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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Spaniers u. s. w. in einem fremden Lande sei gewissermaßen eine völker¬
rechtliche Beleidigung seines Mutterlandes. Dies Vorurtheil setzt freilich eine
Flotte voraus, und die deutsche ist verauctionirt. Wenn aber jene Staaten
die Auswanderungsströmung nach irgend einem Lande außerhalb ihrer Kolo¬
nien -- von denen bei Deutschland selbstverständlich nicht die Rede sein kann
-- mit gouvernementalen Mitteln fördern, so geschieht es eben erst dann,
wenn diese Strömung sich selbstständig ausgebildet hat. Ob nun dagegen,
wenn dereinst die erforderlichen "Aufschlüsse und gutachtlichen Aeußerungen" ein¬
gelaufen sein werden, die Kanalisirung der deutschen Auswanderungsströme
ebenfalls mit politischen Einflüssen unternommen werden soll, besagt vorläufig
das bundestägliche Gutachten nicht. Am 3. Juli wurde dasselbe dem Bundes¬
tage vorgelegt, welcher beschloß, den Termin der Jnstructionseinholung auf
8 Wochen zu stellen. Zu Ende August wird sonach die Abstimmung über
dessen Anträge zu erfolgen haben. Da es sich um eine "gemeinsame An¬
gelegenheit" handelt, ist für einen rechtskräftigen Bundesbeschluß Stimmen¬
einhelligkeit nothwendig.

Eine "elfte Stunde" der Auswandcrungsangelegenheiten vor dem Bun¬
destage ist also gekommen. Man fragt vielleicht: in welcher Wechselwirkung
steht sie zur Bundesreform? Diese Zusammenhänge ergeben sich ohne
alles Raisonnement aus einer rein chronistischen Uebersicht des Ganzen der
Bundesreformfragc. Selbst der Verfasser der "deutschen Fragen" im
"Dresdner Journal" würde gegen eine solche Betrachtung nichts einzuwenden
haben, wenn anch die von ihm gewünschte und beziehentlich in Aussicht ge¬
stellte "Bundespreßstelle" zur Beaufsichtigung und Beeinflussung der Presse
als Durchführung und Fortsetzung der gesegneten karlsbader Beschlüsse schon
existiren würde.

. Grade während der vom 2. Aug. bis 25. Oct. dauernden Bundes¬
tagsferien im Jahre 1855, welche den bekannten Bundesbeschlüssen in
der orientalischen Frage folgten, trat das von den Kammern Vaierns,
Würtembergs und Hessen-Darmstadts parlamentarisch kundgegebene Ver¬
langen der Nation nach einer politischen Bundesreform mit erneuter Stärke
in die Oeffentlichkeit. Auch die meisten östreichischen Organe sprachen
sich für die Nothwendigkeit einer Bundesreform aus; und da selbst die
gouvernemental inspirirter unter ihnen diesen Ton anschlugen, fand man
dann eine Bestätigung der gerüchtweise Verlautbarten Nachricht, daß
Oestreich gesonnen sei, die Bundesversammlung zu einer Revision der Bundes¬
verfassung aufzufordern, wie sie schon einmal vor 1848 -- damals von Preußen
-- "in Rücksicht auf die Zeitbedürfnisse" beantragt gewesen war. Allein bald
nachher (Anfang Septembers) erklärten die leicht kenntlichen, "gutunterrichteten"
Zeitungscorrespvndcnten von Wien und Berlin mit sonst seltener Ueberein-


Spaniers u. s. w. in einem fremden Lande sei gewissermaßen eine völker¬
rechtliche Beleidigung seines Mutterlandes. Dies Vorurtheil setzt freilich eine
Flotte voraus, und die deutsche ist verauctionirt. Wenn aber jene Staaten
die Auswanderungsströmung nach irgend einem Lande außerhalb ihrer Kolo¬
nien — von denen bei Deutschland selbstverständlich nicht die Rede sein kann
— mit gouvernementalen Mitteln fördern, so geschieht es eben erst dann,
wenn diese Strömung sich selbstständig ausgebildet hat. Ob nun dagegen,
wenn dereinst die erforderlichen „Aufschlüsse und gutachtlichen Aeußerungen" ein¬
gelaufen sein werden, die Kanalisirung der deutschen Auswanderungsströme
ebenfalls mit politischen Einflüssen unternommen werden soll, besagt vorläufig
das bundestägliche Gutachten nicht. Am 3. Juli wurde dasselbe dem Bundes¬
tage vorgelegt, welcher beschloß, den Termin der Jnstructionseinholung auf
8 Wochen zu stellen. Zu Ende August wird sonach die Abstimmung über
dessen Anträge zu erfolgen haben. Da es sich um eine „gemeinsame An¬
gelegenheit" handelt, ist für einen rechtskräftigen Bundesbeschluß Stimmen¬
einhelligkeit nothwendig.

Eine „elfte Stunde" der Auswandcrungsangelegenheiten vor dem Bun¬
destage ist also gekommen. Man fragt vielleicht: in welcher Wechselwirkung
steht sie zur Bundesreform? Diese Zusammenhänge ergeben sich ohne
alles Raisonnement aus einer rein chronistischen Uebersicht des Ganzen der
Bundesreformfragc. Selbst der Verfasser der „deutschen Fragen" im
„Dresdner Journal" würde gegen eine solche Betrachtung nichts einzuwenden
haben, wenn anch die von ihm gewünschte und beziehentlich in Aussicht ge¬
stellte „Bundespreßstelle" zur Beaufsichtigung und Beeinflussung der Presse
als Durchführung und Fortsetzung der gesegneten karlsbader Beschlüsse schon
existiren würde.

. Grade während der vom 2. Aug. bis 25. Oct. dauernden Bundes¬
tagsferien im Jahre 1855, welche den bekannten Bundesbeschlüssen in
der orientalischen Frage folgten, trat das von den Kammern Vaierns,
Würtembergs und Hessen-Darmstadts parlamentarisch kundgegebene Ver¬
langen der Nation nach einer politischen Bundesreform mit erneuter Stärke
in die Oeffentlichkeit. Auch die meisten östreichischen Organe sprachen
sich für die Nothwendigkeit einer Bundesreform aus; und da selbst die
gouvernemental inspirirter unter ihnen diesen Ton anschlugen, fand man
dann eine Bestätigung der gerüchtweise Verlautbarten Nachricht, daß
Oestreich gesonnen sei, die Bundesversammlung zu einer Revision der Bundes¬
verfassung aufzufordern, wie sie schon einmal vor 1848 — damals von Preußen
— „in Rücksicht auf die Zeitbedürfnisse" beantragt gewesen war. Allein bald
nachher (Anfang Septembers) erklärten die leicht kenntlichen, „gutunterrichteten"
Zeitungscorrespvndcnten von Wien und Berlin mit sonst seltener Ueberein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/210>, abgerufen am 22.07.2024.