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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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des Gerichtshauses. Selten sah ich blaue Augen und blonde Haare, häufig
an Frauen die Körperfülle, welche die Töchter des modernen Hellas auszeich¬
net, in vielen Fällen aber zur Ueberfülle anschwillt. Die schwarzen Marien,
die aus Silberblech getriebenen Heiligenbilder, aus denen dunkelbraune Gesichter
und Hände hervorschauen, den Adler (von Byzanz?), der auf jeder Kanzel statt
des Betpultes vor dem Prediger steht, die ungeheuren silbernen Leuchter und
Hängelampen, die in den Kirchen vor den Altären sich befinden, hatten wir
schon auf den jonischen Inseln angetroffen; es kam mir aber vor. als ob der
näselnde Gesang der Priester hier noch orientalischer, das Bilderküssen und
Sichbekreuzen der Gemeinde noch bigotter wäre und das Ganze dieses geist¬
losen Gottesdienstes noch mehr an eine Judenschule erinnerte als dort an der
Grenze des Abendlandes.

Am nächsten Morgen sahen wir außer dem unfrigen noch drei Dampfer
des Lloyd neben uns ankern: der große Celere Pluto, nach Konstantinopel
bestimmt, lag neben der kleinen Croazia, die eben von Kandia angekommen
war. der ebenfalls kleine Mahiuudie nicht weit von uns. Der letztere zog die
Flagge auf, welche die baldige Abfahrt verkündigte. Er war das Schiff, das
uns in den Pirüus führen sollte, und wir hatten uns zu beeilen, wenn wir
nicht zurückbleiben wollten. Kaum waren wir an Bord, als die Anker gelich¬
tet wurden, und eine Stunde später waren wir bereits über die Nordspitze
von Syra hinaus und in Sicht der zahlreichen kleinen Eilande, die zwischen
hier und der Südküste von Attika und Euböa hingesäet sind. Sie bieten, in
der Nähe gesehen, sämmtlich dasselbe Bild, wie das baumlose, dürre Syra,
und mehre sind wegen Wassermangel ganz unbewohnbar.

Es war zwei Uhr, als mein Reisegefährte mich aus einen weißen Punkt
auf einem dunkelgrauen, ins Grünliche schimmernden Vorgebirge aufmerksam
machte. Das Fernrohr zeigte, daß der weiße Punkt aus Säulen bestand,
und beim Näherkommen zählten wir deren zwölf. Der Tenente (Lieutenant),
den wir nach dem Orte fragten, bezeichnete ihn als Capo Colonne. Ueber
die Säulen wußte er nichts zu sagen. Das Bergland, an dessen Fuß sie
standen, wäre die Südostecke von Livadia, die Berge weiter rechts gehörten
zu Negroponte. Ich rieth jetzt selbst weiter. Wir hatten vor uns das Vor¬
gebirge Sunion, Livadia heißt der nördliche Theil des heutigen Griechenland,
Negroponte ins Althellenische übersetzt, Euböa, und die ersten Ruinen des
Alterthums, die uns hier die Reise zeigte, waren die Neste des Tempels der
Athene Phonoia. Das Schiff fuhr hart an der Küste hin, und wir konnten
mit bloßen Augen erkennen, daß die Säulen von gelblichem Gestein (es ist
Marmor) sind, daß sie der dorischen Ordung angehören und daß sie noch ein
Stück vom Architrav tragen.

Wie gern hätte ich mich schon hier ausschiffen lassen! Von allem mensch-


Grenzboten III. 1858. 30

des Gerichtshauses. Selten sah ich blaue Augen und blonde Haare, häufig
an Frauen die Körperfülle, welche die Töchter des modernen Hellas auszeich¬
net, in vielen Fällen aber zur Ueberfülle anschwillt. Die schwarzen Marien,
die aus Silberblech getriebenen Heiligenbilder, aus denen dunkelbraune Gesichter
und Hände hervorschauen, den Adler (von Byzanz?), der auf jeder Kanzel statt
des Betpultes vor dem Prediger steht, die ungeheuren silbernen Leuchter und
Hängelampen, die in den Kirchen vor den Altären sich befinden, hatten wir
schon auf den jonischen Inseln angetroffen; es kam mir aber vor. als ob der
näselnde Gesang der Priester hier noch orientalischer, das Bilderküssen und
Sichbekreuzen der Gemeinde noch bigotter wäre und das Ganze dieses geist¬
losen Gottesdienstes noch mehr an eine Judenschule erinnerte als dort an der
Grenze des Abendlandes.

Am nächsten Morgen sahen wir außer dem unfrigen noch drei Dampfer
des Lloyd neben uns ankern: der große Celere Pluto, nach Konstantinopel
bestimmt, lag neben der kleinen Croazia, die eben von Kandia angekommen
war. der ebenfalls kleine Mahiuudie nicht weit von uns. Der letztere zog die
Flagge auf, welche die baldige Abfahrt verkündigte. Er war das Schiff, das
uns in den Pirüus führen sollte, und wir hatten uns zu beeilen, wenn wir
nicht zurückbleiben wollten. Kaum waren wir an Bord, als die Anker gelich¬
tet wurden, und eine Stunde später waren wir bereits über die Nordspitze
von Syra hinaus und in Sicht der zahlreichen kleinen Eilande, die zwischen
hier und der Südküste von Attika und Euböa hingesäet sind. Sie bieten, in
der Nähe gesehen, sämmtlich dasselbe Bild, wie das baumlose, dürre Syra,
und mehre sind wegen Wassermangel ganz unbewohnbar.

Es war zwei Uhr, als mein Reisegefährte mich aus einen weißen Punkt
auf einem dunkelgrauen, ins Grünliche schimmernden Vorgebirge aufmerksam
machte. Das Fernrohr zeigte, daß der weiße Punkt aus Säulen bestand,
und beim Näherkommen zählten wir deren zwölf. Der Tenente (Lieutenant),
den wir nach dem Orte fragten, bezeichnete ihn als Capo Colonne. Ueber
die Säulen wußte er nichts zu sagen. Das Bergland, an dessen Fuß sie
standen, wäre die Südostecke von Livadia, die Berge weiter rechts gehörten
zu Negroponte. Ich rieth jetzt selbst weiter. Wir hatten vor uns das Vor¬
gebirge Sunion, Livadia heißt der nördliche Theil des heutigen Griechenland,
Negroponte ins Althellenische übersetzt, Euböa, und die ersten Ruinen des
Alterthums, die uns hier die Reise zeigte, waren die Neste des Tempels der
Athene Phonoia. Das Schiff fuhr hart an der Küste hin, und wir konnten
mit bloßen Augen erkennen, daß die Säulen von gelblichem Gestein (es ist
Marmor) sind, daß sie der dorischen Ordung angehören und daß sie noch ein
Stück vom Architrav tragen.

Wie gern hätte ich mich schon hier ausschiffen lassen! Von allem mensch-


Grenzboten III. 1858. 30
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/241>, abgerufen am 22.07.2024.