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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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ersten Mal erklang, mag sich baß darüber gewundert haben, die kleinen
Schwestern, die dem Geistlichen haushalten, vermuthlich nicht minder; ich
hoffe aber, daß es ein freudiges Verwundern war.

Der Pfarrer, aus Syra gebürtig, hatte zehn Jahre in Deutschland ge¬
lebt, und es war ihm da so wohl gegangen, daß er nichts sehnlicher wünschte,
als dorthin zurückkehren zu können. Während sein Vorgänger kein Wort von
der Sprache seiner Gemeinde verstanden hatte, redete er so gut Deutsch,
als wir. Daß es ihm in der Colonie nicht behagte, war begreiflich. Sie ist
eine Kranke, der nicht mehr zu helfen ist, und ehe zehn Jahre vergehen, wird
sie verkümmert und verdorben sein wie jene andere Niederlassung von Deut¬
schen, die schon vor Jahren in der Fieberlust von Argos erstickte. Vielleicht
wäre sie besser gediehen, wenn man sie, wie ursprünglich beabsichtigt, in der
Ebne von Eleusis gegründet hätte. Aber auch dort wächst Wein, und auch
dort hatten die alten Soldaten, die man hier zu Bauern machen wollte, mehr
von dem Gewächs getrunken als verkauft, und auch dort hätte das "böse
Auge", mit dem die Griechen die deutschen Ansiedler ansehen, seinen verderb¬
lichen Zauber geübt.

Nach dem Kaffee machten wir, in Begleitung des Pfarrers, einen Aus¬
flug nach dem eine Stunde von hier ungemein anmuthig gelegenen Kephissia,
wo der König einen Theil des Sommers zuzubringen pflegt. Die Hitze war
außerordentlich stark, ein förmlicher Brand, grimmig wie der Brand um die
drei Männer im feurigen Ofen, bei dem wir den Schatten der uralten Platane
vor dem Kaffeehause und die Kühlung der Quelle, die daneben sprudelt, dop¬
pelt wohlthuend fanden. Um uns tummelten sich Soldaten, die hier einen
Wachtposten gegen die Räuber bilden. Im Kaffeehause saßen Fustanellen-
träger, Tschibbuks und Papiercigarren rauchend. Am Brunnen schöpften Frauen
in albanesischcr Tracht mit großen alterthümlichen Amphoren die klare Flut.
Ein Tabulcttkrämer mit einem Eselein zog vorüber und sang mit langgezognem
Tone "Amerikani Kopani!" amerikanische Waaren. Durch den Wipfel des
Baumes sandte die Sonne in das grüne dämmernde Paradies zitternde Lichter.
In der That, es zeigt einen guten Geschmack, daß König Otto oft an dieser
Stelle weilt, und wenn ein Leser dieser Zeilen einmal denselben Ausflug macht,
so ist er gebeten, außer Frau Barbara Taglauer im Wirthshaus von Erakli
und ihrem wackern kleinen Pastor auch die Dryade in der Platane von
Kephissia sür ihre Gastfreundschaft dankbar von mir zu grüßen.

Am nächsten Tage wurde die Akademie und der Kolonoshügel besucht
und Abends im Anblick des Parthenon bei Mondschein geschwelgt. Als wir
von der Akademie zurückkehrten, sahen wir Kinder der Vorstadt das Spiel
spielen, welches in Sachsen die meißner oder die merseburger Brücke heißt
-und auch in England unter dem Namen "Orang-os emä I^rrwns" vorkommt.


ersten Mal erklang, mag sich baß darüber gewundert haben, die kleinen
Schwestern, die dem Geistlichen haushalten, vermuthlich nicht minder; ich
hoffe aber, daß es ein freudiges Verwundern war.

Der Pfarrer, aus Syra gebürtig, hatte zehn Jahre in Deutschland ge¬
lebt, und es war ihm da so wohl gegangen, daß er nichts sehnlicher wünschte,
als dorthin zurückkehren zu können. Während sein Vorgänger kein Wort von
der Sprache seiner Gemeinde verstanden hatte, redete er so gut Deutsch,
als wir. Daß es ihm in der Colonie nicht behagte, war begreiflich. Sie ist
eine Kranke, der nicht mehr zu helfen ist, und ehe zehn Jahre vergehen, wird
sie verkümmert und verdorben sein wie jene andere Niederlassung von Deut¬
schen, die schon vor Jahren in der Fieberlust von Argos erstickte. Vielleicht
wäre sie besser gediehen, wenn man sie, wie ursprünglich beabsichtigt, in der
Ebne von Eleusis gegründet hätte. Aber auch dort wächst Wein, und auch
dort hatten die alten Soldaten, die man hier zu Bauern machen wollte, mehr
von dem Gewächs getrunken als verkauft, und auch dort hätte das „böse
Auge", mit dem die Griechen die deutschen Ansiedler ansehen, seinen verderb¬
lichen Zauber geübt.

