Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Felsvorsprunge zur Rechten, unter dem man in der Ferne am Horizont die
Umrisse von Tenos. Delos und Mykonos auftauchen sieht, drehen sich, mit
schmalen Segeln sternförmig bespannt, die Flügel von Windmühlen.

Syra bestand bis zum Befreiungskrieg nur aus der Altstadt. Da die
Insel wahrend des Kampfes neutral blieb, so zogen sich allmälig viele Flücht¬
linge, und vorzüglich Kaufleute und Rheder von Kandia, Chios und andern
Inseln der Nachbarschaft hierher und bauten sich an der Stelle, wo jetzt die
Unterstadt steht, an. Dadurch wurde der Handel mehr und mehr nach dieser
Bucht gelenkt, die zwar nicht besonders vor Stürmen gesichert ist, sich aber
durch ihre Lage in der Mitte zwischen den westlichen Häfen des Mittelmeers,
Alexandrien im Süden, Smyrna im Osten und Konstantinopel im Norden
empfahl. So wuchs die Stadt zu einem Haupthandelsplatz der Levante an
und zahlte im Jahre 1856 bereits über 26.000 Einwohner. Weniger erfreu¬
lich ist der Haß, der zwischen der katholischen Altstadt und der orthodoxen Neu¬
stadt herrscht, und der das heiße Blut der Parteien bei Gelegenheit von
Gebietsstreitigkeiten bis auf die neueste Zeit wiederholt zu förmlichen Straßen¬
schlachten veranlaßte.

Wir benutzten den Umstand, daß wir hier einen vollen Tag auf den
Dampfer zu warten hatten, der uns nach dem Piräus bringen sollte, zu einem
Ausflug ans Land, bei dem der Capitän unser Führer war und der uns im
Zickzack durch die ganze Lange der Stadt führte. Dieselbe zeigt allenthalben
den Charakter einer neugegründeten und rasch fortwachsenden. Neben elegan¬
ten Häusern mit schönen Freitreppen und Balkonen, Spiegelfenstern und Stuck-
zierrathen, Luxusmöbeln und Pianoforten, die Verdische Melodien erklingen
ließen, liegen verfallne Schmuzhütten, in denen man halb über, halb unter
der Erde wohnt, neben Ruinen die Steine zu Neubauten, neben plärrten und
gut gepflasterten Straßen holperige Gäßchen, durch die man wie auf Hühner¬
steigen emporklettert. Die Hauptwache der Gensdarmerie ist eine weiß und
blau angestrichne Holzbude, der Tempel Thalias eine Breterbaracke. Dagegen
ist die eben vollendete Hauptkirche ein prächtiger Bau, und nicht weniger schön
ist das an der Hauptstraße gelegene Hospital mit seinem freundlichen, von
Arkaden umgebenen, in der Mitte mit Orangen und Granatbäumchen. Nelken
und andern Blumen bepflanzten Hofe.

War uns auf Korfu und Zarte das Griechenthum noch stark mit italienischem
Wesen gemischt entgegengetreten, so sah ich mich hier ganz in den Orient ver¬
setzt. Ueberwog dort die europäische Tracht, namentlich unter den Frauen, so
kam sie hier nur sporadisch vor. Eselreiter galopirten über die Straße,
die schlottrige Sackhose des Inselgriechen, die faltenreiche Fustanella, der Stroh¬
hut, über den eine rothe Mütze mit blauer Quaste gestülpt ist. rothe Zacken
und Gamaschen drängten sich in der Kirche, im Bazar und auf der Treppe


Felsvorsprunge zur Rechten, unter dem man in der Ferne am Horizont die
Umrisse von Tenos. Delos und Mykonos auftauchen sieht, drehen sich, mit
schmalen Segeln sternförmig bespannt, die Flügel von Windmühlen.

Syra bestand bis zum Befreiungskrieg nur aus der Altstadt. Da die
Insel wahrend des Kampfes neutral blieb, so zogen sich allmälig viele Flücht¬
linge, und vorzüglich Kaufleute und Rheder von Kandia, Chios und andern
Inseln der Nachbarschaft hierher und bauten sich an der Stelle, wo jetzt die
Unterstadt steht, an. Dadurch wurde der Handel mehr und mehr nach dieser
Bucht gelenkt, die zwar nicht besonders vor Stürmen gesichert ist, sich aber
durch ihre Lage in der Mitte zwischen den westlichen Häfen des Mittelmeers,
Alexandrien im Süden, Smyrna im Osten und Konstantinopel im Norden
empfahl. So wuchs die Stadt zu einem Haupthandelsplatz der Levante an
und zahlte im Jahre 1856 bereits über 26.000 Einwohner. Weniger erfreu¬
lich ist der Haß, der zwischen der katholischen Altstadt und der orthodoxen Neu¬
stadt herrscht, und der das heiße Blut der Parteien bei Gelegenheit von
Gebietsstreitigkeiten bis auf die neueste Zeit wiederholt zu förmlichen Straßen¬
schlachten veranlaßte.

