Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gegen Mann geziemte. Zuerst, seine Ehe ist eine rechte Ehe im ganzen Sinn.
Man sieht äußerlich nicht viel davon, aber es ist innerlich die schönste Wahr¬
heit. Mit welchem Enthusiasmus ergießt er sich über sein Verhältniß mit ihr,
mit welcher Kindlichkeit gibt er den vertrauten Freunden kleine Züge von
ihrer Tiefe, von ihrer Religiosität, von ihrer Eigenthümlichkeit, immer mit den
schönsten Thränen in den Augen. Und dann, der ganze Mensch ist über alle
Beschreibung herrlich, so tief, so frei, so witzig, als Fr. Schlegel nur immer
sein kann. Im Philosophiren mit einer viel größern Lebendigkeit noch, mit
einer glühenden Beredtsamkeit, selbst in unsrer ihm eigentlich fremden Sprache,
ist er nicht nur durchaus rechtlich und von aller Parteisucht entfernt, sondern
durch und durch heilig und in dem Sinn, in welchem ich es ehren und lieben
muß, milde." -- Zu den damaligen Studirenden in Halle gehörte auch Börne.
Ueber ihn schreibt Schleiermacher an Henriette Herz: "Freundlich bin ich ihm
immer, aber gleichgiltig ist er mir sehr. Wie soll man mehr Interesse an
einem Menschen nehmen, als er selbst an sich nimmt? Er fängt gar nichts mit
sich selbst an, vertändelt seine Zeit, versäumt seine Studien, ruinirt sich durch
Faulheit und sieht das selbst mit der größten Gelassenheit an. und sagt nur
immer, es wäre ihm nun einmal so, und wenn er sich zu etwas Anderm
zwingen wollte, so wäre es ja denn doch nicht besser. Wie kann man aus
einen Menschen wirken, der sich so den Willen selbst wegräsonnirt. Ich weiß
nicht, ob er untergehn wird; manche Natur rettet sich aus diesem Zu¬
stand. -- Dabei ziert er sich noch und ist falsch. --Wie er klagen kann, daß
er trübe ist, begreife ich wol, aber nicht, wie Du es als Klage aufnehmen
kannst. Was hat ein gesunder junger Mensch, dem nichts abgeht, trübe zu
sein. Aller Trübsinn kommt aus seiner Unthätigkeit, die ihn schlaff macht. --
Er liebt und hätschelt seine Faulheit und Eitelkeit, und will von allen Men¬
schen entweder gehätschelt werden oder hochmüthig über sie wegsehn. Das
Letzte kann er nicht über mich und das Erste kann ich nicht gegen ihn; denn
Faulheit und Eitelkeit sind mir an jungen Leuten ekelhaft."

October 1805 entschied sich zum zweitenmal, und diesmal definitiv, die
Trennung von Eleonore. Schon hatte sie ihren Gatten verlassen, das Ge¬
wissen trieb sie zurück. "Ich weiß nicht," schreibt Schleiermacher an Henriette
v. Willich, "ob sich irgend jemand meinen Zustand denken kann; es ist das
tiefste, ungeheuerste Unglück -- der Schmerz wird mich nicht verlassen, die
Einheit meines Lebens ist zerrissen; was sich aus den Trümmern machen
läßt, will ich daraus machen."

Es ist schade, daß aus dem folgenden Jahr, wo sich Schleiermachers vater¬
ländische Gesinnung so herrlich zu entfalten begann, nur wenig Fragmente
vorhanden sind, die sich auf Politik beziehn. "Bedenken Sie. daß kein Einzelner
bestehn. daß kein Einzelner sich retten kann, daß doch unser aller Leben ein-


gegen Mann geziemte. Zuerst, seine Ehe ist eine rechte Ehe im ganzen Sinn.
Man sieht äußerlich nicht viel davon, aber es ist innerlich die schönste Wahr¬
heit. Mit welchem Enthusiasmus ergießt er sich über sein Verhältniß mit ihr,
mit welcher Kindlichkeit gibt er den vertrauten Freunden kleine Züge von
ihrer Tiefe, von ihrer Religiosität, von ihrer Eigenthümlichkeit, immer mit den
schönsten Thränen in den Augen. Und dann, der ganze Mensch ist über alle
Beschreibung herrlich, so tief, so frei, so witzig, als Fr. Schlegel nur immer
sein kann. Im Philosophiren mit einer viel größern Lebendigkeit noch, mit
einer glühenden Beredtsamkeit, selbst in unsrer ihm eigentlich fremden Sprache,
ist er nicht nur durchaus rechtlich und von aller Parteisucht entfernt, sondern
durch und durch heilig und in dem Sinn, in welchem ich es ehren und lieben
muß, milde." — Zu den damaligen Studirenden in Halle gehörte auch Börne.
Ueber ihn schreibt Schleiermacher an Henriette Herz: „Freundlich bin ich ihm
immer, aber gleichgiltig ist er mir sehr. Wie soll man mehr Interesse an
einem Menschen nehmen, als er selbst an sich nimmt? Er fängt gar nichts mit
sich selbst an, vertändelt seine Zeit, versäumt seine Studien, ruinirt sich durch
Faulheit und sieht das selbst mit der größten Gelassenheit an. und sagt nur
immer, es wäre ihm nun einmal so, und wenn er sich zu etwas Anderm
zwingen wollte, so wäre es ja denn doch nicht besser. Wie kann man aus
einen Menschen wirken, der sich so den Willen selbst wegräsonnirt. Ich weiß
nicht, ob er untergehn wird; manche Natur rettet sich aus diesem Zu¬
stand. — Dabei ziert er sich noch und ist falsch. —Wie er klagen kann, daß
er trübe ist, begreife ich wol, aber nicht, wie Du es als Klage aufnehmen
kannst. Was hat ein gesunder junger Mensch, dem nichts abgeht, trübe zu
sein. Aller Trübsinn kommt aus seiner Unthätigkeit, die ihn schlaff macht. —
Er liebt und hätschelt seine Faulheit und Eitelkeit, und will von allen Men¬
schen entweder gehätschelt werden oder hochmüthig über sie wegsehn. Das
Letzte kann er nicht über mich und das Erste kann ich nicht gegen ihn; denn
Faulheit und Eitelkeit sind mir an jungen Leuten ekelhaft."

