Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in die Rhede von Cerigo hinein, über der auf baumlosen kegelförmigen Fel¬
sen die kleine weiß und gelbe Festung und daneben der Hauptort des Ei¬
landes liegt.

Von hier nahmen wir-den Cours nach Nordorst. Wir befanden uns jetzt
in einer Gegend des Meeres, die noch vor kurzem ein Hauptschauplatz der
Thaten griechischer Piraten war, und der Capitän erzählte mancherlei haar¬
sträubende Geschichten, die hier sich begeben hatten, von elend abgeschlachteten
Matrosen, von Capitänen, die man. damit sie ihre Baarschcift auslieferten,
bei gelindem Feuer geröstet hatte, von allerlei Bestialitäten gegen Frauen u. s. w.
Einmal hatte ihm selbst das Messer an der Kehle gestanden. Es war mit
der Brig Odore (Duft), geführt von Capitän Garofalo (Nelke), dessen Frau
Rosa und dessen Tochter Hortensia hießen. Dieses harmlos dahinschwimmende
Blumenbeet war plötzlich von vier schnellsegelnden Barken, bemannt mit ivo
bis 120 grimmigen, bis an die Zähne bewaffneten Räubern angegriffen wor¬
den. Man hatte sich ohne die mindeste Hoffnung auf Sieg zur Vertheidigung
bereit gemacht, Frau Nelke und Fräulein Hortensia hatten sich an der Ver¬
schanzung zurecht gesetzt, um beim Erscheinen der Korsaren auf dem Deck durch
einen herzhaften Sprung über Bord der Schande zu entfliehen, da hatte der
Himmel noch in der elften Stunde ein Einsehen gethan und einen schönen
Wind geschickt, der die geängstigte Brig entkommen, oder, wie hier zu sagen
erlaubt ist, verduften ließ. Wir freuten uns der Rettung, die uns einen bra¬
ven Capitän erhalten hatte, wünschten uns Glück zu der friedlichen Zeit,
welche uns an diesen Schlupfhäfen des Seeraubes so ruhig zu Bett gehen ließ,
als ob wir daheim wären, und segneten mit dem Erzähler das Andenken
des guten Admirals Pcmluzzi, der durch fleißiges Hunger hier Ordnung
gestiftet hatte.

Gegen Morgen weckte mich das Herabrasseln der Ankerkette, und als ich
den Kopf nach meinem Observationsfensterchen wandte, sah ich etwa einen
Büchsenschuß entfernt vom Schiffe unter einem kahlen grauen Bergkämme ein
großes einsames Gebäude liegen. Es war das Lazarett) von Syra. Auf
das Deck steigend, erblickte ich am andern Ufer der Bucht, in der wir uns
befanden, die Stadt selbst vor mir. Hinter zahlreichen Masten -- es ankerten
im Hafen gegen hundert größere und kleinere Fahrzeuge -- erhebt sich in der
Gestalt eines Amphitheaters mit weißen und gelben Mauern und größtentheils
Platten Dächern die Unterstadt. Darüber ragt auf der Spitze eines baumlosen
Kegelbergs, um eine große Kirche sich gruppirend. mit ähnlichen Farben die
Altstadt. Die Umgebung der Bai ist durchaus öde. Vergebens sucht das
Auge auf den, Rande des Kessels nach Gärten und Feldern, und nur nach
langem Umschauen gewahrt man im Hintergründe ein Stückchen Grün mit
einigen Bäumen. Ueber und neben der untern Stadt, namentlich auf dem


in die Rhede von Cerigo hinein, über der auf baumlosen kegelförmigen Fel¬
sen die kleine weiß und gelbe Festung und daneben der Hauptort des Ei¬
landes liegt.

Von hier nahmen wir-den Cours nach Nordorst. Wir befanden uns jetzt
in einer Gegend des Meeres, die noch vor kurzem ein Hauptschauplatz der
Thaten griechischer Piraten war, und der Capitän erzählte mancherlei haar¬
sträubende Geschichten, die hier sich begeben hatten, von elend abgeschlachteten
Matrosen, von Capitänen, die man. damit sie ihre Baarschcift auslieferten,
bei gelindem Feuer geröstet hatte, von allerlei Bestialitäten gegen Frauen u. s. w.
Einmal hatte ihm selbst das Messer an der Kehle gestanden. Es war mit
der Brig Odore (Duft), geführt von Capitän Garofalo (Nelke), dessen Frau
Rosa und dessen Tochter Hortensia hießen. Dieses harmlos dahinschwimmende
Blumenbeet war plötzlich von vier schnellsegelnden Barken, bemannt mit ivo
bis 120 grimmigen, bis an die Zähne bewaffneten Räubern angegriffen wor¬
den. Man hatte sich ohne die mindeste Hoffnung auf Sieg zur Vertheidigung
bereit gemacht, Frau Nelke und Fräulein Hortensia hatten sich an der Ver¬
schanzung zurecht gesetzt, um beim Erscheinen der Korsaren auf dem Deck durch
einen herzhaften Sprung über Bord der Schande zu entfliehen, da hatte der
Himmel noch in der elften Stunde ein Einsehen gethan und einen schönen
Wind geschickt, der die geängstigte Brig entkommen, oder, wie hier zu sagen
erlaubt ist, verduften ließ. Wir freuten uns der Rettung, die uns einen bra¬
ven Capitän erhalten hatte, wünschten uns Glück zu der friedlichen Zeit,
welche uns an diesen Schlupfhäfen des Seeraubes so ruhig zu Bett gehen ließ,
als ob wir daheim wären, und segneten mit dem Erzähler das Andenken
des guten Admirals Pcmluzzi, der durch fleißiges Hunger hier Ordnung
gestiftet hatte.

