Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

für ihre Mitbürger geführt, im Laufe der Zeit hat sich eine neue Classe der
Gesellschaft heraufgearbeitet und ist zu dem Grade von Bildung, Reichthum
und Einfluß gelangt, daß sie verlangen darf, ihre Interessen selbst zu ver¬
treten. Nichts darin ist unnational und willkürlich, wir sehen vielmehr eine
naturgemäß fortschreitende Bewegung, die durch unklugen Widerstand nur aus
ihrer richtigen Bahn gerissen werden könnte, und im politischen Leben, dessen
Gesetz Bewegung und Fortschritt ist, ist nichts so revolutionär als Stillstand
gebieten.




Die Verhältnisse der Juden in Oestreich.

Nicht Rothschild kann sich über seinen endlichen Eintritt in das englische
Parlament, nicht Lord John Rüssel über den schließlichen Sieg seines An¬
trages so innig gefreut haben, wie die Israeliten in Oestreich. Kein Leser
dieser Blätter wird diese Freude und Theilnahme so deuten, als hofften die
Juden in Oestreich, daß sich nun auch ihnen nächstens die Pforten des öst¬
reichischen Parlaments öffnen werden. Solche Phantasten sind sie nicht. Aller¬
dings knüpfen sie aber eine Hoffnung an diesen neuen Fortschritt der Juden¬
emancipation und geben sich dem Glauben hin, daß die öffentliche Meinung
von jener Thatsache Veranlassung nehmen werde, die ungleich härtere Aus¬
nahmestellung, welche die östreichischen Juden haben, zu beleuchten. Es
handelt sich hier nicht um eine politische. Gleichstellung. In dieser Beziehung
stehen die Juden in Oestreich hinter den Bekennern der übrigen Confessionen
nicht wesentlich zurück. Es gilt vielmehr die Aufhebung der Schranken, welche
der Vesitzfühigkeit der Israeliten und zwar erst in der jüngsten Zeit gezogen
worden sind. An und für sich drückend, erscheinen dieselben noch härter als
Reaction gegen die früher giltigen, verhältnißmäßig liberalen Bestimmungen. Es
gab eine Zeit, in welcher es den Juden vollkommen freistand, Grundbesitz zu
erwerben; die Jahre 1848--1853. Weil aber diese Zeit für uns keine passende
Richtschnur bieten dürfte, so erinnern wir an noch frühere Jahre, in welchen
Wenigstens Dominikalgrundstücke (mit einem Grundzins behaftete Güter im
Gegensatze zu den eigentlichen Bauerngütern) von Juden nach Belieben ge¬
kauft und veräußert werdeu konnten. Nicht einmal in dieser beschränkten Weise
ist heutzutage der Grundbesitz den östreichischen Juden zugänglich. Eine am
2. October 1853 erlassene Verordnung hob die Besitzfähigkcit der Juden bis


für ihre Mitbürger geführt, im Laufe der Zeit hat sich eine neue Classe der
Gesellschaft heraufgearbeitet und ist zu dem Grade von Bildung, Reichthum
und Einfluß gelangt, daß sie verlangen darf, ihre Interessen selbst zu ver¬
treten. Nichts darin ist unnational und willkürlich, wir sehen vielmehr eine
naturgemäß fortschreitende Bewegung, die durch unklugen Widerstand nur aus
ihrer richtigen Bahn gerissen werden könnte, und im politischen Leben, dessen
Gesetz Bewegung und Fortschritt ist, ist nichts so revolutionär als Stillstand
gebieten.




Die Verhältnisse der Juden in Oestreich.

