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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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lig waren, wußten von dieser Bestimmung nichts, und der Zahlmeister ver¬
schwieg sie uns wohlweislich. Erst als wir in der Türkei standen, fanden
wir den betreffenden Paragraphen, und erhielten endlich, beinahe ein volles
Jahr später, als wir nach England zurückkehrten, jenes Geld; da aber mittler¬
weile viele Offiziere und Leute an der Cholera gestorben waren, so fiel ein
guter Theil desselben gänzlich weg. Wir fragen, wer hat diese ziemlich be¬
trächtliche Summe erhalten? Wer hat die Zinsen des Geldes ein ganzes Jahr
gezogen?

Es ekelt uns wirklich an. die vielen Uebervortheilungen weiter auszu¬
führen, die unter allen möglichen Vorwänden versucht wurden, und zwar von
den Administrativbehörden, und dabei hält man noch die Armee für vorzüg¬
lich versorgt, glaubte es vor dem Kriege gegen Rußland ganz sicher, und
kam erst hinter die Wahrheit, als die halbe Armee nicht vor dem Feinde,
sondern infolge der Nachlässigkeit jener Behörden zu Grunde gegangen war.
Man hat sich seitdem bemüht, viele Mißbräuche abzuschaffen, namentlich ist
es dem Herzoge von Cambridge Ernst damit, aber er hat mit außerordent¬
lichen Schwierigkeiten zu kämpfen, denn jede wesentliche Aenderung muß erst
im Parlamente berathen werden und hat an den Verehrern des alten Re¬
gimes mächtige Widersacher. Die oft unpraktischen und verkehrten Einrich¬
tungen der Horseguards (des Kriegsministeriums) sind sogar zum Spotte im
Volke geworden, wie das Tragen und Beibehalten der steifen, ledernen Hals¬
binden, die dem Mann den Athem rauben. Ein Lied sagt davon:


Ids rirg,n must, -USÄi' bis Stock
80 orclersä IZrovn
ni^n t'o.I1s avoit
liigbt, on tluz Ircii'seg'UÄi'as oloeli.

In jeder Armee gibt es zur Aufrechthaltung der militärischen Ordnung
und Zucht besondere Gesetze, die von den Offizieren gehandhabt, im All¬
gemeinen unter dem Namen Disciplinargesetze bekannt sind, und die
Disciplinarstrafgewalt begründen. Die Grenzen derselben sind in den ver¬
schiedenen Heeren nicht gleich, und je höher der kriegerische Geist, je höher
der sittliche Standpunkt eines solchen und der Nation ist. welcher es angehört,
um so mehr können entehrende Strafen, namentlich körperliche Züchtigung,
vermieden werden. Man hat sich in neuerer Zeit bemüht, diejenigen, welche
diese Strafgewalt zuerst ausüben, die Rittmeister und Hauptleute, in der Aus¬
übung derselben möglichst zu controliren, ja diese Gewalt mehr und mehr zu
beschränken. In Frankreich und Preußen übersteigt die Befugniß des Com¬
pagniecommandanten zur Verhängung von Strafen nicht drei Tage strengen
Arrest, während sie im Königreich Sachsen sieben Tage erreicht. In der bri¬
tischen Armee liegt in den Händen des Compagniechcfs keinerlei Strafgewalt,


lig waren, wußten von dieser Bestimmung nichts, und der Zahlmeister ver¬
schwieg sie uns wohlweislich. Erst als wir in der Türkei standen, fanden
wir den betreffenden Paragraphen, und erhielten endlich, beinahe ein volles
Jahr später, als wir nach England zurückkehrten, jenes Geld; da aber mittler¬
weile viele Offiziere und Leute an der Cholera gestorben waren, so fiel ein
guter Theil desselben gänzlich weg. Wir fragen, wer hat diese ziemlich be¬
trächtliche Summe erhalten? Wer hat die Zinsen des Geldes ein ganzes Jahr
gezogen?

Es ekelt uns wirklich an. die vielen Uebervortheilungen weiter auszu¬
führen, die unter allen möglichen Vorwänden versucht wurden, und zwar von
den Administrativbehörden, und dabei hält man noch die Armee für vorzüg¬
lich versorgt, glaubte es vor dem Kriege gegen Rußland ganz sicher, und
kam erst hinter die Wahrheit, als die halbe Armee nicht vor dem Feinde,
sondern infolge der Nachlässigkeit jener Behörden zu Grunde gegangen war.
Man hat sich seitdem bemüht, viele Mißbräuche abzuschaffen, namentlich ist
es dem Herzoge von Cambridge Ernst damit, aber er hat mit außerordent¬
lichen Schwierigkeiten zu kämpfen, denn jede wesentliche Aenderung muß erst
im Parlamente berathen werden und hat an den Verehrern des alten Re¬
gimes mächtige Widersacher. Die oft unpraktischen und verkehrten Einrich¬
tungen der Horseguards (des Kriegsministeriums) sind sogar zum Spotte im
Volke geworden, wie das Tragen und Beibehalten der steifen, ledernen Hals¬
binden, die dem Mann den Athem rauben. Ein Lied sagt davon:


Ids rirg,n must, -USÄi' bis Stock
80 orclersä IZrovn
ni^n t'o.I1s avoit
liigbt, on tluz Ircii'seg'UÄi'as oloeli.

In jeder Armee gibt es zur Aufrechthaltung der militärischen Ordnung
und Zucht besondere Gesetze, die von den Offizieren gehandhabt, im All¬
gemeinen unter dem Namen Disciplinargesetze bekannt sind, und die
Disciplinarstrafgewalt begründen. Die Grenzen derselben sind in den ver¬
schiedenen Heeren nicht gleich, und je höher der kriegerische Geist, je höher
der sittliche Standpunkt eines solchen und der Nation ist. welcher es angehört,
um so mehr können entehrende Strafen, namentlich körperliche Züchtigung,
vermieden werden. Man hat sich in neuerer Zeit bemüht, diejenigen, welche
diese Strafgewalt zuerst ausüben, die Rittmeister und Hauptleute, in der Aus¬
übung derselben möglichst zu controliren, ja diese Gewalt mehr und mehr zu
beschränken. In Frankreich und Preußen übersteigt die Befugniß des Com¬
pagniecommandanten zur Verhängung von Strafen nicht drei Tage strengen
Arrest, während sie im Königreich Sachsen sieben Tage erreicht. In der bri¬
tischen Armee liegt in den Händen des Compagniechcfs keinerlei Strafgewalt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/200>, abgerufen am 22.07.2024.