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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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ihre Zustimmung geben könne. Dagegegen betrachte man die Bundesreform-
frage als eine "offene", und es werde am besten sein, wenn die übrigen
Bundesstaaten sich mit ihrer Politik der östreichischen Regierung anschlössen.
Diese Antwort sei dem bairischen, preußischen und einigen andern Cabineten mit¬
getheilt worden, ohne eine Nückäußerung zu veranlassen. Dennoch habe
Preußen davon Gelegenheit genommen, sich zunächst damit einverstanden zu
erklärend daß eine Bundesreform in parlamentarischem Sinne unstatthaft sei;
die Kräftigung des deutschen Bundes "könne auch auf anderem und wirk¬
sameren Wege erreicht werden, als durch ein Aufgeben der Selbständigkeit
der übrigen deutschen Staaten und eine vollständige Unterordnung ihrer Poli¬
tik unter die einer einzigen Regierung." -- Natürlich fehlten auf solche halb-
ofsicielle Darlegungen die Repliken der östreichischen Presse nicht. Sie moti-
virten Bcnerns Anfrage einfacher, sie leugneten die Schroffheit des Abweiscs
einer Bundesreform nach parlamentarischen Principien, sie ergänzten die Be¬
zeichnung der Bundcsreformfrage als einer offenen durch die Erklärung des
wiener Cabinets: es erblicke "in zeitgemäßen Verbesserungen" der Bundes¬
verfassung das "einzige Mittel", um den sehnlicher und berechtigten
Wunsch der Nation nach Befestigung "des öffentlichen Rechtszustandes" und
nach gesicherter Entwicklung aller "gemeinsamen Volksinteressen" zufrieden zu
stelle". Daß aber Oestreich seine Politik den andern Bundesstaaten als ma߬
gebend anempfohlen habe, ward vollkommen in Abrede gestellt.

Die Hoffnungen der Nation konnten freilich durch den Anblick dieser kunst¬
gerechten Turniere, welche doch den Kernpunkt so vorsichtig unberührt ließen, keines¬
wegs gehoben werden. Der einzige Vortheil, wenn man es so nennen will,
war die dadurch hergestellte Gewißheit, daß die in der Presse ventilirte Re¬
form der Bundesverfassung auch geschäftlich auf die Tagesordnung gestellt sei.
So war es auch wirklich, nur in ganz anderer Weise, als es bis da den
Anschein gehabt hatte. Nachdem nämlich jene halb eingestandene Erklärung
von Oestreich ergangen und die unwidersprochne Zustimmung Preußens
wahrscheinlich ganz in der verlauteten Weise erfolgt war, hatte Baiern
nicht in der Bundesversammlung, sondern bei den deutschen Großmächten
vorsragend, den Plan zu Anträgen für "gewisse gemeinsame Maßregeln"
entworfen. Diese legte es in einem Rundschreiben (v. lo. Dec. 1855) den
übrigen Bundesstaaten vor.

An die Spitze dieser bairischen "Ansichten über das deutsche Gemein¬
wesen" war der Verzicht auf eine Bundesreform gestellt, da "auch ohne
die Gewährung einer politischen Reform des Bundes die in Deutschland lauter
werdende Unzufriedenheit zu beseitigen sei." Dieses Ziel könne, wie weiter
ausgeführt wurde, durch Aequivalente auf dem Gebiete des materiellen Lebens
erreicht werden. Man müsse die "berechtigten" Wünsche nach "gewissen" gemein-


ihre Zustimmung geben könne. Dagegegen betrachte man die Bundesreform-
frage als eine „offene", und es werde am besten sein, wenn die übrigen
Bundesstaaten sich mit ihrer Politik der östreichischen Regierung anschlössen.
Diese Antwort sei dem bairischen, preußischen und einigen andern Cabineten mit¬
getheilt worden, ohne eine Nückäußerung zu veranlassen. Dennoch habe
Preußen davon Gelegenheit genommen, sich zunächst damit einverstanden zu
erklärend daß eine Bundesreform in parlamentarischem Sinne unstatthaft sei;
die Kräftigung des deutschen Bundes „könne auch auf anderem und wirk¬
sameren Wege erreicht werden, als durch ein Aufgeben der Selbständigkeit
der übrigen deutschen Staaten und eine vollständige Unterordnung ihrer Poli¬
tik unter die einer einzigen Regierung." — Natürlich fehlten auf solche halb-
ofsicielle Darlegungen die Repliken der östreichischen Presse nicht. Sie moti-
virten Bcnerns Anfrage einfacher, sie leugneten die Schroffheit des Abweiscs
einer Bundesreform nach parlamentarischen Principien, sie ergänzten die Be¬
zeichnung der Bundcsreformfrage als einer offenen durch die Erklärung des
wiener Cabinets: es erblicke „in zeitgemäßen Verbesserungen" der Bundes¬
verfassung das „einzige Mittel", um den sehnlicher und berechtigten
Wunsch der Nation nach Befestigung „des öffentlichen Rechtszustandes" und
nach gesicherter Entwicklung aller „gemeinsamen Volksinteressen" zufrieden zu
stelle». Daß aber Oestreich seine Politik den andern Bundesstaaten als ma߬
gebend anempfohlen habe, ward vollkommen in Abrede gestellt.

Die Hoffnungen der Nation konnten freilich durch den Anblick dieser kunst¬
gerechten Turniere, welche doch den Kernpunkt so vorsichtig unberührt ließen, keines¬
wegs gehoben werden. Der einzige Vortheil, wenn man es so nennen will,
war die dadurch hergestellte Gewißheit, daß die in der Presse ventilirte Re¬
form der Bundesverfassung auch geschäftlich auf die Tagesordnung gestellt sei.
So war es auch wirklich, nur in ganz anderer Weise, als es bis da den
Anschein gehabt hatte. Nachdem nämlich jene halb eingestandene Erklärung
von Oestreich ergangen und die unwidersprochne Zustimmung Preußens
wahrscheinlich ganz in der verlauteten Weise erfolgt war, hatte Baiern
nicht in der Bundesversammlung, sondern bei den deutschen Großmächten
vorsragend, den Plan zu Anträgen für „gewisse gemeinsame Maßregeln"
entworfen. Diese legte es in einem Rundschreiben (v. lo. Dec. 1855) den
übrigen Bundesstaaten vor.

An die Spitze dieser bairischen „Ansichten über das deutsche Gemein¬
wesen" war der Verzicht auf eine Bundesreform gestellt, da „auch ohne
die Gewährung einer politischen Reform des Bundes die in Deutschland lauter
werdende Unzufriedenheit zu beseitigen sei." Dieses Ziel könne, wie weiter
ausgeführt wurde, durch Aequivalente auf dem Gebiete des materiellen Lebens
erreicht werden. Man müsse die „berechtigten" Wünsche nach „gewissen" gemein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/212>, abgerufen am 22.07.2024.