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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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hätte der weise Grieche, der den Philosophen in der Tonne neben den poe¬
tischen Lord stellte, gar damit eine Mißbilligung der gelegentlichen Cynismen
Byrons ausdrücken wollen?

Während des verflossenen Jahres herrschte rege Baulust, überall stiegen
im Norden, Nordwesten und Osten neue Häuser empor. Der Werth der Bau¬
stellen hatte gegen früher sehr zugenommen, da man auf ein starkes Zuströ¬
men neuer Ansiedler hoffte. Und diese Hoffnung scheint nicht unbegründet,
wenn man bedenkt, daß die Zahl der Einwohner Athens sich seit 1830 fast
verdreifacht hat, so daß sie jetzt nahe an vierzigtausend beträgt. Promenaden
darf man hier nicht erwarten. Doch hat die Königin in dem Schloßgarten
einen der anmuthigsten Spaziergänge der Welt geschaffen, der um so erqui¬
ckender auf das Auge wirkt, als die Berge ringsum ohne Baumwuchs sind,
und auch die Ebene im Westen im Sommer außer dem Graugrün der Oel-
bäume am Kephissus und einigen Cypressen, Feigenbäumen und Weingärten
keine Farbe zeigt, die dem Blicke wohlthut. Der Schloßgarten steht in den
spätern Nachmittagsstunden jedermann offen. Er ist mit ungewöhnlichem Ge¬
schmack angelegt, reich an schönen Büschen, schattigen Lauben und Gängen,
klaren Wasserbassins und köstlichen Aussichten, unter denen namentlich die auf
die Säulen des Zeustempels und das Meer zu den überraschendsten und zau¬
berhaftesten in ganz Griechenland gehört. Der Thiergarten dabei will nicht
viel bedeuten. Dagegen können sich die. welche das Vorkommen von Nach¬
tigallen in Hellas leugnen, hier auf die anmuthigste Weise des Irrthums
überführen lassen.

Bon den Kirchen Athens verdient zunächst die ihrer Vollendung entgegen¬
gehende große Kathedrale Erwähnung. Sie ist im Basilikenstil erbaut, und
in ihr sind alle Marmorgattungen angebracht, welche Griechenland besitzt.
Ferner mag der bunten byzantinischen Kirche gedacht werden, in welcher die
hier anwesenden Russen ihren Gottesdienst halten. Unter den ältern Kirchen
ist die Kapnikarea durch ihren rein byzantinischen Stil und die bis in das
sechste Jahrhundert hinaufreichende, aus Bruchstücken heidnischer Marmortem¬
pel erbaute alte Kathedrale interessant, in der jetzt eine Sammlung von Alter¬
thümern aufgestellt ist. Endlich ist auch die Kirche des Hagios Theodoros
als ein schönes Denkmal byzantinischer Kunst zu nennen. Ein gutes Gemälde
findet sich unter den zahlreichen Bildern dieser Kirchen nicht. Die neugrie¬
chische Kunst ist stabil wie die altägyptische. Sie ist Schablone. So malt
wan einen heiligen Spiridion, und so einen heiligen Lucas, heißt es seit
Gründung der Athosklöster. in denen diese Bilder angefertigt werden, bis
auf den heutigen Tag, und so wird es noch manches Jahrzehnt heißen.

Auffallend reich ist Athen an gemeinnützigen Anstalten. Dieselben sind
gvößtentheils durch Schenkungen oder Vermächtnisse im Ausland lebender


hätte der weise Grieche, der den Philosophen in der Tonne neben den poe¬
tischen Lord stellte, gar damit eine Mißbilligung der gelegentlichen Cynismen
Byrons ausdrücken wollen?

Während des verflossenen Jahres herrschte rege Baulust, überall stiegen
im Norden, Nordwesten und Osten neue Häuser empor. Der Werth der Bau¬
stellen hatte gegen früher sehr zugenommen, da man auf ein starkes Zuströ¬
men neuer Ansiedler hoffte. Und diese Hoffnung scheint nicht unbegründet,
wenn man bedenkt, daß die Zahl der Einwohner Athens sich seit 1830 fast
verdreifacht hat, so daß sie jetzt nahe an vierzigtausend beträgt. Promenaden
darf man hier nicht erwarten. Doch hat die Königin in dem Schloßgarten
einen der anmuthigsten Spaziergänge der Welt geschaffen, der um so erqui¬
ckender auf das Auge wirkt, als die Berge ringsum ohne Baumwuchs sind,
und auch die Ebene im Westen im Sommer außer dem Graugrün der Oel-
bäume am Kephissus und einigen Cypressen, Feigenbäumen und Weingärten
keine Farbe zeigt, die dem Blicke wohlthut. Der Schloßgarten steht in den
spätern Nachmittagsstunden jedermann offen. Er ist mit ungewöhnlichem Ge¬
schmack angelegt, reich an schönen Büschen, schattigen Lauben und Gängen,
klaren Wasserbassins und köstlichen Aussichten, unter denen namentlich die auf
die Säulen des Zeustempels und das Meer zu den überraschendsten und zau¬
berhaftesten in ganz Griechenland gehört. Der Thiergarten dabei will nicht
viel bedeuten. Dagegen können sich die. welche das Vorkommen von Nach¬
tigallen in Hellas leugnen, hier auf die anmuthigste Weise des Irrthums
überführen lassen.

