Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Durchführung dieser Maßregel kann sich verzögern, aber sie kann nicht ack
graseas hinausgeschoben werden, conservative wie liberale Mini¬
ster haben ihr Wort dafür verpfändet, und wollte das jetzige Ministerium auch
gern diesen Kampf umgehen, so wird es durch die Furcht, Lord John Russel
könnte ihm die Sache aus der Hand nehmen, zur Einbringung einer Reform-
bill gezwungen werden. Die' Nachkommen der alten Tones werden sich hüten,
den Fehler ihrer Vorfahren zu begehen. Diese ließen durch die hartnäckige
Verweigerung jeder Concession in der Frage der Parlamentsreform dieselbe in
die Hände der Whigs fallen, welche die faulen Burgflecken ihrer Gegner von
der Wahlliste strichen und ihre eignen stehen ließen; man wird nicht die Un-
klugheit begehen, wie der Herzog von Wellington, das bestehende System für
vollkommen zu erklären, zumal die Conservativen keine Ursache haben, mit
demselben sehr zufrieden zu sein. Das Ministerium Derby-Disraeli wird sein
Acußerstes aufbieten, den Einfluß der Grafschaften im Gegensatz zu dem der
großen Städte zu stärken, man hat die Klagen Disraelis, daß die ländlichen
Interessen in dieser Beziehung ungerecht behandelt seien, für sophistisch erklärt,
weil viele Burgflecken (die als Städte zählen) einen ackerbauenden Charakter
haben. Ohne dies zu leugnen, glauben wir, daß die Klage doch begründet
bleibt, und wenn der kluge Verfasser des Coningsby einen geschickten Com-
promiß macht, so zweifeln wir nicht, daß viele Whiggiftische Grundbesitzer auf
seine Seite treten werden. Wenn die Aristokratie geschickt ist, so wird sie
einige unbedeutende Burgflecken opfern und dafür bessere Bedingungen bei den
Grafschaftswahlen erstreben. Außer den eigentlichen Whigs werden sicher
manche Peeliten zu den Conservativen treten. Diese Partei ist als aufgelöst
zu betrachten, sie hatte einen Halt nur so lange, als das Princip des Frei¬
handels noch ernstlich bekämpft wurde; nachdem die Gegner desselben es an¬
erkannt haben, zeigt sich, daß die verschiedensten Elemente, unter der Firma
des Freihandels vereinigt, nicht länger unter einem Dache bleiben können.
Was hatten im Grunde Männer wie Gladstone und Sir William Molesworth
gemein, außer jener speciell ökonomischen Frage? Nur diese trennte Gladstone
von den Tones, man weiß, daß es blos an äußern Umstünden lag, wenn er
nicht in das gegenwärtige Ministerium trat, er wird sicher mit ihm stimmen.
Andere Peeliten wie Cardwell und Sidney Herbert, werden sich unzweifelhaft
zu den Liberalen schlagen.

So sehen wir einer neuen und interessanten Parteienbildung in England
entgegen, manche Jura^toroK temporis acti klagen, daß der nationale Cha¬
rakter der alten Parteien verloren gehe, als ob die neue Gestaltung nicht
national wäre. Parteien sind die Wortführer von Interessen, der dynastisch-poli¬
tische Zwist, welcher die Whigs und Tones ins Leben rief, ist längst beigelegt,
sie haben darauf fast ein Jahrhundert die Herrschaft unter sich getheilt und


Durchführung dieser Maßregel kann sich verzögern, aber sie kann nicht ack
graseas hinausgeschoben werden, conservative wie liberale Mini¬
ster haben ihr Wort dafür verpfändet, und wollte das jetzige Ministerium auch
gern diesen Kampf umgehen, so wird es durch die Furcht, Lord John Russel
könnte ihm die Sache aus der Hand nehmen, zur Einbringung einer Reform-
bill gezwungen werden. Die' Nachkommen der alten Tones werden sich hüten,
den Fehler ihrer Vorfahren zu begehen. Diese ließen durch die hartnäckige
Verweigerung jeder Concession in der Frage der Parlamentsreform dieselbe in
die Hände der Whigs fallen, welche die faulen Burgflecken ihrer Gegner von
der Wahlliste strichen und ihre eignen stehen ließen; man wird nicht die Un-
klugheit begehen, wie der Herzog von Wellington, das bestehende System für
vollkommen zu erklären, zumal die Conservativen keine Ursache haben, mit
demselben sehr zufrieden zu sein. Das Ministerium Derby-Disraeli wird sein
Acußerstes aufbieten, den Einfluß der Grafschaften im Gegensatz zu dem der
großen Städte zu stärken, man hat die Klagen Disraelis, daß die ländlichen
Interessen in dieser Beziehung ungerecht behandelt seien, für sophistisch erklärt,
weil viele Burgflecken (die als Städte zählen) einen ackerbauenden Charakter
haben. Ohne dies zu leugnen, glauben wir, daß die Klage doch begründet
bleibt, und wenn der kluge Verfasser des Coningsby einen geschickten Com-
promiß macht, so zweifeln wir nicht, daß viele Whiggiftische Grundbesitzer auf
seine Seite treten werden. Wenn die Aristokratie geschickt ist, so wird sie
einige unbedeutende Burgflecken opfern und dafür bessere Bedingungen bei den
Grafschaftswahlen erstreben. Außer den eigentlichen Whigs werden sicher
manche Peeliten zu den Conservativen treten. Diese Partei ist als aufgelöst
zu betrachten, sie hatte einen Halt nur so lange, als das Princip des Frei¬
handels noch ernstlich bekämpft wurde; nachdem die Gegner desselben es an¬
erkannt haben, zeigt sich, daß die verschiedensten Elemente, unter der Firma
des Freihandels vereinigt, nicht länger unter einem Dache bleiben können.
