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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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die Lage der Thore, deren Athen ungefähr zwölf besaß, ist man nur insofern
einig, als man annimmt, daß da, wo jetzt die Kirche der Hagia Triada
steht, das Thor war, durch welches bei der Feier der eleusinischen Mysterien
der Zug der Priester und Eingeweihten sich auf der heiligen Straße nach
Eleusis hin bewegte. Von den Gymnasien sucht man das Lykeion an der
Südspitze des Schloßgartens nicht weit vom Ilissus. Nördlich von hier und
links von dem Wege, der am Abhang des Lykabettus nach dem Dorfe
Kcphissia führt, lag das Kynvsargesgymnasium. Nordwestlich endlich von der
Stadt in dem Olivenwalde am Kephissus befand sich die Akademie, beinahe
tausend Jahr hindurch der Sitz der platonischen Schule und noch jetzt selbst
dem niedern Volke unter dem alten Namen bekannt.

Das heutige Athen nimmt nur zum Theil die Stelle des alten ein.
Im Süden dehnte sich letzteres weiter aus, nach Norden bedeckt die moderne
Stadt mehr Raum als die antike. Der Boden, auf dem die Stadt liegt, ist
eine Fläche, die sich östlich gegen das Schloß und südlich gegen die Akropolis ein
wenig erhebt. Nur die neuere Nordhälfte ist regelmäßig angelegt und hat
manches schmucke und stattliche Haus; auch haben hier viele Gebäude Gärten
hinter sich. Dagegen zeigt der südlich von der Hermesstraße gelegene Theil
nur ein Gewirr enger und krummer Gassen, in denen zwischen Schmuz und
Ruinen die ältere Bevölkerung albanesischer Abkunft wohnt. Das Material
der Häuser ist Kalkstein aus den Brüchen am Lykabettus, hier und da ist auch
Marmor vom Pentelikon verwendet. Die bessern Gebäude sind meist zwei¬
stöckig. Einen eigentlichen Palast hat Athen außer dem königlichen nicht. Die
Ringmauer, welche die Stadt bis 1835 umgab, ist abgetragen worden. Außer
dem großen Kreuz, welches die Aeolus- und die Hermesstraße durch und quer
über die Stadt bilden, ist von vornehmern Straßen noch die der Athene und
die der Universität zu erwähnen. Straßenpflaster gibt es im modernen Athen
so wenig wie im alten. Dagegen haben die beiden Hauptdurchsahrten Trot-
toirs, auch ist man dabei, für Beleuchtung mit Gas zu sorgen. Wunderlich
nehmen sich die hochklingenden Namen aus, mit denen man oft grade die
ärmlichsten Gäßchen bedacht hat. So gibt es unter diesen eine Demosthenes-
und eine Euripidesstraße. und unter andern nicht viel schöneren eine, die nach
Perikles und eine andere, die nach Sophokles getauft ist. Ich erinnerte mich
dabei unwillkürlich an die Empfindung, die ich hatte, wenn ich in den Wäl¬
dern von Ohio oder Kentucky in ein miserables Nest von einem Dutzend Block¬
hütten mit einer Breterkirche und einer Whiskyschenke einwanderte und auf
Befragen erfuhr, daß das bettelstolze Ding sich Rom, Athen oder Paris nenne^
Viel angemessener fand ichs, als ich an der Ecke eines dieser Gäßchen
/MI^^M?^ las, wenn auch die Jdeenverbindung, die gleich an die Straße
des Cynikers einen 0^-5 stoßen läßt, acht klar wurde. Oder


die Lage der Thore, deren Athen ungefähr zwölf besaß, ist man nur insofern
einig, als man annimmt, daß da, wo jetzt die Kirche der Hagia Triada
steht, das Thor war, durch welches bei der Feier der eleusinischen Mysterien
der Zug der Priester und Eingeweihten sich auf der heiligen Straße nach
Eleusis hin bewegte. Von den Gymnasien sucht man das Lykeion an der
Südspitze des Schloßgartens nicht weit vom Ilissus. Nördlich von hier und
links von dem Wege, der am Abhang des Lykabettus nach dem Dorfe
Kcphissia führt, lag das Kynvsargesgymnasium. Nordwestlich endlich von der
Stadt in dem Olivenwalde am Kephissus befand sich die Akademie, beinahe
tausend Jahr hindurch der Sitz der platonischen Schule und noch jetzt selbst
dem niedern Volke unter dem alten Namen bekannt.

