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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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machten die Erfahrung, daß, wenn neue Vorräthe angekommen waren, feiten
des Regimentscommandanten alle Mittel gebraucht wurden, diese bald den
Compagnien zu octroyiren, ganz unbekümmert darum, daß die Schuldenlast,
in welche sie dadurch geriethen, nur mit den schwersten Opfern feiten der Leute
bezahlt werden konnte, und ob ein wirklicher Bedarf vorlag oder nicht. Als
Beweis dafür sei Folgendes angeführt. Im Monat Februar 185K stand das
Regiment, in welchem wir dienten, in der Kaserne zu Kukuli in der asiati¬
schen Türkei, es war in der Bekleidung .etwas herabgekommen, namentlich
waren die Schuhe seit lange nicht mehr gut im Stande. Drei Stunden davon,
in Sandan, lagen die vom Gouvernement den Soldaten umsonst gelieferten
hohen Stiefel, diese erhielt das Regiment nicht, denn der Herr Regiments¬
commandeur und der Quartiermeister hatten Schuhe in England bestellt, und
zwar sehr viele. Als sie ankamen, mußte das Regiment ausrücken und die
Schuhe wurden revidirt d. h. der Commandant ließ die Majors die Com¬
pagnien durchsehen und jedem Mann ein oder zwei Paar ohne Berücksichtigung
seiner ökonomischen Verhältnisse aufschreiben, die auch sofort gefaßt werden
mußten. Jedes Paar derselben kostete in England 8 Seh. 3 Pence, hier mußte
aber der Soldat auch noch die Transportkosten tragen, so daß der Preis
9 Schllg. erreichte oder noch überstieg, wodurch die tägliche Löhnung eines
Mannes auf ein Minimum beschränkt wurde; denn Ende des nächsten Monates
mußte die so entstandene Schuld bezahlt sein. Vier Monate später verkaufte
das Gouvernement jene nicht gefaßten Stiefel in Sandan das Paar für 6 Pence
um sie nicht nach England zurücktransportiren zu müssen. Ein zweiter Fall
war noch eclatanter. Es waren seiten obengenannter Personen 1000 Paar
Beinkleider bestellt worden, die erst Mitte März ebendaselbst eintrafen. Da
am 1. April die gelieferten königlichen kommen sollten, so weigerte sich jeder
Capitän im Interesse seiner Compagnie, jetzt dergleichen zu fassen und zu be¬
zahlen. Um dem ein Ende zu machen, befahl der Oberstlieutenant, jede Com¬
pagnie müsse für den vollen Etat Beinkleider fassen, und zwar sofort. Die
Compagnien mußten in ihren Kasernenräumen antreten, die Beinkleider an-
probiren und die angepaßten wurden auch sofort, wie es Befehl war, mit
Regiments-, Compagnie- und Bekleidungsnummer gestempelt. Während dies
geschah, ertönte das Signal "Feldwebel", und diese empfingen den schriftlichen Be¬
fehl, daß diejenigen Leute, die keine Beinkleider brauchten, auch keine fassen sollten;
doch war es nunmehr zu spät, diese waren bereits gestempelt und so nahm
sie der Quartiermeister nicht zurück, die Compagnien mußten sie bezahlen, er¬
hielten aber hierzu drei Monate Fühl, weil es unmöglich war das Geld eher
abzuziehen. Obgleich die List sehr fein war, so mißlang sie doch zuletzt, denn
wir Caplans setzten es in England durch, daß die so octroyirten Beinkleider
für die am 1. April zu liefernden angenommen wurden, und der Oberstleut-


machten die Erfahrung, daß, wenn neue Vorräthe angekommen waren, feiten
des Regimentscommandanten alle Mittel gebraucht wurden, diese bald den
Compagnien zu octroyiren, ganz unbekümmert darum, daß die Schuldenlast,
in welche sie dadurch geriethen, nur mit den schwersten Opfern feiten der Leute
bezahlt werden konnte, und ob ein wirklicher Bedarf vorlag oder nicht. Als
Beweis dafür sei Folgendes angeführt. Im Monat Februar 185K stand das
Regiment, in welchem wir dienten, in der Kaserne zu Kukuli in der asiati¬
schen Türkei, es war in der Bekleidung .etwas herabgekommen, namentlich
waren die Schuhe seit lange nicht mehr gut im Stande. Drei Stunden davon,
in Sandan, lagen die vom Gouvernement den Soldaten umsonst gelieferten
hohen Stiefel, diese erhielt das Regiment nicht, denn der Herr Regiments¬
commandeur und der Quartiermeister hatten Schuhe in England bestellt, und
zwar sehr viele. Als sie ankamen, mußte das Regiment ausrücken und die
Schuhe wurden revidirt d. h. der Commandant ließ die Majors die Com¬
pagnien durchsehen und jedem Mann ein oder zwei Paar ohne Berücksichtigung
seiner ökonomischen Verhältnisse aufschreiben, die auch sofort gefaßt werden
mußten. Jedes Paar derselben kostete in England 8 Seh. 3 Pence, hier mußte
aber der Soldat auch noch die Transportkosten tragen, so daß der Preis
9 Schllg. erreichte oder noch überstieg, wodurch die tägliche Löhnung eines
Mannes auf ein Minimum beschränkt wurde; denn Ende des nächsten Monates
mußte die so entstandene Schuld bezahlt sein. Vier Monate später verkaufte
das Gouvernement jene nicht gefaßten Stiefel in Sandan das Paar für 6 Pence
um sie nicht nach England zurücktransportiren zu müssen. Ein zweiter Fall
war noch eclatanter. Es waren seiten obengenannter Personen 1000 Paar
Beinkleider bestellt worden, die erst Mitte März ebendaselbst eintrafen. Da
am 1. April die gelieferten königlichen kommen sollten, so weigerte sich jeder
Capitän im Interesse seiner Compagnie, jetzt dergleichen zu fassen und zu be¬
zahlen. Um dem ein Ende zu machen, befahl der Oberstlieutenant, jede Com¬
pagnie müsse für den vollen Etat Beinkleider fassen, und zwar sofort. Die
Compagnien mußten in ihren Kasernenräumen antreten, die Beinkleider an-
probiren und die angepaßten wurden auch sofort, wie es Befehl war, mit
Regiments-, Compagnie- und Bekleidungsnummer gestempelt. Während dies
geschah, ertönte das Signal „Feldwebel", und diese empfingen den schriftlichen Be¬
fehl, daß diejenigen Leute, die keine Beinkleider brauchten, auch keine fassen sollten;
doch war es nunmehr zu spät, diese waren bereits gestempelt und so nahm
sie der Quartiermeister nicht zurück, die Compagnien mußten sie bezahlen, er¬
hielten aber hierzu drei Monate Fühl, weil es unmöglich war das Geld eher
abzuziehen. Obgleich die List sehr fein war, so mißlang sie doch zuletzt, denn
wir Caplans setzten es in England durch, daß die so octroyirten Beinkleider
für die am 1. April zu liefernden angenommen wurden, und der Oberstleut-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/198>, abgerufen am 22.07.2024.