Was hatten im Grunde Männer wie Gladstone und Sir William Molesworth
gemein, außer jener speciell ökonomischen Frage? Nur diese trennte Gladstone
von den Tones, man weiß, daß es blos an äußern Umstünden lag, wenn er
nicht in das gegenwärtige Ministerium trat, er wird sicher mit ihm stimmen.
Andere Peeliten wie Cardwell und Sidney Herbert, werden sich unzweifelhaft
zu den Liberalen schlagen.

So sehen wir einer neuen und interessanten Parteienbildung in England
entgegen, manche Jura^toroK temporis acti klagen, daß der nationale Cha¬
rakter der alten Parteien verloren gehe, als ob die neue Gestaltung nicht
national wäre. Parteien sind die Wortführer von Interessen, der dynastisch-poli¬
tische Zwist, welcher die Whigs und Tones ins Leben rief, ist längst beigelegt,
sie haben darauf fast ein Jahrhundert die Herrschaft unter sich getheilt und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106185"/>
          <p xml:id="ID_1035" prev="#ID_1034"> Durchführung dieser Maßregel kann sich verzögern, aber sie kann nicht ack<lb/>
graseas hinausgeschoben werden, conservative wie liberale Mini¬<lb/>
ster haben ihr Wort dafür verpfändet, und wollte das jetzige Ministerium auch<lb/>
gern diesen Kampf umgehen, so wird es durch die Furcht, Lord John Russel<lb/>
könnte ihm die Sache aus der Hand nehmen, zur Einbringung einer Reform-<lb/>
bill gezwungen werden. Die' Nachkommen der alten Tones werden sich hüten,<lb/>
den Fehler ihrer Vorfahren zu begehen.  Diese ließen durch die hartnäckige<lb/>
Verweigerung jeder Concession in der Frage der Parlamentsreform dieselbe in<lb/>
die Hände der Whigs fallen, welche die faulen Burgflecken ihrer Gegner von<lb/>
der Wahlliste strichen und ihre eignen stehen ließen; man wird nicht die Un-<lb/>
klugheit begehen, wie der Herzog von Wellington, das bestehende System für<lb/>
vollkommen zu erklären, zumal die Conservativen keine Ursache haben, mit<lb/>
demselben sehr zufrieden zu sein.  Das Ministerium Derby-Disraeli wird sein<lb/>
Acußerstes aufbieten, den Einfluß der Grafschaften im Gegensatz zu dem der<lb/>
großen Städte zu stärken, man hat die Klagen Disraelis, daß die ländlichen<lb/>
Interessen in dieser Beziehung ungerecht behandelt seien, für sophistisch erklärt,<lb/>
weil viele Burgflecken (die als Städte zählen) einen ackerbauenden Charakter<lb/>
haben.  Ohne dies zu leugnen, glauben wir, daß die Klage doch begründet<lb/>
bleibt, und wenn der kluge Verfasser des Coningsby einen geschickten Com-<lb/>
promiß macht, so zweifeln wir nicht, daß viele Whiggiftische Grundbesitzer auf<lb/>
seine Seite treten werden.  Wenn die Aristokratie geschickt ist, so wird sie<lb/>
einige unbedeutende Burgflecken opfern und dafür bessere Bedingungen bei den<lb/>
Grafschaftswahlen erstreben.  Außer den eigentlichen Whigs werden sicher<lb/>
manche Peeliten zu den Conservativen treten.  Diese Partei ist als aufgelöst<lb/>
zu betrachten, sie hatte einen Halt nur so lange, als das Princip des Frei¬<lb/>
handels noch ernstlich bekämpft wurde; nachdem die Gegner desselben es an¬<lb/>
erkannt haben, zeigt sich, daß die verschiedensten Elemente, unter der Firma<lb/>
des Freihandels vereinigt, nicht länger unter einem Dache bleiben können.<lb/>
Was hatten im Grunde Männer wie Gladstone und Sir William Molesworth<lb/>
gemein, außer jener speciell ökonomischen Frage? Nur diese trennte Gladstone<lb/>
von den Tones, man weiß, daß es blos an äußern Umstünden lag, wenn er<lb/>
nicht in das gegenwärtige Ministerium trat, er wird sicher mit ihm stimmen.<lb/>
Andere Peeliten wie Cardwell und Sidney Herbert, werden sich unzweifelhaft<lb/>