Wir benutzten den Umstand, daß wir hier einen vollen Tag auf den
Dampfer zu warten hatten, der uns nach dem Piräus bringen sollte, zu einem
Ausflug ans Land, bei dem der Capitän unser Führer war und der uns im
Zickzack durch die ganze Lange der Stadt führte. Dieselbe zeigt allenthalben
den Charakter einer neugegründeten und rasch fortwachsenden. Neben elegan¬
ten Häusern mit schönen Freitreppen und Balkonen, Spiegelfenstern und Stuck-
zierrathen, Luxusmöbeln und Pianoforten, die Verdische Melodien erklingen
ließen, liegen verfallne Schmuzhütten, in denen man halb über, halb unter
der Erde wohnt, neben Ruinen die Steine zu Neubauten, neben plärrten und
gut gepflasterten Straßen holperige Gäßchen, durch die man wie auf Hühner¬
steigen emporklettert. Die Hauptwache der Gensdarmerie ist eine weiß und
blau angestrichne Holzbude, der Tempel Thalias eine Breterbaracke. Dagegen
ist die eben vollendete Hauptkirche ein prächtiger Bau, und nicht weniger schön
ist das an der Hauptstraße gelegene Hospital mit seinem freundlichen, von
Arkaden umgebenen, in der Mitte mit Orangen und Granatbäumchen. Nelken
und andern Blumen bepflanzten Hofe.

War uns auf Korfu und Zarte das Griechenthum noch stark mit italienischem
Wesen gemischt entgegengetreten, so sah ich mich hier ganz in den Orient ver¬
setzt. Ueberwog dort die europäische Tracht, namentlich unter den Frauen, so
kam sie hier nur sporadisch vor. Eselreiter galopirten über die Straße,
die schlottrige Sackhose des Inselgriechen, die faltenreiche Fustanella, der Stroh¬
hut, über den eine rothe Mütze mit blauer Quaste gestülpt ist. rothe Zacken
und Gamaschen drängten sich in der Kirche, im Bazar und auf der Treppe


