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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Haltung aller Festtheilnehmer, vor allem der Studentenschaft, wovon noch zu
sprechen ist. Aber wir sind andrerseits ein Volk, das die höchsten Aufgaben
des nationalen Daseins noch nicht gelöst hat. Darüber besteht unter uns
noch Streit, Sorge. Unruhe, Verbitterung. So ist das Höchste bei uns viel¬
mehr der wunde Fleck, den die Meisten zu berühren scheuen, dessen Gefahren
nur ein fast genialer Takt und eine alles fortreißende Begeisterung vermeiden
könnte. Was in England auch den unbedeutendsten Redner hebt, die Er¬
innerung an das nationale Leben, das wird bei uns auch für den geschicktesten
eine Klippe, auf welche sich die Meisten am liebsten gar nicht begeben. So
können wir uns bei unsern Festen, trotz aller hohen Gemüthlichkeit, Liebens¬
würdigkeit und Sittigung, welche sie an den Tag legen, dieser Eigenschaften
nur freuen als des trefflichen Stoffes für den sehnlich erwarteten Künstler
oder den Heldcnbund, welcher uns erst zu einem rechten Volk machen soll.
Dies gibt freilich allen unsern Festen für den tiefer Denkenden und tiefer Füh¬
lenden einen resignirten und wehmüthigen Beigeschmack. Das Symbol dieser
Stimmung am gegenwärtigen Feste war die verfolgte Burschenschaftsfahne,
welche aus ihrem Versteck hervorgezogen und bei dieser Gelegenheit öffentlich
in würdigen Gewahrsam übergehen sollte, aber schließlich von den Inhabern
freiwillig im Versteck gelassen wurde. Die Zeit der Erfüllung ist für Deutsch¬
land noch nicht gekommen. Alle, auch unsere reinsten Freuden, sind von der
Sorge um das höchste Gut der Völker niedergedrückt

Der Morgen des dritten Festtags brachte die Ehrenpromotionen. Sie
sind durch die Zeitungen hinlänglich bekannt und verdienen es durch den
wahrhaft, der geistigen Bedeutung des Wortes nach, liberalen und patrio¬
tischen Sinn, den sie beenden: unter andern in der juristischen Facultät
Reventlow, in der philosophischen Virchow, Beitzke, Eduard Devrient u. s. w.

Am Nachmittag ging der große Commers auf Einladung der Stadt im
Paradies vor sich. Es war eine prächtige Scene. Die sonnenbeglänzte
Wiese, mit dem herrlichen Grün ihres Rasens und ihrer Bäume, wol an
zehntausend Menschen, theils innerhalb, theils außerhalb des für die Studenten
bestimmten Raumes, darunter ein reicher, feiner Damenflor, das studentische
Pnisidialcomit6 in seinem bunten Schmuck auf erhöhter Tribüne. Am Abend
ward die Scene durch eine galvanische Flamme beleuchtet, ein Verfahren,
welches, so viel ich weiß, bis jetzt nur von dem damit betrauten Chemiker
Schröder, aber von diesem schon mehrfach bei ähnlichen Gelegenheiten an¬
gewandt worden ist.

Die glänzendste Seite des Festes erwähne ich zuletzt: das in jedem Mo¬
ment tadellose Verhalten der gescunmten Studentenschaft. Wenn man bedenkt,
daß in Jena unter der Studentenschaft vielfache und langgenährte Spaltun¬
gen bestehen, wenn man bedenkt, wie hie verschiedenen Parteien durch zahl-


Haltung aller Festtheilnehmer, vor allem der Studentenschaft, wovon noch zu
sprechen ist. Aber wir sind andrerseits ein Volk, das die höchsten Aufgaben
des nationalen Daseins noch nicht gelöst hat. Darüber besteht unter uns
noch Streit, Sorge. Unruhe, Verbitterung. So ist das Höchste bei uns viel¬
mehr der wunde Fleck, den die Meisten zu berühren scheuen, dessen Gefahren
nur ein fast genialer Takt und eine alles fortreißende Begeisterung vermeiden
könnte. Was in England auch den unbedeutendsten Redner hebt, die Er¬
innerung an das nationale Leben, das wird bei uns auch für den geschicktesten
eine Klippe, auf welche sich die Meisten am liebsten gar nicht begeben. So
können wir uns bei unsern Festen, trotz aller hohen Gemüthlichkeit, Liebens¬
würdigkeit und Sittigung, welche sie an den Tag legen, dieser Eigenschaften
nur freuen als des trefflichen Stoffes für den sehnlich erwarteten Künstler
oder den Heldcnbund, welcher uns erst zu einem rechten Volk machen soll.
Dies gibt freilich allen unsern Festen für den tiefer Denkenden und tiefer Füh¬
lenden einen resignirten und wehmüthigen Beigeschmack. Das Symbol dieser
Stimmung am gegenwärtigen Feste war die verfolgte Burschenschaftsfahne,
welche aus ihrem Versteck hervorgezogen und bei dieser Gelegenheit öffentlich
in würdigen Gewahrsam übergehen sollte, aber schließlich von den Inhabern
freiwillig im Versteck gelassen wurde. Die Zeit der Erfüllung ist für Deutsch¬
land noch nicht gekommen. Alle, auch unsere reinsten Freuden, sind von der
Sorge um das höchste Gut der Völker niedergedrückt

Der Morgen des dritten Festtags brachte die Ehrenpromotionen. Sie
sind durch die Zeitungen hinlänglich bekannt und verdienen es durch den
wahrhaft, der geistigen Bedeutung des Wortes nach, liberalen und patrio¬
tischen Sinn, den sie beenden: unter andern in der juristischen Facultät
Reventlow, in der philosophischen Virchow, Beitzke, Eduard Devrient u. s. w.

