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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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vor allem daran gelegen sein, in demselben fähige Fürsprecher zu haben, durch
ihre Protection kamen junge und glänzende Talente auf die politische Bühne.
Den Städten dagegen liegt vor allem an der Vertretung ihrer localen Inter¬
essen, sie wählen meist einen ihrer ältern Bürger, der in seinen vier Mauern
sehr genau Bescheid weiß, aber von allgemeiner Politik keine Ahnung hat und
daher im Parlament meist stumm sein wird.

Die Partei der sogenannten unabhängigen Liberalen ist noch unvollkom¬
men entwickelt und war bis zur letzten Session schlecht organisirt, sie besteht
aus heterogenen Elementen, aber sie hat nichts desto weniger eine Zukunft. Die
Whigs und Tones haben während anderthalb Jahrhunderten die Negierung
unter sich getheilt, weil sie die Ersten des Landes waren. Ihre Organisation,
ihre Geburt und Erziehung, ihr Reichthum, ihre politische Erfahrung gab
ihnen Borzüge und einen Einfluß, wie keine andre Classe in der Gesellschaft
nur annähernd besaß. Erst mit der Entwicklung der großen Industrie erwuchs
ihnen eine Concurrenz in den reichen Fabrikanten. Zuerst schlössen sich die¬
selben lediglich einer der alten Parteien an, später verlangten sie, daß man
mit ihnen rechne, und erlangten langsam eine Art Selbstständigkeit, sie sind
jetzt das wichtigste Element der unabhängigen Liberalen, und ihr Einfluß
kann nur wachsen.

Wir glauben indeß, daß sie eher die beiden alten bestehenden Parteien
umbilden, als dauernd eine dritte gründen werden, schon deshalb, weil es
viel leichter und selbst natürlicher ist, sich an ein Bestehendes anzuschließen, als
ein Neues zu begründen. Der größte Theil der unabhängigen Liberalen wird
sich wahrscheinlich den Whigs oder doch dem, was man früher whiggistische
Grundsätze nannte, anschließen und dieselben modificiren, dagegen werden
möglicherweise viele Whigs sich mit den früher als Tones Bekannten verbin¬
den und die Namen, welche schon seit einer Reihe von Jahren im Gebrauch
sind, Conservative und Liberale, werden ausschließlich zur Geltung kommen;
die Radicalen, welche England amerikanisiren wollen, sind nicht zahlreich ge¬
nug, um einen bemerkenswerthen Einfluß zu erlangen.

Damit würden sich die englischen Parteien mehr den continentalen nähern.
Man mißverstehe uns nicht. Ein englischer Conservativer wird immer etwas
Anderes sein als ein preußischer Junker oder französischer Legitimist, ein eng¬
lischer Radicaler wird in vielen Stücken conservativer sein als ein gemäßigter
festländischer Liberaler, aber das unterscheidende Merkmal der englischen Par¬
teien, daß die Gegensätze nur durch zwei Fractionen einer und derselben Ari¬
stokratie vertreten waren, wird schwinden, die nichtaristokratische mittlere Classe
wird ihre Vertretung selbst in die Hand nehmen.

Wir glauben, daß die versprochene künftige Ncformacte der Anlaß sein
wird, diese Parteibildung hervorzurufen oder doch zu beschleunigen. Die


vor allem daran gelegen sein, in demselben fähige Fürsprecher zu haben, durch
ihre Protection kamen junge und glänzende Talente auf die politische Bühne.
Den Städten dagegen liegt vor allem an der Vertretung ihrer localen Inter¬
essen, sie wählen meist einen ihrer ältern Bürger, der in seinen vier Mauern
sehr genau Bescheid weiß, aber von allgemeiner Politik keine Ahnung hat und
daher im Parlament meist stumm sein wird.

Die Partei der sogenannten unabhängigen Liberalen ist noch unvollkom¬
men entwickelt und war bis zur letzten Session schlecht organisirt, sie besteht
aus heterogenen Elementen, aber sie hat nichts desto weniger eine Zukunft. Die
Whigs und Tones haben während anderthalb Jahrhunderten die Negierung
unter sich getheilt, weil sie die Ersten des Landes waren. Ihre Organisation,
ihre Geburt und Erziehung, ihr Reichthum, ihre politische Erfahrung gab
ihnen Borzüge und einen Einfluß, wie keine andre Classe in der Gesellschaft
nur annähernd besaß. Erst mit der Entwicklung der großen Industrie erwuchs
ihnen eine Concurrenz in den reichen Fabrikanten. Zuerst schlössen sich die¬
selben lediglich einer der alten Parteien an, später verlangten sie, daß man
mit ihnen rechne, und erlangten langsam eine Art Selbstständigkeit, sie sind
jetzt das wichtigste Element der unabhängigen Liberalen, und ihr Einfluß
kann nur wachsen.

Wir glauben indeß, daß sie eher die beiden alten bestehenden Parteien
umbilden, als dauernd eine dritte gründen werden, schon deshalb, weil es
viel leichter und selbst natürlicher ist, sich an ein Bestehendes anzuschließen, als
ein Neues zu begründen. Der größte Theil der unabhängigen Liberalen wird
sich wahrscheinlich den Whigs oder doch dem, was man früher whiggistische
Grundsätze nannte, anschließen und dieselben modificiren, dagegen werden
möglicherweise viele Whigs sich mit den früher als Tones Bekannten verbin¬
den und die Namen, welche schon seit einer Reihe von Jahren im Gebrauch
sind, Conservative und Liberale, werden ausschließlich zur Geltung kommen;
die Radicalen, welche England amerikanisiren wollen, sind nicht zahlreich ge¬
nug, um einen bemerkenswerthen Einfluß zu erlangen.

Damit würden sich die englischen Parteien mehr den continentalen nähern.
Man mißverstehe uns nicht. Ein englischer Conservativer wird immer etwas
Anderes sein als ein preußischer Junker oder französischer Legitimist, ein eng¬
lischer Radicaler wird in vielen Stücken conservativer sein als ein gemäßigter
festländischer Liberaler, aber das unterscheidende Merkmal der englischen Par¬
teien, daß die Gegensätze nur durch zwei Fractionen einer und derselben Ari¬
stokratie vertreten waren, wird schwinden, die nichtaristokratische mittlere Classe
wird ihre Vertretung selbst in die Hand nehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/373>, abgerufen am 22.07.2024.