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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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deren Mann im folgenden Jahr starb, und nur Eleonore gehn sehr lebhast
fort; was von den letztern mitgetheilt ist. klingt nicht eigentlich leidenschaftlich,
es enthält aber ein großes Raffinement des Gefühls, ja es fließt sogar viel
Speculation und Gelehrsamkeit mit ein. und man sieht, daß Eleonore sehr
wesentlich in den Kreis des Athenäums und der Lucinde gehörte. Schleier-
machers Verstimmung wurde immer größer und endlich trat in jenem Verhält¬
niß eine Katastrophe ein, über die wir einige Brieffragmente an Henriette
Herz mittheilen. -- (Juni 1803) "Es ist geschehn, sie hat mich aufgegeben,
sie hat gethan, wie Du dachtest! Sie fühlt schon, daß es ihr das Leben kostet,
und sie wird auch bald sterben. Ich kann ordentlich wünschen, daß sie eher
sterbe als ich; denn wenn sie meinen Tod erlebte, würde sie wieder eine andre
Neue anfallen. Sie mag sich sputen, denn Gram und Anstrengung werden
auch mir bald zu Gift werden. Noch habe ich wenig an mich gedacht, aber
wenn es kommt, überfällt mich ein kaltes Grausen ... Ich kann nicht mehr,
liebe Freundin, ich zerfließe in Seufzer und Thränen ... Ist denn nicht mein
Verlust viel schlimmer als der Tod? ich versichre Dich, ich wollte viel ruhiger
sein, wenn Eleonore gestorben wäre. Freilich würde ich auch mein Leben
überflüssig finden und mir den Tod wünschen, wie jetzt; aber es würde doch
anders sein. Mein Leben würde doch bis dahin einen Charakter haben, den
es jetzt nicht haben kann. Ein rechtes Verwitwetsein gibt ein schönes,
schwermüthiges Leben, das recht ausdrucksvoll sein kann. Jetzt ist aber mein
Leben ganz zerfahren, unstet und nichtig." -- Doch scheint das Verhältniß
sich bald darauf wieder hergestellt zu haben, wenn es ihn auch nicht erquickte
"Laß Dirs sagen, liebe Jelde, mein Geist hat wenigstens gewiß die Schwind¬
sucht; ich vergehe zusehends von einem Tage zum andern. Warum sterbe ich
nicht bei diesem bestimmten Gefühl? Feigherzigkeit ist es nicht, aber etwas
nicht viel Besseres, ein schwacher Schimmer kindischer Hoffnung, der mir manch¬
mal aus der Ferne entgegenglünzt. Und für ein Leben mit Eleonore, sei es
auch so spät es wolle, möchte ich dies Leben noch sehr lange aushalten/' ^--
In dieser Periode, Februar 1804, verlobte sich sein Freund Willich mit einem
sechzehnjähriger Mädchen, Henriette von Mühlenfels, die sich auch an
Schleiermacher brieflich mit kindlicher Zärtlichkeit wandte, und der er an ihrem
Trauungstage, 5. September 1804, seinen väterlichen Segen gab. Gleichzeitig
wurde er als Professor und Prediger nach Halle berufen, wo er im October
1804 eintraf.

Dort nahm er seine jüngere Schwester Nanni zu sich, die in seinem Hause
blieb, bis sie 1817 E. M. Arndts Frau wurde. Einen tiefen Eindruck machte
sein College Steffens auf ihn. "Ich bin ebenso wenig hochmüthig als
bescheiden; aber nie habe ich einen Mann so aus vollem Herzen und in jeder
Hinsicht über mich gestellt, als diesen, den ich anbeten möchte, wenn es Mann


Grenzboten III. 1853. 30

deren Mann im folgenden Jahr starb, und nur Eleonore gehn sehr lebhast
fort; was von den letztern mitgetheilt ist. klingt nicht eigentlich leidenschaftlich,
es enthält aber ein großes Raffinement des Gefühls, ja es fließt sogar viel
Speculation und Gelehrsamkeit mit ein. und man sieht, daß Eleonore sehr
wesentlich in den Kreis des Athenäums und der Lucinde gehörte. Schleier-
machers Verstimmung wurde immer größer und endlich trat in jenem Verhält¬
niß eine Katastrophe ein, über die wir einige Brieffragmente an Henriette
Herz mittheilen. — (Juni 1803) „Es ist geschehn, sie hat mich aufgegeben,
sie hat gethan, wie Du dachtest! Sie fühlt schon, daß es ihr das Leben kostet,
und sie wird auch bald sterben. Ich kann ordentlich wünschen, daß sie eher
sterbe als ich; denn wenn sie meinen Tod erlebte, würde sie wieder eine andre
Neue anfallen. Sie mag sich sputen, denn Gram und Anstrengung werden
auch mir bald zu Gift werden. Noch habe ich wenig an mich gedacht, aber
wenn es kommt, überfällt mich ein kaltes Grausen ... Ich kann nicht mehr,
liebe Freundin, ich zerfließe in Seufzer und Thränen ... Ist denn nicht mein
Verlust viel schlimmer als der Tod? ich versichre Dich, ich wollte viel ruhiger
sein, wenn Eleonore gestorben wäre. Freilich würde ich auch mein Leben
überflüssig finden und mir den Tod wünschen, wie jetzt; aber es würde doch
anders sein. Mein Leben würde doch bis dahin einen Charakter haben, den
es jetzt nicht haben kann. Ein rechtes Verwitwetsein gibt ein schönes,
schwermüthiges Leben, das recht ausdrucksvoll sein kann. Jetzt ist aber mein
Leben ganz zerfahren, unstet und nichtig." — Doch scheint das Verhältniß
sich bald darauf wieder hergestellt zu haben, wenn es ihn auch nicht erquickte
„Laß Dirs sagen, liebe Jelde, mein Geist hat wenigstens gewiß die Schwind¬
sucht; ich vergehe zusehends von einem Tage zum andern. Warum sterbe ich
nicht bei diesem bestimmten Gefühl? Feigherzigkeit ist es nicht, aber etwas
nicht viel Besseres, ein schwacher Schimmer kindischer Hoffnung, der mir manch¬
mal aus der Ferne entgegenglünzt. Und für ein Leben mit Eleonore, sei es
auch so spät es wolle, möchte ich dies Leben noch sehr lange aushalten/' ^—
In dieser Periode, Februar 1804, verlobte sich sein Freund Willich mit einem
sechzehnjähriger Mädchen, Henriette von Mühlenfels, die sich auch an
Schleiermacher brieflich mit kindlicher Zärtlichkeit wandte, und der er an ihrem
Trauungstage, 5. September 1804, seinen väterlichen Segen gab. Gleichzeitig
wurde er als Professor und Prediger nach Halle berufen, wo er im October
1804 eintraf.

