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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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In diesem Augenblick bringt der geschäftige Blaset am Eck zwei Flaschen
Wein und vier Gläser an den Altar, und nun trinkt der Pfarrer jeder der
betheiligten vier Personen den ersten Ehetrunk zu. Des Hirschbauers Wein
ist trübe und herbe, man siehts dem Gesicht des Pfarrers an; desto besser ist
der des unsichtbar kleinen Huterers. Nachdem der Trunk am Altar vorüber
ist. erhalten die Umstehenden und dann die weiter noch Anwesenden durch
den Blasel am Eck eingeschenkt und er verfehlt nicht, die Freigebigkeit bei
diesem Geschäft auf möglichst viele auszudehnen. So geht das Trinken durch
die ganze Kirche.

Während dessen erdröhnt draußen wieder Böllerschießen. Die Musik zieht
ins Freie. Der Kellner mit grünem Käppchen auf dem Kopfe drängt sich
nach der Sakristei durch, um der leeren Weinflaschen habhaft zu werden, ehe
sie in Scherben gehen. Der Pfarrer schreitet grüßend und wohlwollend lä¬
chelnd nach seinem nahen Hause hinüber, um vor seiner Thüre die Züge
an sich vorbei defiliren zu lassen. Hinter ihm drein schlendert der Schul¬
gehilfe, einen Teller in der Hand, auf welchem die Gebühren unter einem
bunten "Nasentuche" von Baumwolle, nagelneu und ein Geschenk des bäuer¬
lichen Paars, versteckt liegen. Ein Bouquet von gemachten Blumen schmückt
die Gabe.

Wie alt der Brauch des Taschentuchschenkens ist, läßt sich nicht mehr er¬
mitteln; ebenso wenig ob eine symbolische Bedeutung damit zusammenhing.
Die Volkseinsalt erfindet eine solche, wo die Ueberlieferung schweigt, und so
hat die Gabe denn im Sinne des Gebenden die Bedeutung eines Thränen¬
tuchs, das der zum Coelibat verurtheilte geistliche Herr benutzen mag, so oft
ihm das Zusammengehen eines glücklichen Paars .das Wasser in die Augen
bringt. Es ist ein uralter Zug im Volksgeschmack, den nämlichen Personen,
welchen Ehrfurcht und Respect erwiesen wird, eine spöttische Seite abzugewin¬
nen. Die symbolischen Thiere an den altgothischen Thurmrinnen und Por¬
talen, so herb sie spotteten, störten auch keineswegs die Andacht der Kirch-
gänger.

Ehe sich der bäuerliche Zug aber wieder geordnet hat, gibt es ein Ge¬
dränge zwischen den Burschen; die Braut muß geraubt und versteckt werden,
damit sie der Bräutigam durch eine "Zausen" (Essen außer der Zeit) wieder
auflöse. Der Raub geht um so leichter von Statten, als sich weder Braut
noch Bräutigam seit ihrer Trauung umeinander kümmerten, und der "Hirsch¬
bauer" fügt sich mit guter Laune dem unvermeidlichen Tribut.

Bei dem Zuge, welcher dem Marktflecken zugehört, fallen diese Schnurren
weg, vielleicht weil der Kranz fehlt, vielleicht auch weil man sich hier möglichst
der Stadtsitte nähert.

Da diese fast aller Orten ähnlich ist, folgen wir dem bäuerlichen Zuge.


In diesem Augenblick bringt der geschäftige Blaset am Eck zwei Flaschen
Wein und vier Gläser an den Altar, und nun trinkt der Pfarrer jeder der
betheiligten vier Personen den ersten Ehetrunk zu. Des Hirschbauers Wein
ist trübe und herbe, man siehts dem Gesicht des Pfarrers an; desto besser ist
der des unsichtbar kleinen Huterers. Nachdem der Trunk am Altar vorüber
ist. erhalten die Umstehenden und dann die weiter noch Anwesenden durch
den Blasel am Eck eingeschenkt und er verfehlt nicht, die Freigebigkeit bei
diesem Geschäft auf möglichst viele auszudehnen. So geht das Trinken durch
die ganze Kirche.

Während dessen erdröhnt draußen wieder Böllerschießen. Die Musik zieht
ins Freie. Der Kellner mit grünem Käppchen auf dem Kopfe drängt sich
nach der Sakristei durch, um der leeren Weinflaschen habhaft zu werden, ehe
sie in Scherben gehen. Der Pfarrer schreitet grüßend und wohlwollend lä¬
chelnd nach seinem nahen Hause hinüber, um vor seiner Thüre die Züge
an sich vorbei defiliren zu lassen. Hinter ihm drein schlendert der Schul¬
gehilfe, einen Teller in der Hand, auf welchem die Gebühren unter einem
bunten „Nasentuche" von Baumwolle, nagelneu und ein Geschenk des bäuer¬
lichen Paars, versteckt liegen. Ein Bouquet von gemachten Blumen schmückt
die Gabe.