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106051"/>
            <p xml:id="ID_695" prev="#ID_694"> Felsvorsprunge zur Rechten, unter dem man in der Ferne am Horizont die<lb/>
Umrisse von Tenos. Delos und Mykonos auftauchen sieht, drehen sich, mit<lb/>
schmalen Segeln sternförmig bespannt, die Flügel von Windmühlen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_696"> Syra bestand bis zum Befreiungskrieg nur aus der Altstadt. Da die<lb/>
Insel wahrend des Kampfes neutral blieb, so zogen sich allmälig viele Flücht¬<lb/>
linge, und vorzüglich Kaufleute und Rheder von Kandia, Chios und andern<lb/>
Inseln der Nachbarschaft hierher und bauten sich an der Stelle, wo jetzt die<lb/>
Unterstadt steht, an. Dadurch wurde der Handel mehr und mehr nach dieser<lb/>
Bucht gelenkt, die zwar nicht besonders vor Stürmen gesichert ist, sich aber<lb/>
durch ihre Lage in der Mitte zwischen den westlichen Häfen des Mittelmeers,<lb/>
Alexandrien im Süden, Smyrna im Osten und Konstantinopel im Norden<lb/>
empfahl. So wuchs die Stadt zu einem Haupthandelsplatz der Levante an<lb/>
und zahlte im Jahre 1856 bereits über 26.000 Einwohner. Weniger erfreu¬<lb/>
lich ist der Haß, der zwischen der katholischen Altstadt und der orthodoxen Neu¬<lb/>
stadt herrscht, und der das heiße Blut der Parteien bei Gelegenheit von<lb/>
Gebietsstreitigkeiten bis auf die neueste Zeit wiederholt zu förmlichen Straßen¬<lb/>
schlachten veranlaßte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_697"> Wir benutzten den Umstand, daß wir hier einen vollen Tag auf den<lb/>
Dampfer zu warten hatten, der uns nach dem Piräus bringen sollte, zu einem<lb/>
Ausflug ans Land, bei dem der Capitän unser Führer war und der uns im<lb/>
Zickzack durch die ganze Lange der Stadt führte. Dieselbe zeigt allenthalben<lb/>
den Charakter einer neugegründeten und rasch fortwachsenden. Neben elegan¬<lb/>
ten Häusern mit schönen Freitreppen und Balkonen, Spiegelfenstern und Stuck-<lb/>
zierrathen, Luxusmöbeln und Pianoforten, die Verdische Melodien erklingen<lb/>
ließen, liegen verfallne Schmuzhütten, in denen man halb über, halb unter<lb/>
der Erde wohnt, neben Ruinen die Steine zu Neubauten, neben plärrten und<lb/>
gut gepflasterten Straßen holperige Gäßchen, durch die man wie auf Hühner¬<lb/>
steigen emporklettert. Die Hauptwache der Gensdarmerie ist eine weiß und<lb/>
blau angestrichne Holzbude, der Tempel Thalias eine Breterbaracke. Dagegen<lb/>
ist die eben vollendete Hauptkirche ein prächtiger Bau, und nicht weniger schön<lb/>
ist das an der Hauptstraße gelegene Hospital mit seinem freundlichen, von<lb/>
Arkaden umgebenen, in der Mitte mit Orangen und Granatbäumchen. Nelken<lb/>
und andern Blumen bepflanzten Hofe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_698" next="#ID_699"> War uns auf Korfu und Zarte das Griechenthum noch stark mit italienischem<lb/>
Wesen gemischt entgegengetreten, so sah ich mich hier ganz in den Orient ver¬<lb/>
setzt. Ueberwog dort die europäische Tracht, namentlich unter den Frauen, so<lb/>
kam sie hier nur sporadisch vor. Eselreiter galopirten über die Straße,<lb/>
die schlottrige Sackhose des Inselgriechen, die faltenreiche Fustanella, der Stroh¬<lb/>
hut, über den eine rothe Mütze mit blauer Quaste gestülpt ist. rothe Zacken<lb/>
und Gamaschen drängten sich in der Kirche, im Bazar und auf der Treppe</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0240] Felsvorsprunge zur Rechten, unter dem man in der Ferne am Horizont die Umrisse von Tenos. Delos und Mykonos auftauchen sieht, drehen sich, mit schmalen Segeln sternförmig bespannt, die Flügel von Windmühlen. Syra bestand bis zum Befreiungskrieg nur aus der Altstadt. Da die Insel wahrend des Kampfes neutral blieb, so zogen sich allmälig viele Flücht¬ linge, und vorzüglich Kaufleute und Rheder von Kandia, Chios und andern Inseln der Nachbarschaft hierher und bauten sich an der Stelle, wo jetzt die Unterstadt steht, an. Dadurch wurde der Handel mehr und mehr nach dieser Bucht gelenkt, die zwar nicht besonders vor Stürmen gesichert ist, sich aber durch ihre Lage in der Mitte zwischen den westlichen Häfen des Mittelmeers, Alexandrien im Süden, Smyrna im Osten und Konstantinopel im Norden empfahl. So wuchs die Stadt zu einem Haupthandelsplatz der Levante an und zahlte im Jahre 1856 bereits über 26.000 Einwohner. Weniger erfreu¬ lich ist der Haß, der zwischen der katholischen Altstadt und der orthodoxen Neu¬ stadt herrscht, und der das heiße Blut der Parteien bei Gelegenheit von Gebietsstreitigkeiten bis auf die neueste Zeit wiederholt zu förmlichen Straßen¬ schlachten veranlaßte. Wir benutzten den Umstand, daß wir hier einen vollen Tag auf den Dampfer zu warten hatten, der uns nach dem Piräus bringen sollte, zu einem Ausflug ans Land, bei dem der Capitän unser Führer war und der uns im Zickzack durch die ganze Lange der Stadt führte. Dieselbe zeigt allenthalben den Charakter einer neugegründeten und rasch fortwachsenden. Neben elegan¬ ten Häusern mit schönen Freitreppen und Balkonen, Spiegelfenstern und Stuck- zierrathen, Luxusmöbeln und Pianoforten, die Verdische Melodien erklingen ließen, liegen verfallne Schmuzhütten, in denen man halb über, halb unter der Erde wohnt, neben Ruinen die Steine zu Neubauten, neben plärrten und gut gepflasterten Straßen holperige Gäßchen, durch die man wie auf Hühner¬ steigen emporklettert. Die Hauptwache der Gensdarmerie ist eine weiß und blau angestrichne Holzbude, der Tempel Thalias eine Breterbaracke. Dagegen ist die eben vollendete Hauptkirche ein prächtiger Bau, und nicht weniger schön ist das an der Hauptstraße gelegene Hospital mit seinem freundlichen, von Arkaden umgebenen, in der Mitte mit Orangen und Granatbäumchen. Nelken und andern Blumen bepflanzten Hofe. War uns auf Korfu und Zarte das Griechenthum noch stark mit italienischem Wesen gemischt entgegengetreten, so sah ich mich hier ganz in den Orient ver¬ setzt. Ueberwog dort die europäische Tracht, namentlich unter den Frauen, so kam sie hier nur sporadisch vor. Eselreiter galopirten über die Straße, die schlottrige Sackhose des Inselgriechen, die faltenreiche Fustanella, der Stroh¬ hut, über den eine rothe Mütze mit blauer Quaste gestülpt ist. rothe Zacken und Gamaschen drängten sich in der Kirche, im Bazar und auf der Treppe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/240
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/240>, abgerufen am 22.07.2024.