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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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ward in dem untern Saale des neuen Bibliothekgebäudes auf Einladung der
Universität von ungefähr fünfhundert Gästen gespeist. Der Großherzog brachte
den ersten Toast auf die Universität, dem einige andere folgten. Zur voll¬
ständigen Charakteristik des Festes sei bemerkt, daß alle Weinsorten ausgezeich¬
net waren, was keine Kleinigkeit ist bei einem so umfangreichen Mahl. Die
Speisen waren gut.

Am folgenden zweiten Festtag ward in der Universitätskirche die lateinische
Gedächtnißrede auf die Hochschule von dem Professor der Eloquenz, Hofrath
Göttling, gehalten. Ich habe sie nicht gehört und kann Ihnen, da sie auch
nicht gedruckt vorliegt, davon nicht berichten. schwungvoll und humoristisch,
witzig und gemüthlich ist alles, was Göttling sagt, und im Latein bewegt er
sich mit größter Ungenirtheit. So wird auch diese Rede gewesen sein, und
so hat man mir gesagt, daß sie gewesen sei.

Nach der Rede war wieder Festmahl, wie am vorigen Tage. Inzwischen
hatte sich die festliche Stimmung bei allen Theilnehmern aufs Höchste gestei¬
gert, sowol durch den schönen, oft erhebenden Verlauf der öffentlichen Feier¬
lichkeiten, als durch den heitern Ton und die tiefen gemüthlichen Beziehungen
in den Privatkreisen, hervorgerufen durch bedeutende Erinnerungen und Be¬
gegnungen. Hier trat nun aber die Lücke des Festes ein. Jene Stimmung
fand bei dem Festessen des zweiten Tages keinen durchschlagenden und be¬
geisternden Ausdruck. Es wurde zwar viel getoastet, aber keine Rede erhob
sich auf die Höhe des Festes. Eine doppelte Bedeutung der Universität und
ihrer Feier war noch nicht zur Sprache gekommen. Die enge Verbindung
Jenas mit dem Ausschwung des deutschen Geisteslebens an der Schwelle un¬
sers Jahrhunderts, und die Bedeutung Jenas sür das deutsche Studenten¬
leben, als Hauptsitz der Burschenschaft. Es mußte hervorgehoben werden, wie
jene Heroen des achtzehnten Jahrhunderts unter uns fortleben, und welche
Pflicht wir, als ihre Erben, der Gestalt unsers Lebens gegenüber haben, und
es mußte hervorgehoben werden, wie wir zu dem sittlichen Aufschwung stehen,
welchen die Burschenschaft dem deutschen Studentenleben zu geben bemüht
war, was uns überhaupt das Studententhum und akademische Leben heute
ist und sein soll. Dies aber wagte und vermochte kein Redner.

Der Mangel ward sehr bedauerlich und lebhaft empfunden, aber schwer¬
lich in den rechten Ursachen gesucht. Man schob die Schuld wol auf mangelnde
Vorsorge der Festordner. Mit Unrecht. Es liegt vielmehr in der Natur der
Sache, daß eine ähnliche Lücke bei jedem deutschen Fest zu Tage kommen muß.
Wir sind ein Volk, das viele edle Kräfte in Geschichte und Gegenwart ent¬
wickelt hat. Das Gefühl und die Wirklichkeit dieser Kräfte kommt bei unsern
Festen zu Tage und kam hier zu Tage in dem schönen Ausdruck der Festerin-
"erungen, in der gehobenen Stimmung, der Liebenswürdigkeit und sittlichen


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ward in dem untern Saale des neuen Bibliothekgebäudes auf Einladung der
Universität von ungefähr fünfhundert Gästen gespeist. Der Großherzog brachte
den ersten Toast auf die Universität, dem einige andere folgten. Zur voll¬
ständigen Charakteristik des Festes sei bemerkt, daß alle Weinsorten ausgezeich¬
net waren, was keine Kleinigkeit ist bei einem so umfangreichen Mahl. Die
Speisen waren gut.

Am folgenden zweiten Festtag ward in der Universitätskirche die lateinische
Gedächtnißrede auf die Hochschule von dem Professor der Eloquenz, Hofrath
Göttling, gehalten. Ich habe sie nicht gehört und kann Ihnen, da sie auch
nicht gedruckt vorliegt, davon nicht berichten. schwungvoll und humoristisch,
witzig und gemüthlich ist alles, was Göttling sagt, und im Latein bewegt er
sich mit größter Ungenirtheit. So wird auch diese Rede gewesen sein, und
so hat man mir gesagt, daß sie gewesen sei.

