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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Eine halbe Stunde später schwenkte der Dampfer, um eine niedrige fel¬
sige Landzunge biegend, in eine schmale, ziemlich tiefe Bucht ein. in deren
Hintergrund eine hellfarbige Stadt schimmerte. Es war der Pirüus. Rechts
tanzten vor einem Wachthaus Soldaten in lichtblauen Uniformen singend und
schreiend einen lebhaften Tanz. Vom Kai kam uns ein Schwarm von bunten
Barken entgegengcschwommcn.

Kaum hatte das Schiff Pratica erhalten, als es von den Führern jener
Barken förmlich geentert wurde, und im Nu hatte jeder von den Passagieren
ein halbes Dutzend zudringlicher sonnenverbrannter Burschen am Knopfloch,
die sich ihm, französisch und italienisch radebrechend zur Fahrt ans Land auf¬
drängen. Wir vertrauten uns einem Fremdenfänger des Hotel d'Angleterre
an, der sich, nachdem wir aufs Trockne gelangt, sofort dadurch nützlich machte,
daß er den Cerberus des Zollhauses, welcher Einblick in unser Gepäck ver¬
langen zu wollen schien, nach Landessitte mit einem Zwanziger beschwichtigte
und dann durch rasche Wahl unter der Menge von Wagen, welche die Ver¬
bindung zwischen hier und Athen unterhalten, uns vor dem Schicksal be¬
wahrte, unsere Rockschöße in den Fingern der Fiackerknechte zurücklassen zu
müssen, deren Ungestüm das der Barkenführer womöglich noch überbot. Eine
halbe Meile von Athen hat man keine Neigung, sich aus die Betrachtung anderer
Dinge einzulassen. So warfen wir nur einen kurzen Blick auf die Straßen
am Hafen und aus die hübschen Gartenanlagen, welche die französischen Occu-
pationstruppen den Bewohnern des Piräus als Geschenk hinterlassen haben,
dann rollte der Wagen aus der Stadt hinaus und die nach Norden führende
Landstraße entlang auf die immer deutlicher sichtbar werdenden Zinnen der
Akropolis zu. Am Rande der Chaussee standen dichtbelaubte Silberpappeln,
weiter zurück wechselten Felder, auf denen Gerste die Sichel des Schmieders
erwartete, mit Rebenpflanzungen. Olivenbnume. die sich zur Linken zu einem
Walde verdichteten, mit einzelnen Maulbeerbäumen. Auf den Aeckern und in
den Gärten flimmerten wie rothe Flämmchen die Blumen von Mohn. Hin
und wieder zeigten sich zwischen dem Grün die Quadern alter Bauten -- Reste
der langen Mauern. Ein Stück weiterhin drängte sich von links her ein
kleiner schmuzigrother Bach unter der Straße durch -- der Kcphissus. In
der Mitte des Weges wurde vor einer Schenke gehalten, und ein Kellner in
Pumphosen brachte uns Limonade und gab uns auf unsern Zwanziger die
ersten griechischen Kupferstücke heraus.

Kurz nachher verschwand der Oelwald rechts, und von der breiten bläu¬
lichen Wand des Hymettus hob sich scheinbar hart neben uns der Hügel
ab. auf dem das Denkmal des Philopapvus steht. Noch ein Weilchen, und
ganz Athen lag vor uns: hier rechts der Nymphenhügel mit Baron Tinas
Observatorium, die dunklen wild zusammengeschichteten Felsklumpen des' Areo-


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Eine halbe Stunde später schwenkte der Dampfer, um eine niedrige fel¬
sige Landzunge biegend, in eine schmale, ziemlich tiefe Bucht ein. in deren
Hintergrund eine hellfarbige Stadt schimmerte. Es war der Pirüus. Rechts
tanzten vor einem Wachthaus Soldaten in lichtblauen Uniformen singend und
schreiend einen lebhaften Tanz. Vom Kai kam uns ein Schwarm von bunten
Barken entgegengcschwommcn.