Bon den Kirchen Athens verdient zunächst die ihrer Vollendung entgegen¬
gehende große Kathedrale Erwähnung. Sie ist im Basilikenstil erbaut, und
in ihr sind alle Marmorgattungen angebracht, welche Griechenland besitzt.
Ferner mag der bunten byzantinischen Kirche gedacht werden, in welcher die
hier anwesenden Russen ihren Gottesdienst halten. Unter den ältern Kirchen
ist die Kapnikarea durch ihren rein byzantinischen Stil und die bis in das
sechste Jahrhundert hinaufreichende, aus Bruchstücken heidnischer Marmortem¬
pel erbaute alte Kathedrale interessant, in der jetzt eine Sammlung von Alter¬
thümern aufgestellt ist. Endlich ist auch die Kirche des Hagios Theodoros
als ein schönes Denkmal byzantinischer Kunst zu nennen. Ein gutes Gemälde
findet sich unter den zahlreichen Bildern dieser Kirchen nicht. Die neugrie¬
chische Kunst ist stabil wie die altägyptische. Sie ist Schablone. So malt
wan einen heiligen Spiridion, und so einen heiligen Lucas, heißt es seit
Gründung der Athosklöster. in denen diese Bilder angefertigt werden, bis
auf den heutigen Tag, und so wird es noch manches Jahrzehnt heißen.

Auffallend reich ist Athen an gemeinnützigen Anstalten. Dieselben sind
gvößtentheils durch Schenkungen oder Vermächtnisse im Ausland lebender


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[0367] hätte der weise Grieche, der den Philosophen in der Tonne neben den poe¬ tischen Lord stellte, gar damit eine Mißbilligung der gelegentlichen Cynismen Byrons ausdrücken wollen? Während des verflossenen Jahres herrschte rege Baulust, überall stiegen im Norden, Nordwesten und Osten neue Häuser empor. Der Werth der Bau¬ stellen hatte gegen früher sehr zugenommen, da man auf ein starkes Zuströ¬ men neuer Ansiedler hoffte. Und diese Hoffnung scheint nicht unbegründet, wenn man bedenkt, daß die Zahl der Einwohner Athens sich seit 1830 fast verdreifacht hat, so daß sie jetzt nahe an vierzigtausend beträgt. Promenaden darf man hier nicht erwarten. Doch hat die Königin in dem Schloßgarten einen der anmuthigsten Spaziergänge der Welt geschaffen, der um so erqui¬ ckender auf das Auge wirkt, als die Berge ringsum ohne Baumwuchs sind, und auch die Ebene im Westen im Sommer außer dem Graugrün der Oel- bäume am Kephissus und einigen Cypressen, Feigenbäumen und Weingärten keine Farbe zeigt, die dem Blicke wohlthut. Der Schloßgarten steht in den spätern Nachmittagsstunden jedermann offen. Er ist mit ungewöhnlichem Ge¬ schmack angelegt, reich an schönen Büschen, schattigen Lauben und Gängen, klaren Wasserbassins und köstlichen Aussichten, unter denen namentlich die auf die Säulen des Zeustempels und das Meer zu den überraschendsten und zau¬ berhaftesten in ganz Griechenland gehört. Der Thiergarten dabei will nicht viel bedeuten. Dagegen können sich die. welche das Vorkommen von Nach¬ tigallen in Hellas leugnen, hier auf die anmuthigste Weise des Irrthums überführen lassen. Bon den Kirchen Athens verdient zunächst die ihrer Vollendung entgegen¬ gehende große Kathedrale Erwähnung. Sie ist im Basilikenstil erbaut, und in ihr sind alle Marmorgattungen angebracht, welche Griechenland besitzt. Ferner mag der bunten byzantinischen Kirche gedacht werden, in welcher die hier anwesenden Russen ihren Gottesdienst halten. Unter den ältern Kirchen ist die Kapnikarea durch ihren rein byzantinischen Stil und die bis in das sechste Jahrhundert hinaufreichende, aus Bruchstücken heidnischer Marmortem¬ pel erbaute alte Kathedrale interessant, in der jetzt eine Sammlung von Alter¬ thümern aufgestellt ist. Endlich ist auch die Kirche des Hagios Theodoros als ein schönes Denkmal byzantinischer Kunst zu nennen. Ein gutes Gemälde findet sich unter den zahlreichen Bildern dieser Kirchen nicht. Die neugrie¬ chische Kunst ist stabil wie die altägyptische. Sie ist Schablone. So malt wan einen heiligen Spiridion, und so einen heiligen Lucas, heißt es seit Gründung der Athosklöster. in denen diese Bilder angefertigt werden, bis auf den heutigen Tag, und so wird es noch manches Jahrzehnt heißen. Auffallend reich ist Athen an gemeinnützigen Anstalten. Dieselben sind gvößtentheils durch Schenkungen oder Vermächtnisse im Ausland lebender

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/367>, abgerufen am 22.07.2024.