October 1805 entschied sich zum zweitenmal, und diesmal definitiv, die
Trennung von Eleonore. Schon hatte sie ihren Gatten verlassen, das Ge¬
wissen trieb sie zurück. „Ich weiß nicht," schreibt Schleiermacher an Henriette
v. Willich, „ob sich irgend jemand meinen Zustand denken kann; es ist das
tiefste, ungeheuerste Unglück — der Schmerz wird mich nicht verlassen, die
Einheit meines Lebens ist zerrissen; was sich aus den Trümmern machen
läßt, will ich daraus machen."

Es ist schade, daß aus dem folgenden Jahr, wo sich Schleiermachers vater¬
ländische Gesinnung so herrlich zu entfalten begann, nur wenig Fragmente
vorhanden sind, die sich auf Politik beziehn. „Bedenken Sie. daß kein Einzelner
bestehn. daß kein Einzelner sich retten kann, daß doch unser aller Leben ein-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0314" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106125"/>
          <p xml:id="ID_850" prev="#ID_849"> gegen Mann geziemte. Zuerst, seine Ehe ist eine rechte Ehe im ganzen Sinn.<lb/>
Man sieht äußerlich nicht viel davon, aber es ist innerlich die schönste Wahr¬<lb/>
heit.  Mit welchem Enthusiasmus ergießt er sich über sein Verhältniß mit ihr,<lb/>
mit welcher Kindlichkeit gibt er den vertrauten Freunden kleine Züge von<lb/>
ihrer Tiefe, von ihrer Religiosität, von ihrer Eigenthümlichkeit, immer mit den<lb/>
schönsten Thränen in den Augen.  Und dann, der ganze Mensch ist über alle<lb/>
Beschreibung herrlich, so tief, so frei, so witzig, als Fr. Schlegel nur immer<lb/>
sein kann.  Im Philosophiren mit einer viel größern Lebendigkeit noch, mit<lb/>
einer glühenden Beredtsamkeit, selbst in unsrer ihm eigentlich fremden Sprache,<lb/>
ist er nicht nur durchaus rechtlich und von aller Parteisucht entfernt, sondern<lb/>
durch und durch heilig und in dem Sinn, in welchem ich es ehren und lieben<lb/>
muß, milde." &#x2014; Zu den damaligen Studirenden in Halle gehörte auch Börne.<lb/>
Ueber ihn schreibt Schleiermacher an Henriette Herz: &#x201E;Freundlich bin ich ihm<lb/>
immer, aber gleichgiltig ist er mir sehr.  Wie soll man mehr Interesse an<lb/>
einem Menschen nehmen, als er selbst an sich nimmt? Er fängt gar nichts mit<lb/>
sich selbst an, vertändelt seine Zeit, versäumt seine Studien, ruinirt sich durch<lb/>
Faulheit und sieht das selbst mit der größten Gelassenheit an. und sagt nur<lb/>
immer, es wäre ihm nun einmal so, und wenn er sich zu etwas Anderm<lb/>
zwingen wollte, so wäre es ja denn doch nicht besser.  Wie kann man aus<lb/>
einen Menschen wirken, der sich so den Willen selbst wegräsonnirt.  Ich weiß<lb/>
nicht, ob er untergehn wird; manche Natur rettet sich aus diesem Zu¬<lb/>
stand. &#x2014; Dabei ziert er sich noch und ist falsch. &#x2014;Wie er klagen kann, daß<lb/>
er trübe ist, begreife ich wol, aber nicht, wie Du es als Klage aufnehmen<lb/>
kannst.  Was hat ein gesunder junger Mensch, dem nichts abgeht, trübe zu<lb/>
sein.  Aller Trübsinn kommt aus seiner Unthätigkeit, die ihn schlaff macht. &#x2014;<lb/>
Er liebt und hätschelt seine Faulheit und Eitelkeit, und will von allen Men¬<lb/>
schen entweder gehätschelt werden oder hochmüthig über sie wegsehn. Das<lb/>
Letzte kann er nicht über mich und das Erste kann ich nicht gegen ihn; denn<lb/>
Faulheit und Eitelkeit sind mir an jungen Leuten ekelhaft."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_851"> October 1805 entschied sich zum zweitenmal, und diesmal definitiv, die<lb/>
Trennung von Eleonore. Schon hatte sie ihren Gatten verlassen, das Ge¬<lb/>
wissen trieb sie zurück. &#x201E;Ich weiß nicht," schreibt Schleiermacher an Henriette<lb/>
v. Willich, &#x201E;ob sich irgend jemand meinen Zustand denken kann; es ist das<lb/>