Gegen Morgen weckte mich das Herabrasseln der Ankerkette, und als ich
den Kopf nach meinem Observationsfensterchen wandte, sah ich etwa einen
Büchsenschuß entfernt vom Schiffe unter einem kahlen grauen Bergkämme ein
großes einsames Gebäude liegen. Es war das Lazarett) von Syra. Auf
das Deck steigend, erblickte ich am andern Ufer der Bucht, in der wir uns
befanden, die Stadt selbst vor mir. Hinter zahlreichen Masten — es ankerten
im Hafen gegen hundert größere und kleinere Fahrzeuge — erhebt sich in der
Gestalt eines Amphitheaters mit weißen und gelben Mauern und größtentheils
Platten Dächern die Unterstadt. Darüber ragt auf der Spitze eines baumlosen
Kegelbergs, um eine große Kirche sich gruppirend. mit ähnlichen Farben die
Altstadt. Die Umgebung der Bai ist durchaus öde. Vergebens sucht das
Auge auf den, Rande des Kessels nach Gärten und Feldern, und nur nach
langem Umschauen gewahrt man im Hintergründe ein Stückchen Grün mit
einigen Bäumen. Ueber und neben der untern Stadt, namentlich auf dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106050"/>
            <p xml:id="ID_692" prev="#ID_691"> in die Rhede von Cerigo hinein, über der auf baumlosen kegelförmigen Fel¬<lb/>
sen die kleine weiß und gelbe Festung und daneben der Hauptort des Ei¬<lb/>
landes liegt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_693"> Von hier nahmen wir-den Cours nach Nordorst. Wir befanden uns jetzt<lb/>
in einer Gegend des Meeres, die noch vor kurzem ein Hauptschauplatz der<lb/>
Thaten griechischer Piraten war, und der Capitän erzählte mancherlei haar¬<lb/>
sträubende Geschichten, die hier sich begeben hatten, von elend abgeschlachteten<lb/>
Matrosen, von Capitänen, die man. damit sie ihre Baarschcift auslieferten,<lb/>
bei gelindem Feuer geröstet hatte, von allerlei Bestialitäten gegen Frauen u. s. w.<lb/>
Einmal hatte ihm selbst das Messer an der Kehle gestanden. Es war mit<lb/>
der Brig Odore (Duft), geführt von Capitän Garofalo (Nelke), dessen Frau<lb/>
Rosa und dessen Tochter Hortensia hießen. Dieses harmlos dahinschwimmende<lb/>
Blumenbeet war plötzlich von vier schnellsegelnden Barken, bemannt mit ivo<lb/>
bis 120 grimmigen, bis an die Zähne bewaffneten Räubern angegriffen wor¬<lb/>
den. Man hatte sich ohne die mindeste Hoffnung auf Sieg zur Vertheidigung<lb/>
bereit gemacht, Frau Nelke und Fräulein Hortensia hatten sich an der Ver¬<lb/>
schanzung zurecht gesetzt, um beim Erscheinen der Korsaren auf dem Deck durch<lb/>
einen herzhaften Sprung über Bord der Schande zu entfliehen, da hatte der<lb/>
Himmel noch in der elften Stunde ein Einsehen gethan und einen schönen<lb/>
Wind geschickt, der die geängstigte Brig entkommen, oder, wie hier zu sagen<lb/>
erlaubt ist, verduften ließ. Wir freuten uns der Rettung, die uns einen bra¬<lb/>
ven Capitän erhalten hatte, wünschten uns Glück zu der friedlichen Zeit,<lb/>
welche uns an diesen Schlupfhäfen des Seeraubes so ruhig zu Bett gehen ließ,<lb/>
als ob wir daheim wären, und segneten mit dem Erzähler das Andenken<lb/>
des guten Admirals Pcmluzzi, der durch fleißiges Hunger hier Ordnung<lb/>
gestiftet hatte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_694" next="#ID_695"> Gegen Morgen weckte mich das Herabrasseln der Ankerkette, und als ich<lb/>
den Kopf nach meinem Observationsfensterchen wandte, sah ich etwa einen<lb/>
Büchsenschuß entfernt vom Schiffe unter einem kahlen grauen Bergkämme ein<lb/>
großes einsames Gebäude liegen. Es war das Lazarett) von Syra. Auf<lb/>
das Deck steigend, erblickte ich am andern Ufer der Bucht, in der wir uns<lb/>
befanden, die Stadt selbst vor mir. Hinter zahlreichen Masten &#x2014; es ankerten<lb/>
