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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Oestreich, um eine selbstständige Antragstellung von Seite Baierns vorläufig
zu hindern, protestirte die östreichische Presse gegen solche Unterstellung. Man
brauche, um die berliner Auslassungen auf ihr rechtes Maß zurückzuführen --
sagte sie -- blos an die durch ihre antiöstrcichische Gesinnung bekannte Per¬
sönlichkeit des Gesandten, so wie daran zu erinnern, daß Oestreich es sei,
welches die Reform des Bundes am entschiedensten befürworte, daß Oestreich
speciell die materiellen Verbesserungen und deren Einigung täglich und energisch
fördere, daß endlich Baiern, wenn irgendwo, am wenigsten in der Bundes¬
frage je von der Seite des Erzstaatcs sich entfernt habe."

So schloß das Jahr 1855 nicht nur mit der entschiedensten Abneigung
der hauptsächlichsten Stimmführer am Bunde auf dessen politische Reformirung.
sondern auch unter offenbarer Mitstimmung Preußens gegen die Förderung
einzelner jener materiellen Interessen, mit denen die v. d. Pfordtensche National-
politik die national-politischen Anliegen Deutschlands zu beschwichtigen oder
zu beseitigen vorschlug. Desto unverhüllter und klaffender war dagegen der
schneidende Dualismus beider Großmächte auch wieder bei dieser Angelegen¬
heit zu Tage getreten. Es war vorauszusehen, daß der erste Act dieses nieder¬
drückenden Schauspiels auch noch mit einer mehr "correcten" Formulirung der
bairischen Intentionen enden werde, wenn sie überhaupt zu Bundcsanträgen
werden sollten.

So geschah es. Bon den fünf Punkten, welche Baiern ursprünglich aus
sein Programm gestellt hatte, erschienen in der Antragstellung, welche am
2l. Febr. 1856 erfolgte, blos noch drei. Zunächst der auf Vereinbarung
eines Bundesgesetzes über Heimath und Ansüssigmachung innerhalb des ge¬
stimmten Bundesgebietes; sodann derjenige auf Organisation der Auswanderung,
zuletzt der auf Herbeiführung einer deutschen Handclsgesetzgebung. Erst ein
volles Jahr später (4. Febr. 1857) folgte noch der Vorschlag auf Vereinbarung
einer allgemeinen Gesetzgebung in Betreff des Gerichtsstandes und der Voll-
ziehbarkeit rechtskräftiger Urtheile. Während aber diese Anträge den bereits
bestehenden oder besondern Ausschüssen zur weiteren Behandlung überwiesen
waren, blieb die Frage der Einheit in Münze, Maß und Gewicht den Scparat-
abkommen anheimgestellt, welche allerdings schon verschiedentlich angebahnt
waren und verhältnißmäßig, wie bekannt, die weitesten praktischen Resultate
förderten. Die Frage des Heimathsrechts und die der Ansüssigmachung wur-


Staaten zu machen. Wie weit diese Mittheilungen auf Thatsachen gegründet waren, ist uns
nicht bekannt. Doch glauben wir uns nicht zu irren, wenn wir annehmen, daß wenigstens
der gegenwärtige Zeitpunkt hierorts für solche Verhandlungen nicht als geeignet betrachtet
wird. Diesseits dürste man muthmaßlich erst in Erfahrung bringen wollen, welche Rück¬
wirkung das wichtige PassagicrtranSportgesciz der Vereinigten Staaten vom 3. Mai d. Is.
auf das Auswanderungswcsen üben werde."

Oestreich, um eine selbstständige Antragstellung von Seite Baierns vorläufig
zu hindern, protestirte die östreichische Presse gegen solche Unterstellung. Man
brauche, um die berliner Auslassungen auf ihr rechtes Maß zurückzuführen —
sagte sie — blos an die durch ihre antiöstrcichische Gesinnung bekannte Per¬
sönlichkeit des Gesandten, so wie daran zu erinnern, daß Oestreich es sei,
welches die Reform des Bundes am entschiedensten befürworte, daß Oestreich
speciell die materiellen Verbesserungen und deren Einigung täglich und energisch
fördere, daß endlich Baiern, wenn irgendwo, am wenigsten in der Bundes¬
frage je von der Seite des Erzstaatcs sich entfernt habe."

So schloß das Jahr 1855 nicht nur mit der entschiedensten Abneigung
der hauptsächlichsten Stimmführer am Bunde auf dessen politische Reformirung.
sondern auch unter offenbarer Mitstimmung Preußens gegen die Förderung
einzelner jener materiellen Interessen, mit denen die v. d. Pfordtensche National-
politik die national-politischen Anliegen Deutschlands zu beschwichtigen oder
zu beseitigen vorschlug. Desto unverhüllter und klaffender war dagegen der
schneidende Dualismus beider Großmächte auch wieder bei dieser Angelegen¬
heit zu Tage getreten. Es war vorauszusehen, daß der erste Act dieses nieder¬
drückenden Schauspiels auch noch mit einer mehr „correcten" Formulirung der
bairischen Intentionen enden werde, wenn sie überhaupt zu Bundcsanträgen
werden sollten.