Nicht Rothschild kann sich über seinen endlichen Eintritt in das englische
Parlament, nicht Lord John Rüssel über den schließlichen Sieg seines An¬
trages so innig gefreut haben, wie die Israeliten in Oestreich. Kein Leser
dieser Blätter wird diese Freude und Theilnahme so deuten, als hofften die
Juden in Oestreich, daß sich nun auch ihnen nächstens die Pforten des öst¬
reichischen Parlaments öffnen werden. Solche Phantasten sind sie nicht. Aller¬
dings knüpfen sie aber eine Hoffnung an diesen neuen Fortschritt der Juden¬
emancipation und geben sich dem Glauben hin, daß die öffentliche Meinung
von jener Thatsache Veranlassung nehmen werde, die ungleich härtere Aus¬
nahmestellung, welche die östreichischen Juden haben, zu beleuchten. Es
handelt sich hier nicht um eine politische. Gleichstellung. In dieser Beziehung
stehen die Juden in Oestreich hinter den Bekennern der übrigen Confessionen
nicht wesentlich zurück. Es gilt vielmehr die Aufhebung der Schranken, welche
der Vesitzfühigkeit der Israeliten und zwar erst in der jüngsten Zeit gezogen
worden sind. An und für sich drückend, erscheinen dieselben noch härter als
Reaction gegen die früher giltigen, verhältnißmäßig liberalen Bestimmungen. Es
gab eine Zeit, in welcher es den Juden vollkommen freistand, Grundbesitz zu
erwerben; die Jahre 1848—1853. Weil aber diese Zeit für uns keine passende
Richtschnur bieten dürfte, so erinnern wir an noch frühere Jahre, in welchen
Wenigstens Dominikalgrundstücke (mit einem Grundzins behaftete Güter im
Gegensatze zu den eigentlichen Bauerngütern) von Juden nach Belieben ge¬
kauft und veräußert werdeu konnten. Nicht einmal in dieser beschränkten Weise
ist heutzutage der Grundbesitz den östreichischen Juden zugänglich. Eine am
2. October 1853 erlassene Verordnung hob die Besitzfähigkcit der Juden bis


