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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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hier ziemlich unbeachtet vorübergeht. Aus Rücksicht auf das Fehlen dieser
Zierde haben auch die drei Kranzjungfern dem Kopfschmucke entsagen müssen.
Eine weiße Kamelie am rechten Ohr ist alles, was sie im fein geflochtenen
Haar tragen. Der Männer Hüte sind mit gemachten Blumen und buntem
Flitter verziert, Angebinde, welche die Braut beim Antreten des Zuges vertheilt.

Vor der Kirche hält der Zug einen Augenblick, um das Abschießen der
in den Sand des Friedhofs eingegrabenen Böller abzuwarten. Dann trom¬
petet er in die Kirche und mitten in die Messe hinein, versteht sich mit der
lustigsten Melodie, welche im Notenbüchel aufzufinden ist.

Endlich hat jeder sich gesetzt und die Ceremonie nimmt ihren Fortgang.
Die Kirchenmusik in den sibirischen Dorfkirchen ist meist sehr mittelmäßig.
Eisenerz, Admont, Katrein, wo Bittmanns bedeutende Kraft wirkt, machen
Ausnahmen. In den übrigen Kirchen herrscht ein buntes Durcheinander von
.alten und neuen Scharteken und man hat Mühe zu sagen, ob die Auswahl
der Musikstücke oder ihre Ausführung mehr zu wünschen übrig läßt. Heute
vernehmen wir nach manchen andern Wunderlichkeiten das Duett:


In deinem Arm zu weilen,
Freund, welche Seligkeit!

Es ist für Chor arrangirt und ein neuer Text dazu gegeben. Dieser klingt
indessen nicht bis zu uns hinab. Wir hören die Musik des liebeschmachtenden
Duetts und uns klingen die alten Worte unwillkürlich dabei im Ohre. Wo
ist die Möglichkeit, bei diesen Anklängen und dem Anblick des prosaischen
Doppelpaares, dem sie gelten, sich eines Anflugs ironischer Stimmung zu erwehren?

Unser Auge schweift von dem untern Hirschbauern und dem fast unent-
deckbar kleinen zweiten Bräutigam, einem ehrbaren Huterer, nach der Kanzel
hinüber und wird dort von einer Anzahl vergoldeter Holzengel festgehalten,
welche in der gespreizten Süßlichkeit der Zopfzeit seit einigen sechzig bis siebzig
Jahren um Aufmerksamkeit werben. Der am meisten Vorgedrängte hält ein
brennendes goldnes Herz in den Händen. Es taugt vortrefflich zu dem überliebes-
seligen Duett. Die Ironie, welche allein über die Verzwicktheit dieses ganzen
Stückes bäurischer Sitte oder Unsitte weghilft, erhält durch jenen vergoldeten
Statisten nur noch neuen Vorschub und gibt den sich aufdrängenden ernsteren
Betrachtungen eine humoristische Wendung.

Nun ist die Messe zu Ende.

Die Paare treten nebeneinander zum Altar. Mit deutlicher Stimme wer¬
den jedem derselben die Erklärungen und Pflichten ihres Bündnisses vorgele¬
sen; dann folgen für jeden Einzelnen drei Fragen, welche mit Ja zu beant¬
worten sind; hierauf Ringwechsel und Umwinden der rechten Hände jedes
Paares mit der Stola des Geistlichen.


hier ziemlich unbeachtet vorübergeht. Aus Rücksicht auf das Fehlen dieser
Zierde haben auch die drei Kranzjungfern dem Kopfschmucke entsagen müssen.
Eine weiße Kamelie am rechten Ohr ist alles, was sie im fein geflochtenen
Haar tragen. Der Männer Hüte sind mit gemachten Blumen und buntem
Flitter verziert, Angebinde, welche die Braut beim Antreten des Zuges vertheilt.

Vor der Kirche hält der Zug einen Augenblick, um das Abschießen der
in den Sand des Friedhofs eingegrabenen Böller abzuwarten. Dann trom¬
petet er in die Kirche und mitten in die Messe hinein, versteht sich mit der
lustigsten Melodie, welche im Notenbüchel aufzufinden ist.

Endlich hat jeder sich gesetzt und die Ceremonie nimmt ihren Fortgang.
Die Kirchenmusik in den sibirischen Dorfkirchen ist meist sehr mittelmäßig.
Eisenerz, Admont, Katrein, wo Bittmanns bedeutende Kraft wirkt, machen
Ausnahmen. In den übrigen Kirchen herrscht ein buntes Durcheinander von
.alten und neuen Scharteken und man hat Mühe zu sagen, ob die Auswahl
der Musikstücke oder ihre Ausführung mehr zu wünschen übrig läßt. Heute
vernehmen wir nach manchen andern Wunderlichkeiten das Duett:


In deinem Arm zu weilen,
Freund, welche Seligkeit!

Es ist für Chor arrangirt und ein neuer Text dazu gegeben. Dieser klingt
indessen nicht bis zu uns hinab. Wir hören die Musik des liebeschmachtenden
Duetts und uns klingen die alten Worte unwillkürlich dabei im Ohre. Wo
ist die Möglichkeit, bei diesen Anklängen und dem Anblick des prosaischen
Doppelpaares, dem sie gelten, sich eines Anflugs ironischer Stimmung zu erwehren?

Unser Auge schweift von dem untern Hirschbauern und dem fast unent-
deckbar kleinen zweiten Bräutigam, einem ehrbaren Huterer, nach der Kanzel
hinüber und wird dort von einer Anzahl vergoldeter Holzengel festgehalten,
welche in der gespreizten Süßlichkeit der Zopfzeit seit einigen sechzig bis siebzig
Jahren um Aufmerksamkeit werben. Der am meisten Vorgedrängte hält ein
brennendes goldnes Herz in den Händen. Es taugt vortrefflich zu dem überliebes-
seligen Duett. Die Ironie, welche allein über die Verzwicktheit dieses ganzen
Stückes bäurischer Sitte oder Unsitte weghilft, erhält durch jenen vergoldeten
Statisten nur noch neuen Vorschub und gibt den sich aufdrängenden ernsteren
Betrachtungen eine humoristische Wendung.

Nun ist die Messe zu Ende.

Die Paare treten nebeneinander zum Altar. Mit deutlicher Stimme wer¬
den jedem derselben die Erklärungen und Pflichten ihres Bündnisses vorgele¬
sen; dann folgen für jeden Einzelnen drei Fragen, welche mit Ja zu beant¬
worten sind; hierauf Ringwechsel und Umwinden der rechten Hände jedes
Paares mit der Stola des Geistlichen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/188>, abgerufen am 22.07.2024.