Kaum hatte das Schiff Pratica erhalten, als es von den Führern jener
Barken förmlich geentert wurde, und im Nu hatte jeder von den Passagieren
ein halbes Dutzend zudringlicher sonnenverbrannter Burschen am Knopfloch,
die sich ihm, französisch und italienisch radebrechend zur Fahrt ans Land auf¬
drängen. Wir vertrauten uns einem Fremdenfänger des Hotel d'Angleterre
an, der sich, nachdem wir aufs Trockne gelangt, sofort dadurch nützlich machte,
daß er den Cerberus des Zollhauses, welcher Einblick in unser Gepäck ver¬
langen zu wollen schien, nach Landessitte mit einem Zwanziger beschwichtigte
und dann durch rasche Wahl unter der Menge von Wagen, welche die Ver¬
bindung zwischen hier und Athen unterhalten, uns vor dem Schicksal be¬
wahrte, unsere Rockschöße in den Fingern der Fiackerknechte zurücklassen zu
müssen, deren Ungestüm das der Barkenführer womöglich noch überbot. Eine
halbe Meile von Athen hat man keine Neigung, sich aus die Betrachtung anderer
Dinge einzulassen. So warfen wir nur einen kurzen Blick auf die Straßen
am Hafen und aus die hübschen Gartenanlagen, welche die französischen Occu-
pationstruppen den Bewohnern des Piräus als Geschenk hinterlassen haben,
dann rollte der Wagen aus der Stadt hinaus und die nach Norden führende
Landstraße entlang auf die immer deutlicher sichtbar werdenden Zinnen der
Akropolis zu. Am Rande der Chaussee standen dichtbelaubte Silberpappeln,
weiter zurück wechselten Felder, auf denen Gerste die Sichel des Schmieders
erwartete, mit Rebenpflanzungen. Olivenbnume. die sich zur Linken zu einem
Walde verdichteten, mit einzelnen Maulbeerbäumen. Auf den Aeckern und in
den Gärten flimmerten wie rothe Flämmchen die Blumen von Mohn. Hin
und wieder zeigten sich zwischen dem Grün die Quadern alter Bauten — Reste
der langen Mauern. Ein Stück weiterhin drängte sich von links her ein
kleiner schmuzigrother Bach unter der Straße durch — der Kcphissus. In
der Mitte des Weges wurde vor einer Schenke gehalten, und ein Kellner in
Pumphosen brachte uns Limonade und gab uns auf unsern Zwanziger die
ersten griechischen Kupferstücke heraus.

Kurz nachher verschwand der Oelwald rechts, und von der breiten bläu¬
lichen Wand des Hymettus hob sich scheinbar hart neben uns der Hügel
ab. auf dem das Denkmal des Philopapvus steht. Noch ein Weilchen, und
ganz Athen lag vor uns: hier rechts der Nymphenhügel mit Baron Tinas
Observatorium, die dunklen wild zusammengeschichteten Felsklumpen des' Areo-


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[0243] Eine halbe Stunde später schwenkte der Dampfer, um eine niedrige fel¬ sige Landzunge biegend, in eine schmale, ziemlich tiefe Bucht ein. in deren Hintergrund eine hellfarbige Stadt schimmerte. Es war der Pirüus. Rechts tanzten vor einem Wachthaus Soldaten in lichtblauen Uniformen singend und schreiend einen lebhaften Tanz. Vom Kai kam uns ein Schwarm von bunten Barken entgegengcschwommcn. Kaum hatte das Schiff Pratica erhalten, als es von den Führern jener Barken förmlich geentert wurde, und im Nu hatte jeder von den Passagieren ein halbes Dutzend zudringlicher sonnenverbrannter Burschen am Knopfloch, die sich ihm, französisch und italienisch radebrechend zur Fahrt ans Land auf¬ drängen. Wir vertrauten uns einem Fremdenfänger des Hotel d'Angleterre an, der sich, nachdem wir aufs Trockne gelangt, sofort dadurch nützlich machte, daß er den Cerberus des Zollhauses, welcher Einblick in unser Gepäck ver¬ langen zu wollen schien, nach Landessitte mit einem Zwanziger beschwichtigte und dann durch rasche Wahl unter der Menge von Wagen, welche die Ver¬ bindung zwischen hier und Athen unterhalten, uns vor dem Schicksal be¬ wahrte, unsere Rockschöße in den Fingern der Fiackerknechte zurücklassen zu müssen, deren Ungestüm das der Barkenführer womöglich noch überbot. Eine halbe Meile von Athen hat man keine Neigung, sich aus die Betrachtung anderer Dinge einzulassen. So warfen wir nur einen kurzen Blick auf die Straßen am Hafen und aus die hübschen Gartenanlagen, welche die französischen Occu- pationstruppen den Bewohnern des Piräus als Geschenk hinterlassen haben, dann rollte der Wagen aus der Stadt hinaus und die nach Norden führende Landstraße entlang auf die immer deutlicher sichtbar werdenden Zinnen der Akropolis zu. Am Rande der Chaussee standen dichtbelaubte Silberpappeln, weiter zurück wechselten Felder, auf denen Gerste die Sichel des Schmieders erwartete, mit Rebenpflanzungen. Olivenbnume. die sich zur Linken zu einem Walde verdichteten, mit einzelnen Maulbeerbäumen. Auf den Aeckern und in den Gärten flimmerten wie rothe Flämmchen die Blumen von Mohn. Hin und wieder zeigten sich zwischen dem Grün die Quadern alter Bauten — Reste der langen Mauern. Ein Stück weiterhin drängte sich von links her ein kleiner schmuzigrother Bach unter der Straße durch — der Kcphissus. In der Mitte des Weges wurde vor einer Schenke gehalten, und ein Kellner in Pumphosen brachte uns Limonade und gab uns auf unsern Zwanziger die ersten griechischen Kupferstücke heraus. Kurz nachher verschwand der Oelwald rechts, und von der breiten bläu¬ lichen Wand des Hymettus hob sich scheinbar hart neben uns der Hügel ab. auf dem das Denkmal des Philopapvus steht. Noch ein Weilchen, und ganz Athen lag vor uns: hier rechts der Nymphenhügel mit Baron Tinas Observatorium, die dunklen wild zusammengeschichteten Felsklumpen des' Areo- 30*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/243>, abgerufen am 22.07.2024.