Finanzen hin. Man hat die großen Variationen in den
Wechselcoursen und die Entwerthung des Papiergeldes der Türkei vorzüglich
aus den politischen Ereignissen zu erklären gesucht. Es reicht aber schon eine


Grenzboten III. 1358. 50

Persönlichkeiten zu suchen, welche bisher mit der Verwaltung betraut waren.
Wir behaupten, daß, wenn eine verhältnißmäßig geringe Staatsschuld, nie¬
drige Steuern und reiche, bis jetzt noch ganz une'röffnet gebliebene Hilfsquellen
aller Art auf einen guten Vermögensstand schließen lassen, die Pforte zu den
finanziell am besten gestellten Regierungen der Welt gehört, und daß ihre
Staatsmänner, wenn sie das erforderliche Verständniß und den nöthigen guten
Willen hätten, binnen wenigen Jahren ihr Budget ins Gleichgewicht zu
bringen im Stande sein würden. Es mangelt somit nicht an den natürlichen,
sondern nur an den moralischen Kräften zur Wiedergeburt in dieser Richtung.
Die Türken kennen mit wenigen Ausnahmen die Theorie der modernen Volks¬
wirthschaft nicht, und noch viel weniger besitzen sie Erfahrung in ihrer Praxis.
Sparsamkeit und Pünktlichkeit sind ihnen in der Verwaltung des Staats-
vermögcns ebenso unbekannte Tugenden wie in ihrem Privathaushalt. Sie
gleichen hierin jenen polnischen Edelleuten, die es für unschicklich halten, sich
selbst mit der Verwaltung ihrer Güter zu beschäftigen, und so zu Grunde
gehen, ohne daß sie grade immer einen Aufwand machen, der ihre Mittel
überstiege, wenn sie dieselben mit Vernunft zu nützen wüßten.

Die türkischen Finanzminister sind bis auf die beiden letzten, welche bis
zu einem gewissen Grade die neue Zeit repräsentiren, fast stets aus einer Classe
von Beamten hervorgegangen, die sich über eine gewisse, durchaus unge¬
nügende Geschäftsroutine nicht erhoben hat. Sie hatten keine klare Vorstel¬
lung von einem verständig geregelten Staatshaushalt, und noch viel weniger
war ihre Stellung sicher und ihr Charakter fest und energisch genug, um das
von ihnen etwa als heilsam Erkannte durchsetzen zu können. Von mächtigeren
Einflüssen abhängig, waren sie genöthigt, den Ansprüchen ihrer Beschützer
überall nachzugeben und ihr Amt weniger zum Frommen des Gemeinwesens
als im Interesse einzelner Personen zu verwalten. Abgesehen von der ma߬
losen Verschwendung des nahezu unzurechnungsfähigen Sultans, sahen sie sich
gezwungen, in ihrer Verlegenheit zu dem Rath der großen griechischen Ban¬
kiers in Konstantinopel ihre Zuflucht zu nehmen, welche bei Ertheilung dieses
Raths natürlich zuerst an sich dachten. Je nach dem Spiel einer nie rasten¬
den Intrigue protegirt diese hohe Finanzwelt bald diesen, bald jenen Staats-
schatzmcister oder wird von ihm protegirt, und so lange der Gönner oder
Günstling am Nuder ist, an dem er niemals lange bleibt, bieten seine kauf¬
männischen Rathgeber alles auf, um die Staatskassen auszubeuten, wobei es
ihnen nicht selten gelingt, in wenigen Monaten Millionen zu gewinnen.

Diese Kaufmannschaft aber wirkt auch noch in anderer Weise auf den
Ruin der türkischen Finanzen hin. Man hat die großen Variationen in den
Wechselcoursen und die Entwerthung des Papiergeldes der Türkei vorzüglich
aus den politischen Ereignissen zu erklären gesucht. Es reicht aber schon eine


Grenzboten III. 1358. 50
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[0401] Persönlichkeiten zu suchen, welche bisher mit der Verwaltung betraut waren. Wir behaupten, daß, wenn eine verhältnißmäßig geringe Staatsschuld, nie¬ drige Steuern und reiche, bis jetzt noch ganz une'röffnet gebliebene Hilfsquellen aller Art auf einen guten Vermögensstand schließen lassen, die Pforte zu den finanziell am besten gestellten Regierungen der Welt gehört, und daß ihre Staatsmänner, wenn sie das erforderliche Verständniß und den nöthigen guten Willen hätten, binnen wenigen Jahren ihr Budget ins Gleichgewicht zu bringen im Stande sein würden. Es mangelt somit nicht an den natürlichen, sondern nur an den moralischen Kräften zur Wiedergeburt in dieser Richtung. Die Türken kennen mit wenigen Ausnahmen die Theorie der modernen Volks¬ wirthschaft nicht, und noch viel weniger besitzen sie Erfahrung in ihrer Praxis. Sparsamkeit und Pünktlichkeit sind ihnen in der Verwaltung des Staats- vermögcns ebenso unbekannte Tugenden wie in ihrem Privathaushalt. Sie gleichen hierin jenen polnischen Edelleuten, die es für unschicklich halten, sich selbst mit der Verwaltung ihrer Güter zu beschäftigen, und so zu Grunde gehen, ohne daß sie grade immer einen Aufwand machen, der ihre Mittel überstiege, wenn sie dieselben mit Vernunft zu nützen wüßten. Die türkischen Finanzminister sind bis auf die beiden letzten, welche bis zu einem gewissen Grade die neue Zeit repräsentiren, fast stets aus einer Classe von Beamten hervorgegangen, die sich über eine gewisse, durchaus unge¬ nügende Geschäftsroutine nicht erhoben hat. Sie hatten keine klare Vorstel¬ lung von einem verständig geregelten Staatshaushalt, und noch viel weniger war ihre Stellung sicher und ihr Charakter fest und energisch genug, um das von ihnen etwa als heilsam Erkannte durchsetzen zu können. Von mächtigeren Einflüssen abhängig, waren sie genöthigt, den Ansprüchen ihrer Beschützer überall nachzugeben und ihr Amt weniger zum Frommen des Gemeinwesens als im Interesse einzelner Personen zu verwalten. Abgesehen von der ma߬ losen Verschwendung des nahezu unzurechnungsfähigen Sultans, sahen sie sich gezwungen, in ihrer Verlegenheit zu dem Rath der großen griechischen Ban¬ kiers in Konstantinopel ihre Zuflucht zu nehmen, welche bei Ertheilung dieses Raths natürlich zuerst an sich dachten. Je nach dem Spiel einer nie rasten¬ den Intrigue protegirt diese hohe Finanzwelt bald diesen, bald jenen Staats- schatzmcister oder wird von ihm protegirt, und so lange der Gönner oder Günstling am Nuder ist, an dem er niemals lange bleibt, bieten seine kauf¬ männischen Rathgeber alles auf, um die Staatskassen auszubeuten, wobei es ihnen nicht selten gelingt, in wenigen Monaten Millionen zu gewinnen. Diese Kaufmannschaft aber wirkt auch noch in anderer Weise auf den Ruin der türkischen Finanzen hin. Man hat die großen Variationen in den Wechselcoursen und die Entwerthung des Papiergeldes der Türkei vorzüglich aus den politischen Ereignissen zu erklären gesucht. Es reicht aber schon eine Grenzboten III. 1358. 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/401>, abgerufen am 22.07.2024.