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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Stimmung, daß "für die Inangriffnahme einer solchen Reform der gegen¬
wärtige Zeitpunkt nicht geeignet" sei. Die berliner "Zeit" erachtete es
selbst für eine "merkwürdige Anomalie", als die bairische Abgeordneten¬
kammer (25. Sept.) in ihrer Adresse auf die Thronrede den Satz aufgenommen
hatte (gegen 2 Stimmen): "Deutschlands Eintracht und Stärke, die gedeih¬
liche Entwicklung des Bundes kann nur dadurch für alle Zukunft gesichert
werden, daß die schon so lange sehnlichst erwartete und feierlich verheißene
Ausbildung der Bundesverfassung den Völkern Deutschlands die un¬
schätzbare Wohlthat eines gesicherten Rechtszustandes gewährleiste, ihren Stimmen
auch am Bunde, wo ihre wichtigsten Angelegenheiten berathen werden. Ge¬
hör verschaffe und Beachtung sichere." Wenn nun auch der bairische Minister¬
präsident, Freiherr v. d. Pfordten, in dieser Verlautbarung einen Ausdruck
der Ueberzeugungen der bairischen Regierung fand, so erachtete er doch gleich¬
falls "die jetzige Zeit nicht sür die geeignete". -- Um so auffallender mußte es
also erscheinen, daß trotzdem, kaum einige Wochen nachher (im October), zu¬
erst in der "K. Preuß. Ztg.", und dann auch in andern Blättern aus Wien ver¬
sichert wurde, Oestreich habe in einem diplomatischen Actenstücke den übrigen
Bundesstaaten erklärt, es werde "keiner Anregung einer Bundesreform hindernd
entgegentreten". Dies hieß offenbar, die patriotischen Wünsche, welche sich
schon wieder in die gewohnte Vertagung ihrer Hoffnungen gefunden, von
neuem anregen und herausfordern. Denn wenn von keiner officiellen Seite
an eine Bundesreform gedacht gewesen wäre, zu was hätte man die öst¬
reichische Erklärung abzugeben gebraucht? Daran nicht genug, führten auch
grade die officiösen und inspirirter Stimmen in der berliner, wiener,
Münchner und Stuttgarter (resp. Augsburger Allgemeine) Presse die Er¬
örterung der Bundesreformfrage fort, während die unabhängige Publicistik, in
dieser Discussion blos eines der Kampfmittel der östreich-preußisch-mittel-
staatlichcn Differenzpolitik muthmaßcnd, sich grade in diesem Augenblick
rein beobachtend verhielt.

Es war nun in der zweiten Hälfte des Novembers 1855, als in der
"Leipziger Zeitung" eine berliner Stimme in einer "aus guter Quelle"
kommenden Darstellung sogar eine Uebersicht der officiell gepflogenen Ver¬
handlungen über die Frage der politischen Bundesreform gab. Ihr zu¬
folge sollte Baiern sich "durch die Haltung der östreichischen Presse" veranlaßt
gesehen haben, das wiener Cabinet um nähere Aufklärung über die oben berührten
Aeußerungen seiner Tagespublicisten zu ersuchen. Darauf habe -- hieß es
weiter -- das wiener Cabinet im Wesentlichen geantwortet: daß die kaiserliche
Regierung zu einer Umgestaltung der Bundesverfassung nach parlamentarischen
Grundsätzen, also zu irgend einer Art von Volksvertretung oder ständischen
Mitwirkung bei der Bundesversammlung, "nie und unter keiner Bedingung"


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Stimmung, daß „für die Inangriffnahme einer solchen Reform der gegen¬
wärtige Zeitpunkt nicht geeignet" sei. Die berliner „Zeit" erachtete es
selbst für eine „merkwürdige Anomalie", als die bairische Abgeordneten¬
kammer (25. Sept.) in ihrer Adresse auf die Thronrede den Satz aufgenommen
hatte (gegen 2 Stimmen): „Deutschlands Eintracht und Stärke, die gedeih¬
liche Entwicklung des Bundes kann nur dadurch für alle Zukunft gesichert
werden, daß die schon so lange sehnlichst erwartete und feierlich verheißene
Ausbildung der Bundesverfassung den Völkern Deutschlands die un¬
schätzbare Wohlthat eines gesicherten Rechtszustandes gewährleiste, ihren Stimmen
auch am Bunde, wo ihre wichtigsten Angelegenheiten berathen werden. Ge¬
hör verschaffe und Beachtung sichere." Wenn nun auch der bairische Minister¬
präsident, Freiherr v. d. Pfordten, in dieser Verlautbarung einen Ausdruck
der Ueberzeugungen der bairischen Regierung fand, so erachtete er doch gleich¬
falls „die jetzige Zeit nicht sür die geeignete". — Um so auffallender mußte es
also erscheinen, daß trotzdem, kaum einige Wochen nachher (im October), zu¬
erst in der „K. Preuß. Ztg.", und dann auch in andern Blättern aus Wien ver¬
sichert wurde, Oestreich habe in einem diplomatischen Actenstücke den übrigen
Bundesstaaten erklärt, es werde „keiner Anregung einer Bundesreform hindernd
entgegentreten". Dies hieß offenbar, die patriotischen Wünsche, welche sich
schon wieder in die gewohnte Vertagung ihrer Hoffnungen gefunden, von
neuem anregen und herausfordern. Denn wenn von keiner officiellen Seite
an eine Bundesreform gedacht gewesen wäre, zu was hätte man die öst¬
reichische Erklärung abzugeben gebraucht? Daran nicht genug, führten auch
grade die officiösen und inspirirter Stimmen in der berliner, wiener,
Münchner und Stuttgarter (resp. Augsburger Allgemeine) Presse die Er¬
örterung der Bundesreformfrage fort, während die unabhängige Publicistik, in
dieser Discussion blos eines der Kampfmittel der östreich-preußisch-mittel-
staatlichcn Differenzpolitik muthmaßcnd, sich grade in diesem Augenblick
rein beobachtend verhielt.

Es war nun in der zweiten Hälfte des Novembers 1855, als in der
„Leipziger Zeitung" eine berliner Stimme in einer „aus guter Quelle"
kommenden Darstellung sogar eine Uebersicht der officiell gepflogenen Ver¬
handlungen über die Frage der politischen Bundesreform gab. Ihr zu¬
folge sollte Baiern sich „durch die Haltung der östreichischen Presse" veranlaßt
gesehen haben, das wiener Cabinet um nähere Aufklärung über die oben berührten
Aeußerungen seiner Tagespublicisten zu ersuchen. Darauf habe — hieß es
weiter — das wiener Cabinet im Wesentlichen geantwortet: daß die kaiserliche
Regierung zu einer Umgestaltung der Bundesverfassung nach parlamentarischen
Grundsätzen, also zu irgend einer Art von Volksvertretung oder ständischen
Mitwirkung bei der Bundesversammlung, „nie und unter keiner Bedingung"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/211>, abgerufen am 22.07.2024.