Wie alt der Brauch des Taschentuchschenkens ist, läßt sich nicht mehr er¬
mitteln; ebenso wenig ob eine symbolische Bedeutung damit zusammenhing.
Die Volkseinsalt erfindet eine solche, wo die Ueberlieferung schweigt, und so
hat die Gabe denn im Sinne des Gebenden die Bedeutung eines Thränen¬
tuchs, das der zum Coelibat verurtheilte geistliche Herr benutzen mag, so oft
ihm das Zusammengehen eines glücklichen Paars .das Wasser in die Augen
bringt. Es ist ein uralter Zug im Volksgeschmack, den nämlichen Personen,
welchen Ehrfurcht und Respect erwiesen wird, eine spöttische Seite abzugewin¬
nen. Die symbolischen Thiere an den altgothischen Thurmrinnen und Por¬
talen, so herb sie spotteten, störten auch keineswegs die Andacht der Kirch-
gänger.

Ehe sich der bäuerliche Zug aber wieder geordnet hat, gibt es ein Ge¬
dränge zwischen den Burschen; die Braut muß geraubt und versteckt werden,
damit sie der Bräutigam durch eine „Zausen" (Essen außer der Zeit) wieder
auflöse. Der Raub geht um so leichter von Statten, als sich weder Braut
noch Bräutigam seit ihrer Trauung umeinander kümmerten, und der „Hirsch¬
bauer" fügt sich mit guter Laune dem unvermeidlichen Tribut.

Bei dem Zuge, welcher dem Marktflecken zugehört, fallen diese Schnurren
weg, vielleicht weil der Kranz fehlt, vielleicht auch weil man sich hier möglichst
der Stadtsitte nähert.

Da diese fast aller Orten ähnlich ist, folgen wir dem bäuerlichen Zuge.


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[0189] In diesem Augenblick bringt der geschäftige Blaset am Eck zwei Flaschen Wein und vier Gläser an den Altar, und nun trinkt der Pfarrer jeder der betheiligten vier Personen den ersten Ehetrunk zu. Des Hirschbauers Wein ist trübe und herbe, man siehts dem Gesicht des Pfarrers an; desto besser ist der des unsichtbar kleinen Huterers. Nachdem der Trunk am Altar vorüber ist. erhalten die Umstehenden und dann die weiter noch Anwesenden durch den Blasel am Eck eingeschenkt und er verfehlt nicht, die Freigebigkeit bei diesem Geschäft auf möglichst viele auszudehnen. So geht das Trinken durch die ganze Kirche. Während dessen erdröhnt draußen wieder Böllerschießen. Die Musik zieht ins Freie. Der Kellner mit grünem Käppchen auf dem Kopfe drängt sich nach der Sakristei durch, um der leeren Weinflaschen habhaft zu werden, ehe sie in Scherben gehen. Der Pfarrer schreitet grüßend und wohlwollend lä¬ chelnd nach seinem nahen Hause hinüber, um vor seiner Thüre die Züge an sich vorbei defiliren zu lassen. Hinter ihm drein schlendert der Schul¬ gehilfe, einen Teller in der Hand, auf welchem die Gebühren unter einem bunten „Nasentuche" von Baumwolle, nagelneu und ein Geschenk des bäuer¬ lichen Paars, versteckt liegen. Ein Bouquet von gemachten Blumen schmückt die Gabe. Wie alt der Brauch des Taschentuchschenkens ist, läßt sich nicht mehr er¬ mitteln; ebenso wenig ob eine symbolische Bedeutung damit zusammenhing. Die Volkseinsalt erfindet eine solche, wo die Ueberlieferung schweigt, und so hat die Gabe denn im Sinne des Gebenden die Bedeutung eines Thränen¬ tuchs, das der zum Coelibat verurtheilte geistliche Herr benutzen mag, so oft ihm das Zusammengehen eines glücklichen Paars .das Wasser in die Augen bringt. Es ist ein uralter Zug im Volksgeschmack, den nämlichen Personen, welchen Ehrfurcht und Respect erwiesen wird, eine spöttische Seite abzugewin¬ nen. Die symbolischen Thiere an den altgothischen Thurmrinnen und Por¬ talen, so herb sie spotteten, störten auch keineswegs die Andacht der Kirch- gänger. Ehe sich der bäuerliche Zug aber wieder geordnet hat, gibt es ein Ge¬ dränge zwischen den Burschen; die Braut muß geraubt und versteckt werden, damit sie der Bräutigam durch eine „Zausen" (Essen außer der Zeit) wieder auflöse. Der Raub geht um so leichter von Statten, als sich weder Braut noch Bräutigam seit ihrer Trauung umeinander kümmerten, und der „Hirsch¬ bauer" fügt sich mit guter Laune dem unvermeidlichen Tribut. Bei dem Zuge, welcher dem Marktflecken zugehört, fallen diese Schnurren weg, vielleicht weil der Kranz fehlt, vielleicht auch weil man sich hier möglichst der Stadtsitte nähert. Da diese fast aller Orten ähnlich ist, folgen wir dem bäuerlichen Zuge.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/189>, abgerufen am 22.07.2024.