tiefste, ungeheuerste Unglück &#x2014; der Schmerz wird mich nicht verlassen, die<lb/>
Einheit meines Lebens ist zerrissen; was sich aus den Trümmern machen<lb/>
läßt, will ich daraus machen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_852" next="#ID_853"> Es ist schade, daß aus dem folgenden Jahr, wo sich Schleiermachers vater¬<lb/>
ländische Gesinnung so herrlich zu entfalten begann, nur wenig Fragmente<lb/>
vorhanden sind, die sich auf Politik beziehn. &#x201E;Bedenken Sie. daß kein Einzelner<lb/>
bestehn. daß kein Einzelner sich retten kann, daß doch unser aller Leben ein-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0314] gegen Mann geziemte. Zuerst, seine Ehe ist eine rechte Ehe im ganzen Sinn. Man sieht äußerlich nicht viel davon, aber es ist innerlich die schönste Wahr¬ heit. Mit welchem Enthusiasmus ergießt er sich über sein Verhältniß mit ihr, mit welcher Kindlichkeit gibt er den vertrauten Freunden kleine Züge von ihrer Tiefe, von ihrer Religiosität, von ihrer Eigenthümlichkeit, immer mit den schönsten Thränen in den Augen. Und dann, der ganze Mensch ist über alle Beschreibung herrlich, so tief, so frei, so witzig, als Fr. Schlegel nur immer sein kann. Im Philosophiren mit einer viel größern Lebendigkeit noch, mit einer glühenden Beredtsamkeit, selbst in unsrer ihm eigentlich fremden Sprache, ist er nicht nur durchaus rechtlich und von aller Parteisucht entfernt, sondern durch und durch heilig und in dem Sinn, in welchem ich es ehren und lieben muß, milde." — Zu den damaligen Studirenden in Halle gehörte auch Börne. Ueber ihn schreibt Schleiermacher an Henriette Herz: „Freundlich bin ich ihm immer, aber gleichgiltig ist er mir sehr. Wie soll man mehr Interesse an einem Menschen nehmen, als er selbst an sich nimmt? Er fängt gar nichts mit sich selbst an, vertändelt seine Zeit, versäumt seine Studien, ruinirt sich durch Faulheit und sieht das selbst mit der größten Gelassenheit an. und sagt nur immer, es wäre ihm nun einmal so, und wenn er sich zu etwas Anderm zwingen wollte, so wäre es ja denn doch nicht besser. Wie kann man aus einen Menschen wirken, der sich so den Willen selbst wegräsonnirt. Ich weiß nicht, ob er untergehn wird; manche Natur rettet sich aus diesem Zu¬ stand. — Dabei ziert er sich noch und ist falsch. —Wie er klagen kann, daß er trübe ist, begreife ich wol, aber nicht, wie Du es als Klage aufnehmen kannst. Was hat ein gesunder junger Mensch, dem nichts abgeht, trübe zu sein. Aller Trübsinn kommt aus seiner Unthätigkeit, die ihn schlaff macht. — Er liebt und hätschelt seine Faulheit und Eitelkeit, und will von allen Men¬ schen entweder gehätschelt werden oder hochmüthig über sie wegsehn. Das Letzte kann er nicht über mich und das Erste kann ich nicht gegen ihn; denn Faulheit und Eitelkeit sind mir an jungen Leuten ekelhaft." October 1805 entschied sich zum zweitenmal, und diesmal definitiv, die Trennung von Eleonore. Schon hatte sie ihren Gatten verlassen, das Ge¬ wissen trieb sie zurück. „Ich weiß nicht," schreibt Schleiermacher an Henriette v. Willich, „ob sich irgend jemand meinen Zustand denken kann; es ist das tiefste, ungeheuerste Unglück — der Schmerz wird mich nicht verlassen, die Einheit meines Lebens ist zerrissen; was sich aus den Trümmern machen läßt, will ich daraus machen." Es ist schade, daß aus dem folgenden Jahr, wo sich Schleiermachers vater¬ ländische Gesinnung so herrlich zu entfalten begann, nur wenig Fragmente vorhanden sind, die sich auf Politik beziehn. „Bedenken Sie. daß kein Einzelner bestehn. daß kein Einzelner sich retten kann, daß doch unser aller Leben ein-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/314
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/314>, abgerufen am 22.07.2024.