Nach der Rede war wieder Festmahl, wie am vorigen Tage. Inzwischen
hatte sich die festliche Stimmung bei allen Theilnehmern aufs Höchste gestei¬
gert, sowol durch den schönen, oft erhebenden Verlauf der öffentlichen Feier¬
lichkeiten, als durch den heitern Ton und die tiefen gemüthlichen Beziehungen
in den Privatkreisen, hervorgerufen durch bedeutende Erinnerungen und Be¬
gegnungen. Hier trat nun aber die Lücke des Festes ein. Jene Stimmung
fand bei dem Festessen des zweiten Tages keinen durchschlagenden und be¬
geisternden Ausdruck. Es wurde zwar viel getoastet, aber keine Rede erhob
sich auf die Höhe des Festes. Eine doppelte Bedeutung der Universität und
ihrer Feier war noch nicht zur Sprache gekommen. Die enge Verbindung
Jenas mit dem Ausschwung des deutschen Geisteslebens an der Schwelle un¬
sers Jahrhunderts, und die Bedeutung Jenas sür das deutsche Studenten¬
leben, als Hauptsitz der Burschenschaft. Es mußte hervorgehoben werden, wie
jene Heroen des achtzehnten Jahrhunderts unter uns fortleben, und welche
Pflicht wir, als ihre Erben, der Gestalt unsers Lebens gegenüber haben, und
es mußte hervorgehoben werden, wie wir zu dem sittlichen Aufschwung stehen,
welchen die Burschenschaft dem deutschen Studentenleben zu geben bemüht
war, was uns überhaupt das Studententhum und akademische Leben heute
ist und sein soll. Dies aber wagte und vermochte kein Redner.

Der Mangel ward sehr bedauerlich und lebhaft empfunden, aber schwer¬
lich in den rechten Ursachen gesucht. Man schob die Schuld wol auf mangelnde
Vorsorge der Festordner. Mit Unrecht. Es liegt vielmehr in der Natur der
Sache, daß eine ähnliche Lücke bei jedem deutschen Fest zu Tage kommen muß.
Wir sind ein Volk, das viele edle Kräfte in Geschichte und Gegenwart ent¬
wickelt hat. Das Gefühl und die Wirklichkeit dieser Kräfte kommt bei unsern
Festen zu Tage und kam hier zu Tage in dem schönen Ausdruck der Festerin-
"erungen, in der gehobenen Stimmung, der Liebenswürdigkeit und sittlichen


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[0387] ward in dem untern Saale des neuen Bibliothekgebäudes auf Einladung der Universität von ungefähr fünfhundert Gästen gespeist. Der Großherzog brachte den ersten Toast auf die Universität, dem einige andere folgten. Zur voll¬ ständigen Charakteristik des Festes sei bemerkt, daß alle Weinsorten ausgezeich¬ net waren, was keine Kleinigkeit ist bei einem so umfangreichen Mahl. Die Speisen waren gut. Am folgenden zweiten Festtag ward in der Universitätskirche die lateinische Gedächtnißrede auf die Hochschule von dem Professor der Eloquenz, Hofrath Göttling, gehalten. Ich habe sie nicht gehört und kann Ihnen, da sie auch nicht gedruckt vorliegt, davon nicht berichten. schwungvoll und humoristisch, witzig und gemüthlich ist alles, was Göttling sagt, und im Latein bewegt er sich mit größter Ungenirtheit. So wird auch diese Rede gewesen sein, und so hat man mir gesagt, daß sie gewesen sei. Nach der Rede war wieder Festmahl, wie am vorigen Tage. Inzwischen hatte sich die festliche Stimmung bei allen Theilnehmern aufs Höchste gestei¬ gert, sowol durch den schönen, oft erhebenden Verlauf der öffentlichen Feier¬ lichkeiten, als durch den heitern Ton und die tiefen gemüthlichen Beziehungen in den Privatkreisen, hervorgerufen durch bedeutende Erinnerungen und Be¬ gegnungen. Hier trat nun aber die Lücke des Festes ein. Jene Stimmung fand bei dem Festessen des zweiten Tages keinen durchschlagenden und be¬ geisternden Ausdruck. Es wurde zwar viel getoastet, aber keine Rede erhob sich auf die Höhe des Festes. Eine doppelte Bedeutung der Universität und ihrer Feier war noch nicht zur Sprache gekommen. Die enge Verbindung Jenas mit dem Ausschwung des deutschen Geisteslebens an der Schwelle un¬ sers Jahrhunderts, und die Bedeutung Jenas sür das deutsche Studenten¬ leben, als Hauptsitz der Burschenschaft. Es mußte hervorgehoben werden, wie jene Heroen des achtzehnten Jahrhunderts unter uns fortleben, und welche Pflicht wir, als ihre Erben, der Gestalt unsers Lebens gegenüber haben, und es mußte hervorgehoben werden, wie wir zu dem sittlichen Aufschwung stehen, welchen die Burschenschaft dem deutschen Studentenleben zu geben bemüht war, was uns überhaupt das Studententhum und akademische Leben heute ist und sein soll. Dies aber wagte und vermochte kein Redner. Der Mangel ward sehr bedauerlich und lebhaft empfunden, aber schwer¬ lich in den rechten Ursachen gesucht. Man schob die Schuld wol auf mangelnde Vorsorge der Festordner. Mit Unrecht. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache, daß eine ähnliche Lücke bei jedem deutschen Fest zu Tage kommen muß. Wir sind ein Volk, das viele edle Kräfte in Geschichte und Gegenwart ent¬ wickelt hat. Das Gefühl und die Wirklichkeit dieser Kräfte kommt bei unsern Festen zu Tage und kam hier zu Tage in dem schönen Ausdruck der Festerin- "erungen, in der gehobenen Stimmung, der Liebenswürdigkeit und sittlichen 48 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/387>, abgerufen am 23.07.2024.