Am Nachmittag ging der große Commers auf Einladung der Stadt im
Paradies vor sich. Es war eine prächtige Scene. Die sonnenbeglänzte
Wiese, mit dem herrlichen Grün ihres Rasens und ihrer Bäume, wol an
zehntausend Menschen, theils innerhalb, theils außerhalb des für die Studenten
bestimmten Raumes, darunter ein reicher, feiner Damenflor, das studentische
Pnisidialcomit6 in seinem bunten Schmuck auf erhöhter Tribüne. Am Abend
ward die Scene durch eine galvanische Flamme beleuchtet, ein Verfahren,
welches, so viel ich weiß, bis jetzt nur von dem damit betrauten Chemiker
Schröder, aber von diesem schon mehrfach bei ähnlichen Gelegenheiten an¬
gewandt worden ist.

Die glänzendste Seite des Festes erwähne ich zuletzt: das in jedem Mo¬
ment tadellose Verhalten der gescunmten Studentenschaft. Wenn man bedenkt,
daß in Jena unter der Studentenschaft vielfache und langgenährte Spaltun¬
gen bestehen, wenn man bedenkt, wie hie verschiedenen Parteien durch zahl-


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[0388] Haltung aller Festtheilnehmer, vor allem der Studentenschaft, wovon noch zu sprechen ist. Aber wir sind andrerseits ein Volk, das die höchsten Aufgaben des nationalen Daseins noch nicht gelöst hat. Darüber besteht unter uns noch Streit, Sorge. Unruhe, Verbitterung. So ist das Höchste bei uns viel¬ mehr der wunde Fleck, den die Meisten zu berühren scheuen, dessen Gefahren nur ein fast genialer Takt und eine alles fortreißende Begeisterung vermeiden könnte. Was in England auch den unbedeutendsten Redner hebt, die Er¬ innerung an das nationale Leben, das wird bei uns auch für den geschicktesten eine Klippe, auf welche sich die Meisten am liebsten gar nicht begeben. So können wir uns bei unsern Festen, trotz aller hohen Gemüthlichkeit, Liebens¬ würdigkeit und Sittigung, welche sie an den Tag legen, dieser Eigenschaften nur freuen als des trefflichen Stoffes für den sehnlich erwarteten Künstler oder den Heldcnbund, welcher uns erst zu einem rechten Volk machen soll. Dies gibt freilich allen unsern Festen für den tiefer Denkenden und tiefer Füh¬ lenden einen resignirten und wehmüthigen Beigeschmack. Das Symbol dieser Stimmung am gegenwärtigen Feste war die verfolgte Burschenschaftsfahne, welche aus ihrem Versteck hervorgezogen und bei dieser Gelegenheit öffentlich in würdigen Gewahrsam übergehen sollte, aber schließlich von den Inhabern freiwillig im Versteck gelassen wurde. Die Zeit der Erfüllung ist für Deutsch¬ land noch nicht gekommen. Alle, auch unsere reinsten Freuden, sind von der Sorge um das höchste Gut der Völker niedergedrückt Der Morgen des dritten Festtags brachte die Ehrenpromotionen. Sie sind durch die Zeitungen hinlänglich bekannt und verdienen es durch den wahrhaft, der geistigen Bedeutung des Wortes nach, liberalen und patrio¬ tischen Sinn, den sie beenden: unter andern in der juristischen Facultät Reventlow, in der philosophischen Virchow, Beitzke, Eduard Devrient u. s. w. Am Nachmittag ging der große Commers auf Einladung der Stadt im Paradies vor sich. Es war eine prächtige Scene. Die sonnenbeglänzte Wiese, mit dem herrlichen Grün ihres Rasens und ihrer Bäume, wol an zehntausend Menschen, theils innerhalb, theils außerhalb des für die Studenten bestimmten Raumes, darunter ein reicher, feiner Damenflor, das studentische Pnisidialcomit6 in seinem bunten Schmuck auf erhöhter Tribüne. Am Abend ward die Scene durch eine galvanische Flamme beleuchtet, ein Verfahren, welches, so viel ich weiß, bis jetzt nur von dem damit betrauten Chemiker Schröder, aber von diesem schon mehrfach bei ähnlichen Gelegenheiten an¬ gewandt worden ist. Die glänzendste Seite des Festes erwähne ich zuletzt: das in jedem Mo¬ ment tadellose Verhalten der gescunmten Studentenschaft. Wenn man bedenkt, daß in Jena unter der Studentenschaft vielfache und langgenährte Spaltun¬ gen bestehen, wenn man bedenkt, wie hie verschiedenen Parteien durch zahl-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/388>, abgerufen am 22.07.2024.