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0375" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106186"/>
          <p xml:id="ID_1037" prev="#ID_1036"> für ihre Mitbürger geführt, im Laufe der Zeit hat sich eine neue Classe der<lb/>
Gesellschaft heraufgearbeitet und ist zu dem Grade von Bildung, Reichthum<lb/>
und Einfluß gelangt, daß sie verlangen darf, ihre Interessen selbst zu ver¬<lb/>
treten. Nichts darin ist unnational und willkürlich, wir sehen vielmehr eine<lb/>
naturgemäß fortschreitende Bewegung, die durch unklugen Widerstand nur aus<lb/>
ihrer richtigen Bahn gerissen werden könnte, und im politischen Leben, dessen<lb/>
Gesetz Bewegung und Fortschritt ist, ist nichts so revolutionär als Stillstand<lb/>
gebieten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Verhältnisse der Juden in Oestreich.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1038" next="#ID_1039"> Nicht Rothschild kann sich über seinen endlichen Eintritt in das englische<lb/>
Parlament, nicht Lord John Rüssel über den schließlichen Sieg seines An¬<lb/>
trages so innig gefreut haben, wie die Israeliten in Oestreich. Kein Leser<lb/>
dieser Blätter wird diese Freude und Theilnahme so deuten, als hofften die<lb/>
Juden in Oestreich, daß sich nun auch ihnen nächstens die Pforten des öst¬<lb/>
reichischen Parlaments öffnen werden. Solche Phantasten sind sie nicht. Aller¬<lb/>
dings knüpfen sie aber eine Hoffnung an diesen neuen Fortschritt der Juden¬<lb/>
emancipation und geben sich dem Glauben hin, daß die öffentliche Meinung<lb/>
von jener Thatsache Veranlassung nehmen werde, die ungleich härtere Aus¬<lb/>
nahmestellung, welche die östreichischen Juden haben, zu beleuchten. Es<lb/>
handelt sich hier nicht um eine politische. Gleichstellung. In dieser Beziehung<lb/>
stehen die Juden in Oestreich hinter den Bekennern der übrigen Confessionen<lb/>
nicht wesentlich zurück. Es gilt vielmehr die Aufhebung der Schranken, welche<lb/>
der Vesitzfühigkeit der Israeliten und zwar erst in der jüngsten Zeit gezogen<lb/>
worden sind. An und für sich drückend, erscheinen dieselben noch härter als<lb/>
Reaction gegen die früher giltigen, verhältnißmäßig liberalen Bestimmungen. Es<lb/>
gab eine Zeit, in welcher es den Juden vollkommen freistand, Grundbesitz zu<lb/>
erwerben; die Jahre 1848&#x2014;1853. Weil aber diese Zeit für uns keine passende<lb/>
Richtschnur bieten dürfte, so erinnern wir an noch frühere Jahre, in welchen<lb/>
Wenigstens Dominikalgrundstücke (mit einem Grundzins behaftete Güter im<lb/>
Gegensatze zu den eigentlichen Bauerngütern) von Juden nach Belieben ge¬<lb/>
kauft und veräußert werdeu konnten. Nicht einmal in dieser beschränkten Weise<lb/>
ist heutzutage der Grundbesitz den östreichischen Juden zugänglich. Eine am<lb/>
2. October 1853 erlassene Verordnung hob die Besitzfähigkcit der Juden bis</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0375] für ihre Mitbürger geführt, im Laufe der Zeit hat sich eine neue Classe der Gesellschaft heraufgearbeitet und ist zu dem Grade von Bildung, Reichthum und Einfluß gelangt, daß sie verlangen darf, ihre Interessen selbst zu ver¬ treten. Nichts darin ist unnational und willkürlich, wir sehen vielmehr eine naturgemäß fortschreitende Bewegung, die durch unklugen Widerstand nur aus ihrer richtigen Bahn gerissen werden könnte, und im politischen Leben, dessen Gesetz Bewegung und Fortschritt ist, ist nichts so revolutionär als Stillstand gebieten. Die Verhältnisse der Juden in Oestreich. Nicht Rothschild kann sich über seinen endlichen Eintritt in das englische Parlament, nicht Lord John Rüssel über den schließlichen Sieg seines An¬ trages so innig gefreut haben, wie die Israeliten in Oestreich. Kein Leser dieser Blätter wird diese Freude und Theilnahme so deuten, als hofften die Juden in Oestreich, daß sich nun auch ihnen nächstens die Pforten des öst¬ reichischen Parlaments öffnen werden. Solche Phantasten sind sie nicht. Aller¬ dings knüpfen sie aber eine Hoffnung an diesen neuen Fortschritt der Juden¬ emancipation und geben sich dem Glauben hin, daß die öffentliche Meinung von jener Thatsache Veranlassung nehmen werde, die ungleich härtere Aus¬ nahmestellung, welche die östreichischen Juden haben, zu beleuchten. Es handelt sich hier nicht um eine politische. Gleichstellung. In dieser Beziehung stehen die Juden in Oestreich hinter den Bekennern der übrigen Confessionen nicht wesentlich zurück. Es gilt vielmehr die Aufhebung der Schranken, welche der Vesitzfühigkeit der Israeliten und zwar erst in der jüngsten Zeit gezogen worden sind. An und für sich drückend, erscheinen dieselben noch härter als Reaction gegen die früher giltigen, verhältnißmäßig liberalen Bestimmungen. Es gab eine Zeit, in welcher es den Juden vollkommen freistand, Grundbesitz zu erwerben; die Jahre 1848—1853. Weil aber diese Zeit für uns keine passende Richtschnur bieten dürfte, so erinnern wir an noch frühere Jahre, in welchen Wenigstens Dominikalgrundstücke (mit einem Grundzins behaftete Güter im Gegensatze zu den eigentlichen Bauerngütern) von Juden nach Belieben ge¬ kauft und veräußert werdeu konnten. Nicht einmal in dieser beschränkten Weise ist heutzutage der Grundbesitz den östreichischen Juden zugänglich. Eine am 2. October 1853 erlassene Verordnung hob die Besitzfähigkcit der Juden bis

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/375
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/375>, abgerufen am 22.07.2024.