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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Tages alle miteinander anspannten und heimführen, wenn wir dort nicht
betteln gehen müßten."

Wir hörten noch, daß die Kolonisten mit Ausnahme von zwei Familien
katholisch seien, daß sie zusammen nur 12 Pferde, 2 Esel, 5 Kühe und etwa
70 Schafe besaßen. Dann schieden wir mit guten Wünschen, an deren Er¬
füllung wir aber selbst nicht glaubten.

Das Aeußere des Mannes und seines Geschirrs schien seine Klagen zu
bestätigen. Dem Dorfe dagegen sah man es von der Seite, wo wir uns
ihm näherten, eben nicht an, daß sich hier nicht gut Hütten bauen ließ. Wir
trafen mehre Arbeiter vor demselben, einen mit dem Pflug offenbar guten
Boden lockernd, einen andern nebst einer Frau mit Garbenbinden beschäftigt.
Munter spielte am Wege eine kleine Lise, neben ihr ein kleiner Mitro. Eine
schnatternde Gänseherde, die uns mit schweren Bäuchen entgegenwatschelte,
ließ mir behagliche Gedanken an heimische Martinsgänse und die dazu ge¬
hörige Fülle von Aepfeln und Beifuß durch den Busen streichen. Aus tief¬
grünen Gärten mit breitwipfeligen Feigen- und Maulbeerbäumen, aus Wein-
und Olivenpflanzungen blickten die rothen Dächer recht freundlich hervor. Neben
orientalischen Cypressen stand doldenreich nordischer Flieder, der seinen Dust
mit dem der Rebenblüte mischte.

Wir gingen zwischen den ersten Häusern durch, und das Bild, das wir
jetzt vor uns hatten, rief sofort die traurige Schilderung, die der Jngolstädter
gegeben, zurück. Die Colonie sah hier wie ein etwas in die Länge gestreck¬
tes, ungewöhnlich übel gehaltenes deutsches Dorfarmenhaus aus. Sie ist in
Form eines Winkelmaßes angelegt, jedes Haus wie das andere gebaut, nur
an einer Stelle ein Zwischenraum. In der Mitte des Platzes vor den beiden
Häuserfronten steht die Kirche, daneben die Wohnung des Priesters, die einzige
freundlich blickende. Die übrigen machten sämmtlich grämliche Gesichter. Bei
dreien war das Dach eingefallen. Vor einigen hatte man ein Stück Land
mit niedrigen Erdwällen zu kleinen Gärten eingezäunt, die aber wüst lagen, und
in denen sogar das Unkraut nur kümmerlich wuchs. Selbst das Gärtchen des
Priesters hatte nichts als einige Stengel Löwenmaul, etliche Mohnblumen und
zwei oder drei dürftige kniehohe Pinien und Silberpappeln aufzuweisen. Daß
wir eine Viertelstunde auf dem Platze hin und hergehen konnten, ohne daß
ein Mensch aus einer der überall verschlossenen Thüren trat, oder auch nur ein
Hahn krähte, eine Kuh sich hören ließ, ein Hund bellte, steigerte den Eindruck
der Verkommenheit, Verdrießlichkeit und Niedergeschlagenheit, den das Ganze
machte. Wir pochten an ein Fenster, niemand antwortete. Drin war nichts
als ein alter gebrechlicher Tisch, ein Holzschemel und ein auf den Boden ge¬
breitetes Bett. Durch ein zweites Fenster blickend, gewahrten wir dasselbe
kahle Bild der Armuth. Endlich ging neben uns eine Thür auf, und eine


Tages alle miteinander anspannten und heimführen, wenn wir dort nicht
betteln gehen müßten."

Wir hörten noch, daß die Kolonisten mit Ausnahme von zwei Familien
katholisch seien, daß sie zusammen nur 12 Pferde, 2 Esel, 5 Kühe und etwa
70 Schafe besaßen. Dann schieden wir mit guten Wünschen, an deren Er¬
füllung wir aber selbst nicht glaubten.

Das Aeußere des Mannes und seines Geschirrs schien seine Klagen zu
bestätigen. Dem Dorfe dagegen sah man es von der Seite, wo wir uns
ihm näherten, eben nicht an, daß sich hier nicht gut Hütten bauen ließ. Wir
trafen mehre Arbeiter vor demselben, einen mit dem Pflug offenbar guten
Boden lockernd, einen andern nebst einer Frau mit Garbenbinden beschäftigt.
Munter spielte am Wege eine kleine Lise, neben ihr ein kleiner Mitro. Eine
schnatternde Gänseherde, die uns mit schweren Bäuchen entgegenwatschelte,
ließ mir behagliche Gedanken an heimische Martinsgänse und die dazu ge¬
hörige Fülle von Aepfeln und Beifuß durch den Busen streichen. Aus tief¬
grünen Gärten mit breitwipfeligen Feigen- und Maulbeerbäumen, aus Wein-
und Olivenpflanzungen blickten die rothen Dächer recht freundlich hervor. Neben
orientalischen Cypressen stand doldenreich nordischer Flieder, der seinen Dust
mit dem der Rebenblüte mischte.