So geschah es. Bon den fünf Punkten, welche Baiern ursprünglich aus
sein Programm gestellt hatte, erschienen in der Antragstellung, welche am
2l. Febr. 1856 erfolgte, blos noch drei. Zunächst der auf Vereinbarung
eines Bundesgesetzes über Heimath und Ansüssigmachung innerhalb des ge¬
stimmten Bundesgebietes; sodann derjenige auf Organisation der Auswanderung,
zuletzt der auf Herbeiführung einer deutschen Handclsgesetzgebung. Erst ein
volles Jahr später (4. Febr. 1857) folgte noch der Vorschlag auf Vereinbarung
einer allgemeinen Gesetzgebung in Betreff des Gerichtsstandes und der Voll-
ziehbarkeit rechtskräftiger Urtheile. Während aber diese Anträge den bereits
bestehenden oder besondern Ausschüssen zur weiteren Behandlung überwiesen
waren, blieb die Frage der Einheit in Münze, Maß und Gewicht den Scparat-
abkommen anheimgestellt, welche allerdings schon verschiedentlich angebahnt
waren und verhältnißmäßig, wie bekannt, die weitesten praktischen Resultate
förderten. Die Frage des Heimathsrechts und die der Ansüssigmachung wur-


Staaten zu machen. Wie weit diese Mittheilungen auf Thatsachen gegründet waren, ist uns
nicht bekannt. Doch glauben wir uns nicht zu irren, wenn wir annehmen, daß wenigstens
der gegenwärtige Zeitpunkt hierorts für solche Verhandlungen nicht als geeignet betrachtet
wird. Diesseits dürste man muthmaßlich erst in Erfahrung bringen wollen, welche Rück¬
wirkung das wichtige PassagicrtranSportgesciz der Vereinigten Staaten vom 3. Mai d. Is.
auf das Auswanderungswcsen üben werde."
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[0214] Oestreich, um eine selbstständige Antragstellung von Seite Baierns vorläufig zu hindern, protestirte die östreichische Presse gegen solche Unterstellung. Man brauche, um die berliner Auslassungen auf ihr rechtes Maß zurückzuführen — sagte sie — blos an die durch ihre antiöstrcichische Gesinnung bekannte Per¬ sönlichkeit des Gesandten, so wie daran zu erinnern, daß Oestreich es sei, welches die Reform des Bundes am entschiedensten befürworte, daß Oestreich speciell die materiellen Verbesserungen und deren Einigung täglich und energisch fördere, daß endlich Baiern, wenn irgendwo, am wenigsten in der Bundes¬ frage je von der Seite des Erzstaatcs sich entfernt habe." So schloß das Jahr 1855 nicht nur mit der entschiedensten Abneigung der hauptsächlichsten Stimmführer am Bunde auf dessen politische Reformirung. sondern auch unter offenbarer Mitstimmung Preußens gegen die Förderung einzelner jener materiellen Interessen, mit denen die v. d. Pfordtensche National- politik die national-politischen Anliegen Deutschlands zu beschwichtigen oder zu beseitigen vorschlug. Desto unverhüllter und klaffender war dagegen der schneidende Dualismus beider Großmächte auch wieder bei dieser Angelegen¬ heit zu Tage getreten. Es war vorauszusehen, daß der erste Act dieses nieder¬ drückenden Schauspiels auch noch mit einer mehr „correcten" Formulirung der bairischen Intentionen enden werde, wenn sie überhaupt zu Bundcsanträgen werden sollten. So geschah es. Bon den fünf Punkten, welche Baiern ursprünglich aus sein Programm gestellt hatte, erschienen in der Antragstellung, welche am 2l. Febr. 1856 erfolgte, blos noch drei. Zunächst der auf Vereinbarung eines Bundesgesetzes über Heimath und Ansüssigmachung innerhalb des ge¬ stimmten Bundesgebietes; sodann derjenige auf Organisation der Auswanderung, zuletzt der auf Herbeiführung einer deutschen Handclsgesetzgebung. Erst ein volles Jahr später (4. Febr. 1857) folgte noch der Vorschlag auf Vereinbarung einer allgemeinen Gesetzgebung in Betreff des Gerichtsstandes und der Voll- ziehbarkeit rechtskräftiger Urtheile. Während aber diese Anträge den bereits bestehenden oder besondern Ausschüssen zur weiteren Behandlung überwiesen waren, blieb die Frage der Einheit in Münze, Maß und Gewicht den Scparat- abkommen anheimgestellt, welche allerdings schon verschiedentlich angebahnt waren und verhältnißmäßig, wie bekannt, die weitesten praktischen Resultate förderten. Die Frage des Heimathsrechts und die der Ansüssigmachung wur- Staaten zu machen. Wie weit diese Mittheilungen auf Thatsachen gegründet waren, ist uns nicht bekannt. Doch glauben wir uns nicht zu irren, wenn wir annehmen, daß wenigstens der gegenwärtige Zeitpunkt hierorts für solche Verhandlungen nicht als geeignet betrachtet wird. Diesseits dürste man muthmaßlich erst in Erfahrung bringen wollen, welche Rück¬ wirkung das wichtige PassagicrtranSportgesciz der Vereinigten Staaten vom 3. Mai d. Is. auf das Auswanderungswcsen üben werde."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/214>, abgerufen am 22.07.2024.