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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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wohlgenährte Frau mit einer Brille auf der Nase fragte, was der Herren
Begehr sei. "Suchen die Schenke. Wollen Erakliwein kosten," sagten wir,
dem Himmel dankend, wenigstens ein menschliches Gesicht und noch dazu ein
so behäbiges zu sehen. "Die Schenke ist hier, wenn sich so nennen wollen,"
erwiederte der Mund unter der Brille. Mit dem Wein freilich stände es übel.
Der Hagel hätte nichts wachsen lassen. Sollten aber nur eintreten, die Herr¬
schaften. Wollte suchen, ob noch 'ne Flasche im Keller wäre.

Die Stube war so ärmlich wie die beiden andern, in die wir gesehen.
Indeß hatte sie einen Tisch und etliche Stühle mehr, auch gab es darin einen
jener alten schwarzwälder seiger, die zu jeder rechtschaffnen Dorfschenke ge¬
hören. Schon das stimmte gemüthlich. Die runden Formen der Wirthin
und ihre freundliche Gesprächigkeit thaten ein Uebriges, und als sie nach einer
Weile mit einer Flasche "vom Besten" wiederkam und wir das köstliche, durch
Farbe und Geschmack an unsern Steinwein erinnernde Naß kosteten, war der
üble Eindruck von draußen rasch vergessen. Während wir tranken, unterhielt
uns die Frau mit ihrem Schicksal. Sie war als Marketenderin nach Griechen¬
land gekommen, hatte den Feldzug der Ba'iern gegen die Mainoten mitge¬
macht, war dabei verwundet worden und hatte sich endlich mit ihrem Mann
hier niedergelassen. Leichter Sinnes schien sie sich in ihre Lage mit guter
Manier zu schicken. Bald nachher kam der Mann vom Felde heim. Er sah
aus, als ob er nächst dem lieben Gott, der den Hagel geschickt, die meiste
Schuld an der Weinebbe im Keller trüge; im Uebrigen war er eine brave
alte Soldatenhaut. Auch spielte er uns, zum Dank dafür, daß wir ihn zum
Mittrinken einluden, ganz artige Schnaderhüpferln auf einer alten Zither vor,
die uns auf so muntere Laune brachten, daß wir den Vorschlag machten, zur
zweiten Flasche uns den Herrn Pfarrer holen zu lassen. Die Wirthin glaubte,
der geistliche Herr werde es uns nicht abschlagen, und schickte ihm unser Kom¬
pliment, und es währte nicht lange, so sahen wir ihn in seinem schwarzen
Kamclottälar über den Platz auf das Haus zuschreiten. Ich bemerkte sofort,
daß wir es mit einem Mann zu thun hatten, der, ohne seiner Würde etwas
zu vergeben, die Welt zu nehmen wußte, wie sie war. Er schien bei den
Leuten beliebt zu sein. Schon die zweite Flasche, die noch viel besser als die erste
war, bewies das. Auch wir wurden bald die besten Freunde, und als wir
seiner Einladung, bei ihm den Kaffee zu trinken, gefolgt waren, zog er den
schon im Wirthshaus gelüfteten schwarzen Rock ganz aus und war wieder einmal
der alte Student, der er noch vor vier Monaten gewesen. Aus einer Schub¬
lade kam das blaurothweiße Band der Pfälzer, zum Vorschein, denen er in
München angehört. Auch ein geschriebenes Commersbuch war vorhanden, und
der Pastor hielt es nicht für einen Raub, mit mir den "Landesvater" zu
Probiren. Das stille Pfarrhaus, in dem die schöne feierliche Weise sicher zum


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wohlgenährte Frau mit einer Brille auf der Nase fragte, was der Herren
Begehr sei. „Suchen die Schenke. Wollen Erakliwein kosten," sagten wir,
dem Himmel dankend, wenigstens ein menschliches Gesicht und noch dazu ein
so behäbiges zu sehen. „Die Schenke ist hier, wenn sich so nennen wollen,"
erwiederte der Mund unter der Brille. Mit dem Wein freilich stände es übel.
Der Hagel hätte nichts wachsen lassen. Sollten aber nur eintreten, die Herr¬
schaften. Wollte suchen, ob noch 'ne Flasche im Keller wäre.

Die Stube war so ärmlich wie die beiden andern, in die wir gesehen.
Indeß hatte sie einen Tisch und etliche Stühle mehr, auch gab es darin einen
jener alten schwarzwälder seiger, die zu jeder rechtschaffnen Dorfschenke ge¬
hören. Schon das stimmte gemüthlich. Die runden Formen der Wirthin
und ihre freundliche Gesprächigkeit thaten ein Uebriges, und als sie nach einer
Weile mit einer Flasche „vom Besten" wiederkam und wir das köstliche, durch
Farbe und Geschmack an unsern Steinwein erinnernde Naß kosteten, war der
üble Eindruck von draußen rasch vergessen. Während wir tranken, unterhielt
uns die Frau mit ihrem Schicksal. Sie war als Marketenderin nach Griechen¬
land gekommen, hatte den Feldzug der Ba'iern gegen die Mainoten mitge¬
macht, war dabei verwundet worden und hatte sich endlich mit ihrem Mann
hier niedergelassen. Leichter Sinnes schien sie sich in ihre Lage mit guter
Manier zu schicken. Bald nachher kam der Mann vom Felde heim. Er sah
aus, als ob er nächst dem lieben Gott, der den Hagel geschickt, die meiste
Schuld an der Weinebbe im Keller trüge; im Uebrigen war er eine brave
alte Soldatenhaut. Auch spielte er uns, zum Dank dafür, daß wir ihn zum
Mittrinken einluden, ganz artige Schnaderhüpferln auf einer alten Zither vor,
die uns auf so muntere Laune brachten, daß wir den Vorschlag machten, zur
zweiten Flasche uns den Herrn Pfarrer holen zu lassen. Die Wirthin glaubte,
der geistliche Herr werde es uns nicht abschlagen, und schickte ihm unser Kom¬
pliment, und es währte nicht lange, so sahen wir ihn in seinem schwarzen
Kamclottälar über den Platz auf das Haus zuschreiten. Ich bemerkte sofort,
daß wir es mit einem Mann zu thun hatten, der, ohne seiner Würde etwas
zu vergeben, die Welt zu nehmen wußte, wie sie war. Er schien bei den
Leuten beliebt zu sein. Schon die zweite Flasche, die noch viel besser als die erste
war, bewies das. Auch wir wurden bald die besten Freunde, und als wir
seiner Einladung, bei ihm den Kaffee zu trinken, gefolgt waren, zog er den
schon im Wirthshaus gelüfteten schwarzen Rock ganz aus und war wieder einmal
der alte Student, der er noch vor vier Monaten gewesen. Aus einer Schub¬
lade kam das blaurothweiße Band der Pfälzer, zum Vorschein, denen er in
München angehört. Auch ein geschriebenes Commersbuch war vorhanden, und
der Pastor hielt es nicht für einen Raub, mit mir den „Landesvater" zu
Probiren. Das stille Pfarrhaus, in dem die schöne feierliche Weise sicher zum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/395>, abgerufen am 23.07.2024.