Das heutige Athen nimmt nur zum Theil die Stelle des alten ein.
Im Süden dehnte sich letzteres weiter aus, nach Norden bedeckt die moderne
Stadt mehr Raum als die antike. Der Boden, auf dem die Stadt liegt, ist
eine Fläche, die sich östlich gegen das Schloß und südlich gegen die Akropolis ein
wenig erhebt. Nur die neuere Nordhälfte ist regelmäßig angelegt und hat
manches schmucke und stattliche Haus; auch haben hier viele Gebäude Gärten
hinter sich. Dagegen zeigt der südlich von der Hermesstraße gelegene Theil
nur ein Gewirr enger und krummer Gassen, in denen zwischen Schmuz und
Ruinen die ältere Bevölkerung albanesischer Abkunft wohnt. Das Material
der Häuser ist Kalkstein aus den Brüchen am Lykabettus, hier und da ist auch
Marmor vom Pentelikon verwendet. Die bessern Gebäude sind meist zwei¬
stöckig. Einen eigentlichen Palast hat Athen außer dem königlichen nicht. Die
Ringmauer, welche die Stadt bis 1835 umgab, ist abgetragen worden. Außer
dem großen Kreuz, welches die Aeolus- und die Hermesstraße durch und quer
über die Stadt bilden, ist von vornehmern Straßen noch die der Athene und
die der Universität zu erwähnen. Straßenpflaster gibt es im modernen Athen
so wenig wie im alten. Dagegen haben die beiden Hauptdurchsahrten Trot-
toirs, auch ist man dabei, für Beleuchtung mit Gas zu sorgen. Wunderlich
nehmen sich die hochklingenden Namen aus, mit denen man oft grade die
ärmlichsten Gäßchen bedacht hat. So gibt es unter diesen eine Demosthenes-
und eine Euripidesstraße. und unter andern nicht viel schöneren eine, die nach
Perikles und eine andere, die nach Sophokles getauft ist. Ich erinnerte mich
dabei unwillkürlich an die Empfindung, die ich hatte, wenn ich in den Wäl¬
dern von Ohio oder Kentucky in ein miserables Nest von einem Dutzend Block¬
hütten mit einer Breterkirche und einer Whiskyschenke einwanderte und auf
Befragen erfuhr, daß das bettelstolze Ding sich Rom, Athen oder Paris nenne^
Viel angemessener fand ichs, als ich an der Ecke eines dieser Gäßchen
/MI^^M?^ las, wenn auch die Jdeenverbindung, die gleich an die Straße
des Cynikers einen 0^-5 stoßen läßt, acht klar wurde. Oder


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[0366] die Lage der Thore, deren Athen ungefähr zwölf besaß, ist man nur insofern einig, als man annimmt, daß da, wo jetzt die Kirche der Hagia Triada steht, das Thor war, durch welches bei der Feier der eleusinischen Mysterien der Zug der Priester und Eingeweihten sich auf der heiligen Straße nach Eleusis hin bewegte. Von den Gymnasien sucht man das Lykeion an der Südspitze des Schloßgartens nicht weit vom Ilissus. Nördlich von hier und links von dem Wege, der am Abhang des Lykabettus nach dem Dorfe Kcphissia führt, lag das Kynvsargesgymnasium. Nordwestlich endlich von der Stadt in dem Olivenwalde am Kephissus befand sich die Akademie, beinahe tausend Jahr hindurch der Sitz der platonischen Schule und noch jetzt selbst dem niedern Volke unter dem alten Namen bekannt. Das heutige Athen nimmt nur zum Theil die Stelle des alten ein. Im Süden dehnte sich letzteres weiter aus, nach Norden bedeckt die moderne Stadt mehr Raum als die antike. Der Boden, auf dem die Stadt liegt, ist eine Fläche, die sich östlich gegen das Schloß und südlich gegen die Akropolis ein wenig erhebt. Nur die neuere Nordhälfte ist regelmäßig angelegt und hat manches schmucke und stattliche Haus; auch haben hier viele Gebäude Gärten hinter sich. Dagegen zeigt der südlich von der Hermesstraße gelegene Theil nur ein Gewirr enger und krummer Gassen, in denen zwischen Schmuz und Ruinen die ältere Bevölkerung albanesischer Abkunft wohnt. Das Material der Häuser ist Kalkstein aus den Brüchen am Lykabettus, hier und da ist auch Marmor vom Pentelikon verwendet. Die bessern Gebäude sind meist zwei¬ stöckig. Einen eigentlichen Palast hat Athen außer dem königlichen nicht. Die Ringmauer, welche die Stadt bis 1835 umgab, ist abgetragen worden. Außer dem großen Kreuz, welches die Aeolus- und die Hermesstraße durch und quer über die Stadt bilden, ist von vornehmern Straßen noch die der Athene und die der Universität zu erwähnen. Straßenpflaster gibt es im modernen Athen so wenig wie im alten. Dagegen haben die beiden Hauptdurchsahrten Trot- toirs, auch ist man dabei, für Beleuchtung mit Gas zu sorgen. Wunderlich nehmen sich die hochklingenden Namen aus, mit denen man oft grade die ärmlichsten Gäßchen bedacht hat. So gibt es unter diesen eine Demosthenes- und eine Euripidesstraße. und unter andern nicht viel schöneren eine, die nach Perikles und eine andere, die nach Sophokles getauft ist. Ich erinnerte mich dabei unwillkürlich an die Empfindung, die ich hatte, wenn ich in den Wäl¬ dern von Ohio oder Kentucky in ein miserables Nest von einem Dutzend Block¬ hütten mit einer Breterkirche und einer Whiskyschenke einwanderte und auf Befragen erfuhr, daß das bettelstolze Ding sich Rom, Athen oder Paris nenne^ Viel angemessener fand ichs, als ich an der Ecke eines dieser Gäßchen /MI^^M?^ las, wenn auch die Jdeenverbindung, die gleich an die Straße des Cynikers einen 0^-5 stoßen läßt, acht klar wurde. Oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/366>, abgerufen am 22.07.2024.