Dort nahm er seine jüngere Schwester Nanni zu sich, die in seinem Hause
blieb, bis sie 1817 E. M. Arndts Frau wurde. Einen tiefen Eindruck machte
sein College Steffens auf ihn. „Ich bin ebenso wenig hochmüthig als
bescheiden; aber nie habe ich einen Mann so aus vollem Herzen und in jeder
Hinsicht über mich gestellt, als diesen, den ich anbeten möchte, wenn es Mann


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[0313] deren Mann im folgenden Jahr starb, und nur Eleonore gehn sehr lebhast fort; was von den letztern mitgetheilt ist. klingt nicht eigentlich leidenschaftlich, es enthält aber ein großes Raffinement des Gefühls, ja es fließt sogar viel Speculation und Gelehrsamkeit mit ein. und man sieht, daß Eleonore sehr wesentlich in den Kreis des Athenäums und der Lucinde gehörte. Schleier- machers Verstimmung wurde immer größer und endlich trat in jenem Verhält¬ niß eine Katastrophe ein, über die wir einige Brieffragmente an Henriette Herz mittheilen. — (Juni 1803) „Es ist geschehn, sie hat mich aufgegeben, sie hat gethan, wie Du dachtest! Sie fühlt schon, daß es ihr das Leben kostet, und sie wird auch bald sterben. Ich kann ordentlich wünschen, daß sie eher sterbe als ich; denn wenn sie meinen Tod erlebte, würde sie wieder eine andre Neue anfallen. Sie mag sich sputen, denn Gram und Anstrengung werden auch mir bald zu Gift werden. Noch habe ich wenig an mich gedacht, aber wenn es kommt, überfällt mich ein kaltes Grausen ... Ich kann nicht mehr, liebe Freundin, ich zerfließe in Seufzer und Thränen ... Ist denn nicht mein Verlust viel schlimmer als der Tod? ich versichre Dich, ich wollte viel ruhiger sein, wenn Eleonore gestorben wäre. Freilich würde ich auch mein Leben überflüssig finden und mir den Tod wünschen, wie jetzt; aber es würde doch anders sein. Mein Leben würde doch bis dahin einen Charakter haben, den es jetzt nicht haben kann. Ein rechtes Verwitwetsein gibt ein schönes, schwermüthiges Leben, das recht ausdrucksvoll sein kann. Jetzt ist aber mein Leben ganz zerfahren, unstet und nichtig." — Doch scheint das Verhältniß sich bald darauf wieder hergestellt zu haben, wenn es ihn auch nicht erquickte „Laß Dirs sagen, liebe Jelde, mein Geist hat wenigstens gewiß die Schwind¬ sucht; ich vergehe zusehends von einem Tage zum andern. Warum sterbe ich nicht bei diesem bestimmten Gefühl? Feigherzigkeit ist es nicht, aber etwas nicht viel Besseres, ein schwacher Schimmer kindischer Hoffnung, der mir manch¬ mal aus der Ferne entgegenglünzt. Und für ein Leben mit Eleonore, sei es auch so spät es wolle, möchte ich dies Leben noch sehr lange aushalten/' ^— In dieser Periode, Februar 1804, verlobte sich sein Freund Willich mit einem sechzehnjähriger Mädchen, Henriette von Mühlenfels, die sich auch an Schleiermacher brieflich mit kindlicher Zärtlichkeit wandte, und der er an ihrem Trauungstage, 5. September 1804, seinen väterlichen Segen gab. Gleichzeitig wurde er als Professor und Prediger nach Halle berufen, wo er im October 1804 eintraf. Dort nahm er seine jüngere Schwester Nanni zu sich, die in seinem Hause blieb, bis sie 1817 E. M. Arndts Frau wurde. Einen tiefen Eindruck machte sein College Steffens auf ihn. „Ich bin ebenso wenig hochmüthig als bescheiden; aber nie habe ich einen Mann so aus vollem Herzen und in jeder Hinsicht über mich gestellt, als diesen, den ich anbeten möchte, wenn es Mann Grenzboten III. 1853. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/313>, abgerufen am 23.07.2024.