Wir gingen zwischen den ersten Häusern durch, und das Bild, das wir
jetzt vor uns hatten, rief sofort die traurige Schilderung, die der Jngolstädter
gegeben, zurück. Die Colonie sah hier wie ein etwas in die Länge gestreck¬
tes, ungewöhnlich übel gehaltenes deutsches Dorfarmenhaus aus. Sie ist in
Form eines Winkelmaßes angelegt, jedes Haus wie das andere gebaut, nur
an einer Stelle ein Zwischenraum. In der Mitte des Platzes vor den beiden
Häuserfronten steht die Kirche, daneben die Wohnung des Priesters, die einzige
freundlich blickende. Die übrigen machten sämmtlich grämliche Gesichter. Bei
dreien war das Dach eingefallen. Vor einigen hatte man ein Stück Land
mit niedrigen Erdwällen zu kleinen Gärten eingezäunt, die aber wüst lagen, und
in denen sogar das Unkraut nur kümmerlich wuchs. Selbst das Gärtchen des
Priesters hatte nichts als einige Stengel Löwenmaul, etliche Mohnblumen und
zwei oder drei dürftige kniehohe Pinien und Silberpappeln aufzuweisen. Daß
wir eine Viertelstunde auf dem Platze hin und hergehen konnten, ohne daß
ein Mensch aus einer der überall verschlossenen Thüren trat, oder auch nur ein
Hahn krähte, eine Kuh sich hören ließ, ein Hund bellte, steigerte den Eindruck
der Verkommenheit, Verdrießlichkeit und Niedergeschlagenheit, den das Ganze
machte. Wir pochten an ein Fenster, niemand antwortete. Drin war nichts
als ein alter gebrechlicher Tisch, ein Holzschemel und ein auf den Boden ge¬
breitetes Bett. Durch ein zweites Fenster blickend, gewahrten wir dasselbe
kahle Bild der Armuth. Endlich ging neben uns eine Thür auf, und eine


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[0394] Tages alle miteinander anspannten und heimführen, wenn wir dort nicht betteln gehen müßten." Wir hörten noch, daß die Kolonisten mit Ausnahme von zwei Familien katholisch seien, daß sie zusammen nur 12 Pferde, 2 Esel, 5 Kühe und etwa 70 Schafe besaßen. Dann schieden wir mit guten Wünschen, an deren Er¬ füllung wir aber selbst nicht glaubten. Das Aeußere des Mannes und seines Geschirrs schien seine Klagen zu bestätigen. Dem Dorfe dagegen sah man es von der Seite, wo wir uns ihm näherten, eben nicht an, daß sich hier nicht gut Hütten bauen ließ. Wir trafen mehre Arbeiter vor demselben, einen mit dem Pflug offenbar guten Boden lockernd, einen andern nebst einer Frau mit Garbenbinden beschäftigt. Munter spielte am Wege eine kleine Lise, neben ihr ein kleiner Mitro. Eine schnatternde Gänseherde, die uns mit schweren Bäuchen entgegenwatschelte, ließ mir behagliche Gedanken an heimische Martinsgänse und die dazu ge¬ hörige Fülle von Aepfeln und Beifuß durch den Busen streichen. Aus tief¬ grünen Gärten mit breitwipfeligen Feigen- und Maulbeerbäumen, aus Wein- und Olivenpflanzungen blickten die rothen Dächer recht freundlich hervor. Neben orientalischen Cypressen stand doldenreich nordischer Flieder, der seinen Dust mit dem der Rebenblüte mischte. Wir gingen zwischen den ersten Häusern durch, und das Bild, das wir jetzt vor uns hatten, rief sofort die traurige Schilderung, die der Jngolstädter gegeben, zurück. Die Colonie sah hier wie ein etwas in die Länge gestreck¬ tes, ungewöhnlich übel gehaltenes deutsches Dorfarmenhaus aus. Sie ist in Form eines Winkelmaßes angelegt, jedes Haus wie das andere gebaut, nur an einer Stelle ein Zwischenraum. In der Mitte des Platzes vor den beiden Häuserfronten steht die Kirche, daneben die Wohnung des Priesters, die einzige freundlich blickende. Die übrigen machten sämmtlich grämliche Gesichter. Bei dreien war das Dach eingefallen. Vor einigen hatte man ein Stück Land mit niedrigen Erdwällen zu kleinen Gärten eingezäunt, die aber wüst lagen, und in denen sogar das Unkraut nur kümmerlich wuchs. Selbst das Gärtchen des Priesters hatte nichts als einige Stengel Löwenmaul, etliche Mohnblumen und zwei oder drei dürftige kniehohe Pinien und Silberpappeln aufzuweisen. Daß wir eine Viertelstunde auf dem Platze hin und hergehen konnten, ohne daß ein Mensch aus einer der überall verschlossenen Thüren trat, oder auch nur ein Hahn krähte, eine Kuh sich hören ließ, ein Hund bellte, steigerte den Eindruck der Verkommenheit, Verdrießlichkeit und Niedergeschlagenheit, den das Ganze machte. Wir pochten an ein Fenster, niemand antwortete. Drin war nichts als ein alter gebrechlicher Tisch, ein Holzschemel und ein auf den Boden ge¬ breitetes Bett. Durch ein zweites Fenster blickend, gewahrten wir dasselbe kahle Bild der Armuth. Endlich ging neben uns eine Thür auf, und eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/394>, abgerufen am 25.08.2024.