zu den Liberalen schlagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1036" next="#ID_1037"> So sehen wir einer neuen und interessanten Parteienbildung in England<lb/>
entgegen, manche Jura^toroK temporis acti klagen, daß der nationale Cha¬<lb/>
rakter der alten Parteien verloren gehe, als ob die neue Gestaltung nicht<lb/>
national wäre. Parteien sind die Wortführer von Interessen, der dynastisch-poli¬<lb/>
tische Zwist, welcher die Whigs und Tones ins Leben rief, ist längst beigelegt,<lb/>
sie haben darauf fast ein Jahrhundert die Herrschaft unter sich getheilt und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0374] Durchführung dieser Maßregel kann sich verzögern, aber sie kann nicht ack graseas hinausgeschoben werden, conservative wie liberale Mini¬ ster haben ihr Wort dafür verpfändet, und wollte das jetzige Ministerium auch gern diesen Kampf umgehen, so wird es durch die Furcht, Lord John Russel könnte ihm die Sache aus der Hand nehmen, zur Einbringung einer Reform- bill gezwungen werden. Die' Nachkommen der alten Tones werden sich hüten, den Fehler ihrer Vorfahren zu begehen. Diese ließen durch die hartnäckige Verweigerung jeder Concession in der Frage der Parlamentsreform dieselbe in die Hände der Whigs fallen, welche die faulen Burgflecken ihrer Gegner von der Wahlliste strichen und ihre eignen stehen ließen; man wird nicht die Un- klugheit begehen, wie der Herzog von Wellington, das bestehende System für vollkommen zu erklären, zumal die Conservativen keine Ursache haben, mit demselben sehr zufrieden zu sein. Das Ministerium Derby-Disraeli wird sein Acußerstes aufbieten, den Einfluß der Grafschaften im Gegensatz zu dem der großen Städte zu stärken, man hat die Klagen Disraelis, daß die ländlichen Interessen in dieser Beziehung ungerecht behandelt seien, für sophistisch erklärt, weil viele Burgflecken (die als Städte zählen) einen ackerbauenden Charakter haben. Ohne dies zu leugnen, glauben wir, daß die Klage doch begründet bleibt, und wenn der kluge Verfasser des Coningsby einen geschickten Com- promiß macht, so zweifeln wir nicht, daß viele Whiggiftische Grundbesitzer auf seine Seite treten werden. Wenn die Aristokratie geschickt ist, so wird sie einige unbedeutende Burgflecken opfern und dafür bessere Bedingungen bei den Grafschaftswahlen erstreben. Außer den eigentlichen Whigs werden sicher manche Peeliten zu den Conservativen treten. Diese Partei ist als aufgelöst zu betrachten, sie hatte einen Halt nur so lange, als das Princip des Frei¬ handels noch ernstlich bekämpft wurde; nachdem die Gegner desselben es an¬ erkannt haben, zeigt sich, daß die verschiedensten Elemente, unter der Firma des Freihandels vereinigt, nicht länger unter einem Dache bleiben können. Was hatten im Grunde Männer wie Gladstone und Sir William Molesworth gemein, außer jener speciell ökonomischen Frage? Nur diese trennte Gladstone von den Tones, man weiß, daß es blos an äußern Umstünden lag, wenn er nicht in das gegenwärtige Ministerium trat, er wird sicher mit ihm stimmen. Andere Peeliten wie Cardwell und Sidney Herbert, werden sich unzweifelhaft zu den Liberalen schlagen. So sehen wir einer neuen und interessanten Parteienbildung in England entgegen, manche Jura^toroK temporis acti klagen, daß der nationale Cha¬ rakter der alten Parteien verloren gehe, als ob die neue Gestaltung nicht national wäre. Parteien sind die Wortführer von Interessen, der dynastisch-poli¬ tische Zwist, welcher die Whigs und Tones ins Leben rief, ist längst beigelegt, sie haben darauf fast ein Jahrhundert die Herrschaft unter sich getheilt und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/374
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/374>, abgerufen am 22.07.2024.