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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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lichen Treiben, aller Misere des modernen Griechenland entfernt, stehen die
Ruinen in großartiger Einsamkeit, in heiliger Stille da, die nur von dem
Rauschen der Meereswogen unterbrochen wird. Es mußte ein hoher Genuß
sein, sich neben dieses alte Heiligthum zu lagern und sich ruhig dem Eindruck
zu überlassen, den es mit seiner Umgebung in der Seele hervorruft. Es mußte
sich entzückend träumen bei einem Blicke durch die Säulen hindurch nach dem
dunkelblauen Himmel hinauf oder nach dem sonnenbestrahlten Meere hinab,
aus dem in der Ferne die Cykladen, Hydra und Poros und die Gestade von
Argos auftauchten, jede mit Erinnerungen an die glanzvolle Vergangenheit.
Es mußte berauschen, sich von dem Geiste dieser Trümmer von Perikles er¬
zählen zu lassen, in dessen Tagen der Tempel sich erhoben. Aber der Dam¬
pfer brauste weiter, die Ruinen verschwanden, und bald ließ uns Schöneres
den Eindruck, den sie gemacht, vergessen.

Zunächst folgte eine einsame kleine Bucht, umgeben von jenen mit blo¬
ßem Gestrüpp bewachsenen Bergen, die wir uns allmälig als charakteristisch
für die griechische Landschaft aufzufassen gewöhnen. Dann trat das Gebirg
wieder weiter hervor. Dann bog es aufs Neue zu einem Amphitheater ein,
und eine weite Ebene, in der sich gegen die Mitte hin einige spitze Hügel er¬
hoben, wurde sichtbar. Im Vordergrunde wogten im Winde gelbliche Ge¬
treidefelder, im Hintergrunde lagerten, durch einen Sattel verbunden, zwei
mächtige, in diesem Augenblick von Wolken schwarzblau beschattete Felsen¬
berge. Rechts zog sich ein fast gleich hoher kahler Rücken, links ein niedrigerer,
mit mehren Einsenkungen hin, über dem in der Ferne wieder höhere Gipfel
aufragten. Die Wolkenschatten, die auf der Ebene lagen, zogen sich mehr
und mehr nach dem Gebirge hin, und plötzlich goß die Nachmittagssonne ihr
Helles Licht über die Hügelgruppe in der Mitte aus, die nun wie vergoldet
aus der dunkeln Fläche hervortrat. Ich hatte die Ebene von Athen vor mir.
Auf dem einen Hügel gewahrte ich deutlich die Umrisse von Tempeltrümmern
neben einem hohen Thurm. Es war die Akropolis. Der andere scharf zu¬
gespitzte, etwas weiter entfernt von der See mußte der Lykabettus sein; noch
ein anderer, den ein Gebäude krönte, war vermuthlich der Nymphenhügel.
Eine Wendung des Schiffes verschob die Stellung der Höhen und ließ jetzt,
indem sie auch die Stadt und das Schloß und den langgestreckten Oelwald
zeigte, der den Lauf des Kephissus bezeichnet, nicht mehr zweifeln, daß wir
uns vor unserm Ziele befanden. Der goldne Schein aber blieb über Athen
und seiner unmittelbaren Umgebung noch geraume Zeit, und er hatte in seinem
Gegensatz gegen die Beschattung ringsum und namentlich gegen das dunkle
Blau des Parnes und des Pentelikon im Hintergrunde etwas so Zauberhaftes,
daß ich fast glaubte, meine Augen täuschten mich, und es sei die Phantasie,
welche den verehrten Ott mit der Glorie eines Heiligenscheines bestrahlte.


lichen Treiben, aller Misere des modernen Griechenland entfernt, stehen die
Ruinen in großartiger Einsamkeit, in heiliger Stille da, die nur von dem
Rauschen der Meereswogen unterbrochen wird. Es mußte ein hoher Genuß
sein, sich neben dieses alte Heiligthum zu lagern und sich ruhig dem Eindruck
zu überlassen, den es mit seiner Umgebung in der Seele hervorruft. Es mußte
sich entzückend träumen bei einem Blicke durch die Säulen hindurch nach dem
dunkelblauen Himmel hinauf oder nach dem sonnenbestrahlten Meere hinab,
aus dem in der Ferne die Cykladen, Hydra und Poros und die Gestade von
Argos auftauchten, jede mit Erinnerungen an die glanzvolle Vergangenheit.
Es mußte berauschen, sich von dem Geiste dieser Trümmer von Perikles er¬
zählen zu lassen, in dessen Tagen der Tempel sich erhoben. Aber der Dam¬
pfer brauste weiter, die Ruinen verschwanden, und bald ließ uns Schöneres
den Eindruck, den sie gemacht, vergessen.