Nach dem Kaffee machten wir, in Begleitung des Pfarrers, einen Aus¬
flug nach dem eine Stunde von hier ungemein anmuthig gelegenen Kephissia,
wo der König einen Theil des Sommers zuzubringen pflegt. Die Hitze war
außerordentlich stark, ein förmlicher Brand, grimmig wie der Brand um die
drei Männer im feurigen Ofen, bei dem wir den Schatten der uralten Platane
vor dem Kaffeehause und die Kühlung der Quelle, die daneben sprudelt, dop¬
pelt wohlthuend fanden. Um uns tummelten sich Soldaten, die hier einen
Wachtposten gegen die Räuber bilden. Im Kaffeehause saßen Fustanellen-
träger, Tschibbuks und Papiercigarren rauchend. Am Brunnen schöpften Frauen
in albanesischcr Tracht mit großen alterthümlichen Amphoren die klare Flut.
Ein Tabulcttkrämer mit einem Eselein zog vorüber und sang mit langgezognem
Tone „Amerikani Kopani!" amerikanische Waaren. Durch den Wipfel des
Baumes sandte die Sonne in das grüne dämmernde Paradies zitternde Lichter.
In der That, es zeigt einen guten Geschmack, daß König Otto oft an dieser
Stelle weilt, und wenn ein Leser dieser Zeilen einmal denselben Ausflug macht,
so ist er gebeten, außer Frau Barbara Taglauer im Wirthshaus von Erakli
und ihrem wackern kleinen Pastor auch die Dryade in der Platane von
Kephissia sür ihre Gastfreundschaft dankbar von mir zu grüßen.

Am nächsten Tage wurde die Akademie und der Kolonoshügel besucht
und Abends im Anblick des Parthenon bei Mondschein geschwelgt. Als wir
von der Akademie zurückkehrten, sahen wir Kinder der Vorstadt das Spiel
spielen, welches in Sachsen die meißner oder die merseburger Brücke heißt
-und auch in England unter dem Namen „Orang-os emä I^rrwns« vorkommt.


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[0396] ersten Mal erklang, mag sich baß darüber gewundert haben, die kleinen Schwestern, die dem Geistlichen haushalten, vermuthlich nicht minder; ich hoffe aber, daß es ein freudiges Verwundern war. Der Pfarrer, aus Syra gebürtig, hatte zehn Jahre in Deutschland ge¬ lebt, und es war ihm da so wohl gegangen, daß er nichts sehnlicher wünschte, als dorthin zurückkehren zu können. Während sein Vorgänger kein Wort von der Sprache seiner Gemeinde verstanden hatte, redete er so gut Deutsch, als wir. Daß es ihm in der Colonie nicht behagte, war begreiflich. Sie ist eine Kranke, der nicht mehr zu helfen ist, und ehe zehn Jahre vergehen, wird sie verkümmert und verdorben sein wie jene andere Niederlassung von Deut¬ schen, die schon vor Jahren in der Fieberlust von Argos erstickte. Vielleicht wäre sie besser gediehen, wenn man sie, wie ursprünglich beabsichtigt, in der Ebne von Eleusis gegründet hätte. Aber auch dort wächst Wein, und auch dort hatten die alten Soldaten, die man hier zu Bauern machen wollte, mehr von dem Gewächs getrunken als verkauft, und auch dort hätte das „böse Auge", mit dem die Griechen die deutschen Ansiedler ansehen, seinen verderb¬ lichen Zauber geübt. Nach dem Kaffee machten wir, in Begleitung des Pfarrers, einen Aus¬ flug nach dem eine Stunde von hier ungemein anmuthig gelegenen Kephissia, wo der König einen Theil des Sommers zuzubringen pflegt. Die Hitze war außerordentlich stark, ein förmlicher Brand, grimmig wie der Brand um die drei Männer im feurigen Ofen, bei dem wir den Schatten der uralten Platane vor dem Kaffeehause und die Kühlung der Quelle, die daneben sprudelt, dop¬ pelt wohlthuend fanden. Um uns tummelten sich Soldaten, die hier einen Wachtposten gegen die Räuber bilden. Im Kaffeehause saßen Fustanellen- träger, Tschibbuks und Papiercigarren rauchend. Am Brunnen schöpften Frauen in albanesischcr Tracht mit großen alterthümlichen Amphoren die klare Flut. Ein Tabulcttkrämer mit einem Eselein zog vorüber und sang mit langgezognem Tone „Amerikani Kopani!" amerikanische Waaren. Durch den Wipfel des Baumes sandte die Sonne in das grüne dämmernde Paradies zitternde Lichter. In der That, es zeigt einen guten Geschmack, daß König Otto oft an dieser Stelle weilt, und wenn ein Leser dieser Zeilen einmal denselben Ausflug macht, so ist er gebeten, außer Frau Barbara Taglauer im Wirthshaus von Erakli und ihrem wackern kleinen Pastor auch die Dryade in der Platane von Kephissia sür ihre Gastfreundschaft dankbar von mir zu grüßen. Am nächsten Tage wurde die Akademie und der Kolonoshügel besucht und Abends im Anblick des Parthenon bei Mondschein geschwelgt. Als wir von der Akademie zurückkehrten, sahen wir Kinder der Vorstadt das Spiel spielen, welches in Sachsen die meißner oder die merseburger Brücke heißt -und auch in England unter dem Namen „Orang-os emä I^rrwns« vorkommt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/396>, abgerufen am 23.07.2024.