im Hafen gegen hundert größere und kleinere Fahrzeuge &#x2014; erhebt sich in der<lb/>
Gestalt eines Amphitheaters mit weißen und gelben Mauern und größtentheils<lb/>
Platten Dächern die Unterstadt. Darüber ragt auf der Spitze eines baumlosen<lb/>
Kegelbergs, um eine große Kirche sich gruppirend. mit ähnlichen Farben die<lb/>
Altstadt. Die Umgebung der Bai ist durchaus öde. Vergebens sucht das<lb/>
Auge auf den, Rande des Kessels nach Gärten und Feldern, und nur nach<lb/>
langem Umschauen gewahrt man im Hintergründe ein Stückchen Grün mit<lb/>
einigen Bäumen.  Ueber und neben der untern Stadt, namentlich auf dem</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0239] in die Rhede von Cerigo hinein, über der auf baumlosen kegelförmigen Fel¬ sen die kleine weiß und gelbe Festung und daneben der Hauptort des Ei¬ landes liegt. Von hier nahmen wir-den Cours nach Nordorst. Wir befanden uns jetzt in einer Gegend des Meeres, die noch vor kurzem ein Hauptschauplatz der Thaten griechischer Piraten war, und der Capitän erzählte mancherlei haar¬ sträubende Geschichten, die hier sich begeben hatten, von elend abgeschlachteten Matrosen, von Capitänen, die man. damit sie ihre Baarschcift auslieferten, bei gelindem Feuer geröstet hatte, von allerlei Bestialitäten gegen Frauen u. s. w. Einmal hatte ihm selbst das Messer an der Kehle gestanden. Es war mit der Brig Odore (Duft), geführt von Capitän Garofalo (Nelke), dessen Frau Rosa und dessen Tochter Hortensia hießen. Dieses harmlos dahinschwimmende Blumenbeet war plötzlich von vier schnellsegelnden Barken, bemannt mit ivo bis 120 grimmigen, bis an die Zähne bewaffneten Räubern angegriffen wor¬ den. Man hatte sich ohne die mindeste Hoffnung auf Sieg zur Vertheidigung bereit gemacht, Frau Nelke und Fräulein Hortensia hatten sich an der Ver¬ schanzung zurecht gesetzt, um beim Erscheinen der Korsaren auf dem Deck durch einen herzhaften Sprung über Bord der Schande zu entfliehen, da hatte der Himmel noch in der elften Stunde ein Einsehen gethan und einen schönen Wind geschickt, der die geängstigte Brig entkommen, oder, wie hier zu sagen erlaubt ist, verduften ließ. Wir freuten uns der Rettung, die uns einen bra¬ ven Capitän erhalten hatte, wünschten uns Glück zu der friedlichen Zeit, welche uns an diesen Schlupfhäfen des Seeraubes so ruhig zu Bett gehen ließ, als ob wir daheim wären, und segneten mit dem Erzähler das Andenken des guten Admirals Pcmluzzi, der durch fleißiges Hunger hier Ordnung gestiftet hatte. Gegen Morgen weckte mich das Herabrasseln der Ankerkette, und als ich den Kopf nach meinem Observationsfensterchen wandte, sah ich etwa einen Büchsenschuß entfernt vom Schiffe unter einem kahlen grauen Bergkämme ein großes einsames Gebäude liegen. Es war das Lazarett) von Syra. Auf das Deck steigend, erblickte ich am andern Ufer der Bucht, in der wir uns befanden, die Stadt selbst vor mir. Hinter zahlreichen Masten — es ankerten im Hafen gegen hundert größere und kleinere Fahrzeuge — erhebt sich in der Gestalt eines Amphitheaters mit weißen und gelben Mauern und größtentheils Platten Dächern die Unterstadt. Darüber ragt auf der Spitze eines baumlosen Kegelbergs, um eine große Kirche sich gruppirend. mit ähnlichen Farben die Altstadt. Die Umgebung der Bai ist durchaus öde. Vergebens sucht das Auge auf den, Rande des Kessels nach Gärten und Feldern, und nur nach langem Umschauen gewahrt man im Hintergründe ein Stückchen Grün mit einigen Bäumen. Ueber und neben der untern Stadt, namentlich auf dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/239
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/239>, abgerufen am 22.07.2024.