Zunächst folgte eine einsame kleine Bucht, umgeben von jenen mit blo¬
ßem Gestrüpp bewachsenen Bergen, die wir uns allmälig als charakteristisch
für die griechische Landschaft aufzufassen gewöhnen. Dann trat das Gebirg
wieder weiter hervor. Dann bog es aufs Neue zu einem Amphitheater ein,
und eine weite Ebene, in der sich gegen die Mitte hin einige spitze Hügel er¬
hoben, wurde sichtbar. Im Vordergrunde wogten im Winde gelbliche Ge¬
treidefelder, im Hintergrunde lagerten, durch einen Sattel verbunden, zwei
mächtige, in diesem Augenblick von Wolken schwarzblau beschattete Felsen¬
berge. Rechts zog sich ein fast gleich hoher kahler Rücken, links ein niedrigerer,
mit mehren Einsenkungen hin, über dem in der Ferne wieder höhere Gipfel
aufragten. Die Wolkenschatten, die auf der Ebene lagen, zogen sich mehr
und mehr nach dem Gebirge hin, und plötzlich goß die Nachmittagssonne ihr
Helles Licht über die Hügelgruppe in der Mitte aus, die nun wie vergoldet
aus der dunkeln Fläche hervortrat. Ich hatte die Ebene von Athen vor mir.
Auf dem einen Hügel gewahrte ich deutlich die Umrisse von Tempeltrümmern
neben einem hohen Thurm. Es war die Akropolis. Der andere scharf zu¬
gespitzte, etwas weiter entfernt von der See mußte der Lykabettus sein; noch
ein anderer, den ein Gebäude krönte, war vermuthlich der Nymphenhügel.
Eine Wendung des Schiffes verschob die Stellung der Höhen und ließ jetzt,
indem sie auch die Stadt und das Schloß und den langgestreckten Oelwald
zeigte, der den Lauf des Kephissus bezeichnet, nicht mehr zweifeln, daß wir
uns vor unserm Ziele befanden. Der goldne Schein aber blieb über Athen
und seiner unmittelbaren Umgebung noch geraume Zeit, und er hatte in seinem
Gegensatz gegen die Beschattung ringsum und namentlich gegen das dunkle
Blau des Parnes und des Pentelikon im Hintergrunde etwas so Zauberhaftes,
daß ich fast glaubte, meine Augen täuschten mich, und es sei die Phantasie,
welche den verehrten Ott mit der Glorie eines Heiligenscheines bestrahlte.


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[0242] lichen Treiben, aller Misere des modernen Griechenland entfernt, stehen die Ruinen in großartiger Einsamkeit, in heiliger Stille da, die nur von dem Rauschen der Meereswogen unterbrochen wird. Es mußte ein hoher Genuß sein, sich neben dieses alte Heiligthum zu lagern und sich ruhig dem Eindruck zu überlassen, den es mit seiner Umgebung in der Seele hervorruft. Es mußte sich entzückend träumen bei einem Blicke durch die Säulen hindurch nach dem dunkelblauen Himmel hinauf oder nach dem sonnenbestrahlten Meere hinab, aus dem in der Ferne die Cykladen, Hydra und Poros und die Gestade von Argos auftauchten, jede mit Erinnerungen an die glanzvolle Vergangenheit. Es mußte berauschen, sich von dem Geiste dieser Trümmer von Perikles er¬ zählen zu lassen, in dessen Tagen der Tempel sich erhoben. Aber der Dam¬ pfer brauste weiter, die Ruinen verschwanden, und bald ließ uns Schöneres den Eindruck, den sie gemacht, vergessen. Zunächst folgte eine einsame kleine Bucht, umgeben von jenen mit blo¬ ßem Gestrüpp bewachsenen Bergen, die wir uns allmälig als charakteristisch für die griechische Landschaft aufzufassen gewöhnen. Dann trat das Gebirg wieder weiter hervor. Dann bog es aufs Neue zu einem Amphitheater ein, und eine weite Ebene, in der sich gegen die Mitte hin einige spitze Hügel er¬ hoben, wurde sichtbar. Im Vordergrunde wogten im Winde gelbliche Ge¬ treidefelder, im Hintergrunde lagerten, durch einen Sattel verbunden, zwei mächtige, in diesem Augenblick von Wolken schwarzblau beschattete Felsen¬ berge. Rechts zog sich ein fast gleich hoher kahler Rücken, links ein niedrigerer, mit mehren Einsenkungen hin, über dem in der Ferne wieder höhere Gipfel aufragten. Die Wolkenschatten, die auf der Ebene lagen, zogen sich mehr und mehr nach dem Gebirge hin, und plötzlich goß die Nachmittagssonne ihr Helles Licht über die Hügelgruppe in der Mitte aus, die nun wie vergoldet aus der dunkeln Fläche hervortrat. Ich hatte die Ebene von Athen vor mir. Auf dem einen Hügel gewahrte ich deutlich die Umrisse von Tempeltrümmern neben einem hohen Thurm. Es war die Akropolis. Der andere scharf zu¬ gespitzte, etwas weiter entfernt von der See mußte der Lykabettus sein; noch ein anderer, den ein Gebäude krönte, war vermuthlich der Nymphenhügel. Eine Wendung des Schiffes verschob die Stellung der Höhen und ließ jetzt, indem sie auch die Stadt und das Schloß und den langgestreckten Oelwald zeigte, der den Lauf des Kephissus bezeichnet, nicht mehr zweifeln, daß wir uns vor unserm Ziele befanden. Der goldne Schein aber blieb über Athen und seiner unmittelbaren Umgebung noch geraume Zeit, und er hatte in seinem Gegensatz gegen die Beschattung ringsum und namentlich gegen das dunkle Blau des Parnes und des Pentelikon im Hintergrunde etwas so Zauberhaftes, daß ich fast glaubte, meine Augen täuschten mich, und es sei die Phantasie, welche den verehrten Ott mit der Glorie eines Heiligenscheines bestrahlte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/242>, abgerufen am 22.07.2024.